Umgeben von der königlichen Familie versuchte Thanos vergebens seinem Gesicht einen freundlichen Ausdruck zu verleihen. Er griff nach dem goldenen Weinkelch. Er hasste es hier zu sein. Er hasste diese Leute, seine Familie. Auch hasste er diese königlichen Zusammenkünfte – vor allem diejenigen, die auf die Tötungen folgten. Er wusste wie das Volk lebte, in welcher Armut sie lebten und er spürte wie sinnlos und ungerecht dieser Pomp und Hochmut wirklich war. Er hätte alles dafür gegeben nicht hier sein zu müssen.
Thanos gab sich nicht die geringste Mühe an den belanglosen Gesprächen seiner Cousins und Cousine Lucious, Varius und Aria teilzunehmen. Stattdessen beobachtete er die herrschaftlichen Gäste, die im Palastgarten in ihren Togen und Stolen umherstolzierten und dabei aufgesetzt grinsten und falsche Nettigkeiten ausspuckten. Einige seiner Cousins und Cousinen bewarfen sich mit Essen, während sie auf dem gepflegten Rasen und zwischen den Tischen voll mit gutem Essen und Wein umherhuschten. Andere stellten ihre Lieblingsszenen aus den Tötungen nach, sie lachten und machten sich über diejenigen lustig, die heute ihr Leben verloren hatten.
Hunderte Menschen waren hier und nicht einer war ehrhaft.
„Ich werde nächsten Monat drei Kampfherren kaufen“, sagte der älteste unter ihnen, Lucious, mit aufgeregter Stimme, während er sich mit einem seidenen Tuch eine Schweißperle von der Augenbraue tupfte. „Stefanus war nicht einmal die Hälfte von dem wert, was ich für ihn bezahlt habe und wenn er nicht schon tot wäre, so würde ich höchstpersönlich ein Schwert in ihn stoßen, dafür dass er wie ein Mädchen in der ersten Runde gekämpft hat.“
Aria und Varius lachten, doch Thanus fand seine Bemerkung alles andere als amüsant. Ob sie die Tötungen nun als Spiele betrachteten oder nicht, sie sollten den Tapferen wie den Toten zumindest Respekt zollen.
„Aber habt ihr Brennius gesehen?“ fragte Aria und ihre großen blauen Augen wurden groß. „Ich hatte eigentlich vor ihn zu kaufen, aber dann hat er mir diesen dünkelhaften Blick zugeworfen als ich ihn bei den Proben beobachtet habe. Könnt ihr euch das vorstellen?“ fügte sie augenrollend und schnaufend hinzu.
„Und er riecht wie ein Stinktier“, setzte Lucious noch eine drauf.
Alle außer Thanos lachten erneut.
„Keiner von uns hätte sich wohl für ihn entschieden“, sagte Varius. „Auch wenn er länger als erwartet durchgehalten hat, so war er doch schrecklich in Form.“
Thanos konnte sich nicht länger zusammenreißen.
„Brennius war von allen am besten in Form“, rief er dazwischen. „Wenn ihr keine Ahnung von der Kampfkunst habt, dann haltet besser den Mund.“
Die Cousins verfielen ins Schweigen und Arias Augen nahmen die Größe von Untertassen an, sie blickte zum Boden. Varius plusterte sich auf und verschränkte finster dreinblickend die Arme. Er trat näher an Thanos heran als würde er ihn herausfordern wollen, Spannung lag in der Luft.
„Vergesst doch diese selbstherrlichen Kampfherren“, sagte Aria und stellte sich in einem Versuch die Situation zu entschärfen zwischen sie. Sie winkte die jungen Männer näher zu sich heran und begann zu flüstern, „Ich habe ein sonderbares Gerücht gehört. Eine kleine Biene hat mich wissen lassen, dass der König mit dem Gedanken spielt jemanden von königlicher Abstammung bei den Tötungen antreten zu lassen.“
Sie tauschten unsichere Blicke aus und verstummten.
„Ich glaube nicht, dass er mich schicken würde“, sagte Lucious. „Ich habe kein Interesse daran mein Leben für ein dämliches Spiel zu riskieren.“
Thanos wusste, dass er im Stande war die meisten der Kampfherren zu schlagen, doch einen anderen Menschen zu töten war etwas, das er nicht würde tun wollen.
„Du hast doch nur Angst dabei draufzugehen“, sagte Aria.
„Habe ich nicht“, erwiderte Lucious. „Nimm das zurück!“
Thanos Geduld war am Ende. Er verließ die Gruppe.
Er sah wie seine entfernte Cousine Stephania umherwanderte als würde sie nach jemandem aller Wahrscheinlichkeit sogar ihm Ausschau halten. Erst vor ein paar Wochen hatte ihm die Königin mitgeteilt, dass sie Stephania für ihn als Frau auserkoren hatte, er jedoch sah das ganz anders. Stephania war genauso verzogen wie alle anderen seiner Cousins und Cousinen und er hätte lieber auf den Titel, sein Erbe und sogar sein Schwert verzichtet als sie zu heiraten. Sie war in der Tat eine Schönheit, sie hatte goldenes Haar, milchweiße Haut und blutrote Lippen, doch wenn sie ihm noch einmal erzählen würde, wie ungerecht das Leben für sie war, würde er sich die Ohren abschneiden.
Er floh zu den Rosen am Rande des Gartens und versuchte dabei jeglichen Augenkontakt mit den Anwesenden zu vermeiden. Aber gerade als er um die Ecke biegen wollte, stellte Stephania sich ihm in den Weg. Ihre braunen Augen leuchteten auf.
„Guten Abend Thanos“, sagte sie mit einem bezaubernden Lächeln auf den Lippen, dass wohl den meisten der jungen Männer die Spucke aus den Mundwinkeln geflossen wäre. Allen außer Thanos.
„Dir auch einen guten Abend“, sagte Thanos, umrundete sie und setzte seinen Weg fort.
Sie hob den Saum ihrer Stola und folgte ihm wie eine Fliege, die man nicht mehr loswird.
„Findest du es nicht auch furchtbar ungerecht, dass – “, setzte sie an.
„Ich habe zu tun“, antwortete er mit barscherem Tonfall als gewollt, sodass sie kurz innehielt. Er drehte sich zu ihr um. „Es tut mir leid… Ich habe diese Partys nur so satt.“
„Vielleicht hast du ja Lust einen kleinen Spaziergang mit mir im Garten zu machen?“ sagte Stephania. Ihre rechte Augenbraue schnellte in die Höhe während sie näher trat.
Das war so ziemlich das letzte was er gewollt hätte.
„Hör mal“, sagte er, „ich weiß, dass die Königin und deine Mutter sich in den Kopf gesetzt haben uns irgendwie zusammenzubringen, aber – “
„Thanos!“ hörte es jemanden hinter ihm rufen.
Thanos drehte sich um und erblickte den Boten des Königs.
„Der König würde sich freuen, wenn Sie zu ihm in den Gartenpavillon kommen würden“, sagte er. „Und Sie ebenso, gnädige Frau“
„Darf ich fragen warum?“ fragte Thanos.
„Es gibt wohl einiges zu besprechen“, sagte der Bote.
Da er in der Vergangenheit keine regelmäßigen Unterredungen mit dem König gehabt hatte, fragte sich Thanos, worum es wohl gehen würde.
„Selbstverständlich“, sagte Thanos.
Zu seinem Missfallen hakte sich eine überaus wohlgelaunte Stephania bei ihm ein und zusammen folgten sie dem Boten hinüber zu der Laube des Königs.
Als Thanos bemerkte, dass mehrere Berater des Königs und sogar der Kronprinz anwesend waren, kam ihm die Einladung in diese Runde noch seltsamer vor. Sie alle hatten bereits auf Bänken und Stühlen Platz genommen. Er würde kaum etwas zu ihren Gesprächen beizutragen haben, da seine Vorstellung von Regierungsführung stark von der ihren abwich. Das Beste ist es einfach den Mund zu halten, dachte er.
„Was für ein schönes Paar ihr seid“, sagte die Königin mit einem strahlenden Lächeln als sie eintraten.
Thanos biss sich auf die Lippe und bot Stephania einen Stuhl neben ihm an.
Nachdem alle eingetroffen waren, erhob sich der König und die Versammlung verstummte. Sein Onkel trug eine knielange Toga, doch im Gegenzug zu den weißen, roten und blauen Gewändern der Anderen, war seines in violett, der Farbe, die dem König vorbehalten war. Auf seinem zunehmend haarlosen Haupt thronte ein goldener Kranz und seine Wangen und Lider schienen trotz eines Lächelns zu hängen.
„Die Massen sind aufsässig“, sagte er mit seiner ernsten Stimme langsam. Er ließ seinen Blick mit der Autorität eines Königs über die Gesichter gleiten. „Die Zeit ist überreif, sie daran zu erinnern, wer hier der König ist. Strengere Gesetze müssen eingeführt werden. Vom heutigen Tage an werden deshalb die Abgaben auf Eigentum und Nahrung verdoppelt.“
Ein überraschtes Murmeln setzte ein, das von zustimmendem Nicken gefolgt wurde.
„Eine vortreffliche Idee, Eure Exzellenz“, sagte einer seiner Berater.
Thanos konnte seinen Ohren nicht trauen. Die Steuern verdoppeln? Er hatte sich mit Bürgerlichen unterhalten und wusste, dass die bisher verlangten Abgaben bereits mehr waren, als die meisten leisten konnten. Er hatte Mütter gesehen, die den Tod ihres verhungerten Kindes beweinten. Erst gestern hatte er einem obdachlosen, vier Jahre alten und klapperdürren Mädchen etwas zu essen gegeben.
Thanos musste den Blick senken, um nicht dem Drang Einspruch gegen diese kranke Idee zu erheben nachzugeben.
„Und außerdem“, fuhr der König fort, „wird von nun an der erstgeborene Sohn einer jeden Familie in der königlichen Armee dienen. Auf diese Weise werden wir der sich im Untergrund formierenden Revolutionsbewegung entgegenwirken.“
Einer nach dem anderen beglückwünschte den König zu dieser weisen Entscheidung.
Doch dann wendete sich der König Thanos zu.
„Thanos“, sagte der König schließlich. „Du hast bisher geschwiegen. Sprich!“
Es wurde still in der Gartenlaube und alle Augen richteten sich auf Thanos. Er stand auf. Er wusste, dass er dem verhungernden Mädchen, der trauernden Mutter, all denjenigen deren Leben scheinbar nicht zählte, eine Stimme geben musste. Er musste für sie sprechen, denn es würde sonst niemand tun.
„Noch strengere Regeln werden die Rebellion nicht brechen“ sagte er mit klopfendem Herzen. „Sie werden sie damit nur noch mehr ermuntern. Die Bürger in Angst und Schrecken zu versetzen und ihnen jegliche Freiheit abzusprechen, wird sie der Revolution gegen uns in die Arme treiben.“
Ein paar Leute lachten, andere besprachen sich untereinander. Stephania nahm seine Hand und versuchte ihn damit vorzeitig zum Schweigen zu bringen, doch er entzog sich diesem Versuch.
„Ein großer König macht von Liebe und Angst Gebrauch, um seine Untergebenen zu regieren“, sagte Thanos.
Der König warf der Königin einen nervösen Blick zu. Er erhob sich und ging zu Thanos hinüber.
„Thanos du hast Mut bewiesen, deine Meinung hier vorzubringen“, sagte er und legte dabei eine Hand auf seine Schulter. „Doch war es nicht dein jüngerer Bruder, der kaltblütig von diesen Menschen ermordet wurde, Menschen, die sich selbst regierten wie du sagst?“
Thanos kochte innerlich. Wie konnte sein Onkel es wagen den Tod seines Bruders an dieser Stelle so leichtfertig einzusetzen? Seit Jahren trauerte Thanos jede Nacht vor dem Einschlafen um seinen verlorenen Bruder.
„Diejenigen, die meinen Bruder ermordeten, hatten nicht genug Essen, um am Leben zu bleiben“, sagte Thanos. „In der Verzweiflung ergreift der Mensch verzweifelte Maßnahmen.“
„Stellst du etwa die Weisheit des Königs in Frage?“ fragte die Königin.
Thanos konnte einfach nicht glauben, dass niemand dagegen Einspruch erhob. Sahen sie denn nicht wie ungerecht dieser Vorschlag war? Erkannten sie denn nicht, dass diese neuen Gesetze Öl in das Feuer der Revolution gießen würden?
„Du wirst den Leuten damit nicht einen Moment lang glauben machen können, dass es dir um etwas anderes ginge, als ihnen Leid zuzufügen und deinen eigenen Vorteil zu suchen“, sagte Thanos.
Aus der Gruppe kam Widerspruch.
„Das sind harte Worte, Neffe“, sagte der König und blickte ihm in die Augen. „Ich habe fast den Eindruck, du würdest dich gerne der Rebellion anschließen.“
„Oder vielleicht hat er das bereits?“ sagte die Königin mit skeptischem Blick.
„Habe ich nicht“, knurrte Thanos.
Die Luft in dem Pavillon begann zu brennen und Thanos realisierte, dass, wenn er jetzt nicht aufpasste, er leicht wegen Verrats angeklagt werden konnte – ein Verbrechen auf das die Todesstrafe ohne Prozess stand.
Stephania stand nun auch auf und griff erneut nach Thanos’ Hand – von ihrer Geste genervt, befreite er jedoch erneut seine Hand aus ihrer Umklammerung.
Stephania erbleichte und blickte zu Boden.
„Vielleicht wirst du im Laufe der Zeit erkennen, dass deine Ansichten falsch sind“, sagte der König zu Thanos. „Das neue Gesetz ist beschlossene Sache und soll sofort umgesetzt werden.“
„Gut“, sagte die Königin und lächelte plötzlich. „Nun lasst uns zum zweiten Punkt der heutigen Agenda kommen. Thanos, du bist ein junger Mann von neunzehn Jahren und wir – deine kaiserlichen Vormünder – haben dir eine Frau ausgewählt. Wir haben uns dafür entschieden, dir Stephania zur Frau zu geben.“
Thanos blickte zu Stephania hinüber, ihre Augen waren von Tränen erfüllt und ein besorgter Ausdruck stand ihr im Gesicht geschrieben. Er war angewidert. Wie konnten sie so etwas von ihm verlangen?
„Ich kann sie nicht heiraten“, flüsterte Thanos und ein Kloß bildete sich in seinem Hals.
Ein Murmeln ging durch die Menge und die sprang so schnell auf, dass ihr Stuhl mit einem Krachen rücklings zu Boden fiel.
„Thanos!“ schrie sie und ballte die Fäuste. „Wie kannst du es wagen, dich dem König zu widersetzen? Du wirst Stephania heiraten, ob du es willst oder nicht.“
Beim Anblick der Tränen, die Stephania über die Wangen flossen, warf Thanos ihr einen mitleidigen Blick zu.
„Glaubst du zu gut für mich zu sein?“ fragte sie und ihre Unterlippe bebte.
Er tat einen Schritt auf sie zu und wollte ihr so gut er eben konnte Trost spenden, doch noch bevor er sie erreichen konnte, lief sie bitterlich weinend aus dem Pavillon.
Der König erhob sich sichtlich verärgert.
„Verschmähe sie, mein Sohn“, sagte er und seine Stimme donnerte plötzlich kalt und hart durch die Gartenlaube, „und du landest im Kerker.“
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