Sie merkte, dass sie rot wurde. Sie hätte gerne gesagt, dass sie keine Angst gehabt hatte, doch das stimmt nicht.
„Ich war angespannt“, gab sie zu.
„Ciri angespannt? Niemals.“ Er küsste ihren Kopf und sie drangen weiter in das Innere des Stadions vor.
Sie fanden einige Sitze in den unteren Rängen und nahmen Platz. Ceres war berauscht. Sie würde die Ereignisse des heutigen Tages hinter sich lassen und in die Aufregung der jubelnden Massen miteinstimmen.
„Siehst du die da?“
Ceres folgte Rexus’ Finger und blickte nach oben zu einer der Dutzend Boxen, in denen Jugendliche saßen und an silbernen Weinbechern nippten. Sie hatte noch nie in ihrem Leben solch prachtvolle Kleidung gesehen, noch nie Tische, die vor köstlichem Essen geradezu überquollen und auch die Fülle an glitzernden Juwelen war ihr fremd. Keiner von ihnen hatte eingefallene Wangen oder Hungerbäuche.
„Was machen die dort?“ fragte sie als sie beobachtete wie einer von ihnen Münzen in einem goldenen Becher einsammelte.
„Einem jeden von ihnen gehört ein Kampfherr“, sagte Rexus, „und sie wetten darauf welcher gewinnen wird.“
Ceres stöhnte. Sie verstand, dass es für diese Leute nichts als ein Spiel war. Es war klar, dass die verwöhnten Jugendlichen sich wenig um Kämpfer oder Kampfkunst scherten. Sie wollten einfach nur sehen, ob ihr Kampfherr würde gewinnen können. Für Ceres ging es bei dieser Veranstaltung jedoch um Ehre, Mut und Technik.
Die königlichen Banner waren gehisst, Trompeten ertönten und als die ehernen Tore an beiden Enden des Stadions aufsprangen, marschierte ein Kampfherr nach dem anderen aus den schwarzen Löchern der Anlage. Ihre Rüstungen fingen das Sonnenlicht und warfen Lichtstrahlen in die Menge.
Die Menge tobte als diese Kampfmaschinen in die Arena marschierten. Ceres ließ sich von den Beifall klatschenden Massen mitreißen und sprang auf. Die Kämpfer erreichten in einem mit dem Gesicht nach außen gekehrten Zirkel ihre Positionen. Ihre Äxte, Schwerter, Speere, Schilder, Dreizacke, Peitschen und anderen Waffen reckten sie in die Luft.
„Wohlergehen dem König Claudius“, schrien sie.
Wieder wurden Trompeten geblasen und der goldene Wagen von König Claudius und Königin Athena sauste durch einen der Eingänge in die Arena. Es folgten der Wagen mit Kronprinz Avilius und Prinzessin Floriana und schließlich die restliche königliche Entourage und Sippschaft. Jeder der Wägen wurde von zwei schneeweißen mit Gold und Juwelen geschmückten Schimmeln gezogen.
Ceres machte unter ihnen Prinz Thanos aus und sie war angewidert vom finsteren Blick des Neunzehnjährigen. Wenn sie Schwerter für ihren Vater auslieferte, hatte sie gelegentlich gesehen wie der Prinz mit den Kampfherren im Palast sprach. Ihm stand stets dieser Ausdruck von Verachtung und Hochmut ins Gesicht geschrieben. Sein Körperbau stand in nichts dem der Kämpfer nach – man hätte ihn leicht für einen halten können. Seine Arme waren muskelbepackt, seine Hüften straft und definiert und seine Beine glichen zwei harten Baumstämmen. Dennoch machte sein offenkundiger Mangel an Respekt und Leidenschaft für seine Position Ceres wütend.
Trompeten erschallten als die Angehörigen des Königshauses zu ihren Podiumsplätzen paradierten und damit den Beginn der Tötungen anzeigten.
Die Menge brüllte als alle Kampfherren bis auf zwei wieder hinter den Eisentoren verschwanden.
Ceres erkannte, dass es sich bei dem einen um Stefanus handelte. Den anderen jedoch, der nichts als einen beschirmten Helm und einen von einem Ledergürtel gehaltenen Lendenschutz trug, konnte sie nicht zuordnen. Vielleicht war er von weit her angereist um an den Kämpfen teilzunehmen. Seine gut eingeölte Haut glich der Farbe fruchtbaren Bodens und sein Haar war so schwarz wie die Nacht. Durch die Schlitze in seinem Helm konnte Ceres die Entschlossenheit in seinen Augen sehen und sie wusste sogleich, dass Stefanus’ letzte Stunde geschlagen hatte.
„Keine Sorge“, sagte Ceres und blickte zu Nesos hinüber. „Du kannst dein Schwert behalten.“
„Noch hat er nicht verloren“, antwortete Nesos mit einem Grinsen. „Stefanus würde nicht so weit oben auf der Favoritenliste stehen, wenn er nichts zu bieten hätte.“
Als Stefanus seinen Dreizack und sein Schwert in die Luft schwang wurde es still.
„Stefanus!“ rief mit erhobener und geballter Faust einer der wohlhabenden jungen Männer aus einer der Kabinen. „Stärke und Mut!“
Stefanus nickte in Richtung des jungen Mannes und die Menge bekundete brüllend ihre Zustimmung und dann stürzte er sich mit voller Kraft auf den Weithergereisten. Dieser wich geschickt aus, drehte sich und schlug mit seinem Schwert nach Stefanus, den er nur um wenige Zentimeter verfehlte.
Ceres zuckte zusammen. Bei solchen Reflexen würde Stefanus nicht lange durchhalten. Immer wieder auf Stefanus’ Schild einschlagend stieß der Fremde laute Kampfschreie aus während Stefanus weiter zurückwich. Aus einer Geste der Verzweiflung stieß Stefanus dem Fremden eine Ecke seines Schilds ins Gesicht. Blut schoss durch die Luft und sein Feind taumelte zu Boden.
Ceres gefiel dieser Schachzug. Vielleicht hatte sich Stefanus’ Technik verbessert seitdem sie ihn das letzte Mal trainieren gesehen hatte.
„Stefanus! Stefanus! Stefanus!“ skandierten die Zuschauer im Chor.
Stefanus richtete sich zu Füßen des verletzten Kriegers auf, doch in dem Moment als er ihm den Todesstoß mit seinem Dreizack verpassen wollte, hob der Fremde seine Beine und trat Stefanus mit voller Wucht, sodass er rückwärts stolperte und auf seinem Hinterteil landete. Beide sprangen katzengleich auf ihre Füße und standen sich erneut gegenüber.
Keiner ließ den anderen aus den Augen und sie begannen sich lauernd im Kreis zu bewegen. Die Luft war zum zerreißen angespannt.
Der Fremde fletschte die Zähne, schwang sein Schwert in die Luft und rannte auf Stefanus zu. Stefanus wich rasch zur Seite aus und erwischte ihn mit seinem Schwert am Oberschenkel. Im Gegenzug schwang der Fremde sein Schwert herum und verletzte Stefanus am Arm.
Beide Kämpfer brüllten vor Schmerz, doch schienen die Wunden sie nur noch mehr in Rage zu versetzen statt sie auszubremsen. Der Fremde riss sich seinen Helm vom Kopf und schmiss ihn auf den Boden. Von dem schwarzen Bart seines Kinns rann Blut, sein rechtes Auge war geschwollen, doch in seinem Gesichtsausdruck konnte Ceres erkennen, dass er es satt hatte Spielchen mit Stefanus zu spielen. Er wollte ihn jetzt einfach nur noch töten. Aber wie schnell würde es ihm gelingen ihn abzuschlachten?
Stefanus ging auf den Fremden los und Ceres schnappte nach Luft als Stefanus’ Dreizack mit dem Schwert seines Kontrahenten zusammenstieß. Auge in Auge versuchte ein jeder die Oberhand zu gewinnen. Sie stöhnten, keuchten und schoben, ihre Adern traten hervor und Muskeln spielten unter ihrer verschwitzten Haut.
Der Fremde duckte sich und wrang sich aus dem Griff ihrer Waffen frei. Zu Ceres’ Überraschung wirbelte er wie ein Tornado herum, ließ sein Schwert durch die Luft rauschen und enthauptete Stefanus.
Nach einigen Atemzügen hob der Fremde triumphierend seinen Arm in die Luft.
Die Menge verstummte für eine Sekunde. Auch Ceres. Sie blickte zu dem jungen Mann, dem Stefanus gehört hatte. Sei Mund stand sperrangelweit offen, seine Augenbrauen waren wütend zusammengezogen.
Der junge Mann schmetterte seinen Silberbecher in die Arena und stürmte aus seinem Rang. Der Tod macht die Menschen gleich, dachte Ceres und musste ein Lächeln unterdrücken.
„August!“ schrie ein Mann in der Menge. „August! August!“
Ein Zuschauer nach dem anderen stimmte mit ein, bis das gesamte Stadion den Namen des Siegers rief. Der Fremde verbeugte sich vor König Claudius. Dann kamen drei andere Kämpfer von den Eisentoren hergelaufen um ihn abzulösen.
Einem Kampf folgte der nächste und so verging der Tag. Ceres beobachtete aufmerksam jeden einzelnen. Sie war sich nicht sicher, ob sie die Tötungen hasste oder liebte. Auf der einen Seite faszinierten sie die Strategien, die Fähigkeiten und der Mut der Herausforderer; auf der anderen Seite widerte es sie an, wie die Kämpfer nichts als Spielsteine der Reichen waren.
Im letzten Kampf der ersten Runde kämpften Brennius und ein anderer Kämpfer gleich neben den Sitzplätzen von Rexus, Ceres und ihren Brüdern. Sie kamen immer näher, ihre Schwerter klirrten, Funken flogen. Es war berauschend.
Ceres sah wie Sartes sich über die Brüstung lehnte, seine Augen gebannt auf die Kämpfenden gerichtet.
„Lehn dich zurück!“ rief sie zu ihm hinüber.
Doch noch bevor er antworten konnte sprang plötzlich eine Omnikatze aus der Bodenklappe auf der anderen Seite des Stadions. Das gigantische Biest leckte sich die Pfoten und seine Klauen gruben sich in den roten Dreck als es sich auf den Weg zu den Kämpfern machte. Diese hatten das Tier noch nicht bemerkt und das Stadion hielt den Atem an.
„Brennius ist so gut wie tot“, murmelte Nesos.
„Sartes!“ rief Ceres erneut. „Ich habe dir doch gesagt –“
Sie konnte den Satz nicht zu Ende führen. Denn in diesem Augenblich zerbröckelte der Stein unter Sartes’ Händen und noch bevor irgendjemand reagieren konnte, stürzte er über die Brüstung in die Grube hinein. Er landete mit einem Bums auf dem Boden.
„Sartes!“ schrie Ceres vor Entsetzen und sprang auf die Füße.
Ceres blickte nach unten zu Sartes, er saß drei Meter unter ihr gegen die Wand gelehnt. Seine Unterlippe bebte, aber er vergoss keine Träne. Kein Wort. Er hielt seinen Arm und blickte nach oben, sein Gesicht war vor Schmerzen verzogen.
Ihn dort unten so zu sehen, war mehr als Ceres ertragen konnte. Ohne Nachzudenken zog sie Nesos’ Schwert und sprang über die Brüstung in die Grube. Sie landete genau vor ihrem jüngeren Bruder.
„Ceres!“ schrie Rexus.
Sie blickte nach oben und sah wie zwei Wächter Rexus und Nesos davonschleppten noch bevor sie ihr hätten folgen können.
Ceres stand in der Grube. Beim Gedanken hier unten mit den Kämpfern in der Arena zu sein beschlich sie ein seltsames Gefühl. Sie wollte Sartes hier rausholen, doch sie hatte keine Zeit. Also stellte sie sich vor ihm auf, fest entschlossen ihn vor der fauchenden Omnikatze zu beschützen. Diese machte einen Buckel und ihre bösen gelben Augen fixierten Ceres. Gefahr machte sich breit.
Sie zog Nesos’ Schwert und umklammerte es fest mit beiden Händen.
„Lauf Mädchen!“ schrie Brennius.
Aber es war zu spät. Die Omnikatze nahm bereits Anlauf und war nur noch wenige Meter entfernt. Ceres trat noch näher an Sartes heran. Doch kurz bevor das Tier angreifen konnte sprang Brennius von der Seite dazwischen und hieb dem Tier ein Ohr ab.
Die Omnikatze bäumte sich auf ihren hinteren Tatzen stehend auf und knurrte. Sie riss einen Brocken aus der Mauer hinter Ceres. Violettes Blut befleckte ihr Fell.
Die Menge tobte.
Der zweite Kampfherr kam nun auch näher, doch bevor er dem Biest noch irgendeinen Schaden zufügen konnte, schlitzte die Omnikatze ihm mit ihren Klauen die Kehle auf. Der Krieger ging zu Boden, seine Hände um den Hals geklammert, Blut sickerte durch seine Finger.
Die bluthungrige Menge jubelte.
Die Katze fauchte und traf Ceres mit solch einer Wucht, dass sie durch die Luft flog und auf den Boden prallte. Beim Aufprall glitt ihr das Schwert aus der Hand und landete einen Meter neben ihre.
Ceres’ Lungen waren wie zugeschnürt. Nach Luft japsend drehte sich ihr der Kopf und sie versuchte sich auf ihren Füßen und Händen fortzubewegen, doch schnell kippte sie wieder um.
Atemlos lag sie dort mit dem Gesicht gegen den rauen Sand gepresst. Sie sah wie die Omnikatze sich nun auf Sartes zubewegte. Ihren Bruder in solch einer hilflosen Position sehend entfachte das Feuer in ihr. Sie zwang ihr Lungen sich zu öffnen und erkannte in vollkommener Klarheit was sie zu tun hatte um ihren Bruder zu retten.
Energie schoss durch ihren Körper und gab ihr Kraft. Sie stand auf, nahm das Schwert und preschte so schnell nach vorne auf das Biest zu, dass sie glaubte zu fliegen.
Das Biest war jetzt noch drei Meter von ihr entfernt. Zweieinhalb, zwei, einen Meter.
Ceres biss die Zähne zusammen und schwang sich auf den Rücken des Biests. Sie grub entschlossen ihre Finger in das borstige Fell des Tieres und versuchte es von ihrem Bruder abzulenken.
Die Omnikatze stellte sich auf seinen Hinterpfoten und versuchte Ceres mit aller Kraft abzuwerfen. Aber Ceres’ eiserner Griff und ihr Entschlossenheit waren stärker als die Versuche des Tieres sie abzuschütteln.
Als das Tier wieder auf seine Viere fiel, nutze Ceres die Gelegenheit. Sie hob ihr Schwert in die Luft und stach dem Tier in den Nacken.
Das Tier kreischte und stellte sich erneut auf. Die Menge kochte.
Es schwang seine Tatze nach hinten und durchbohrte Ceres’ Rücken. Ceres schrie vor Schmerzen, denn die Klauen fühlten sich so an, als hätte jemand Dolche in ihren Rücken gestoßen. Die Omnikatze bekam sie zu fassen und schleuderte sie gegen die Mauer. Sie landete zwei Meter neben Sartes.
„Ceres!“ schrie Sartes.
Ihre Ohren rauschten und Ceres hatte Mühe aufrecht zu sitzen. Ihr Hinterkopf pochte und etwas Warmes rann ihren Nacken hinab. Doch sie hatte keine Zeit herauszufinden wie schlimm die Wunde war. Die Omnikatze setzte bereits zum nächsten Angriff auf sie an.
Schon war die Katze vor ihr und Ceres’ Optionen erschöpft. Ohne überhaupt nachzudenken, hob sie ihre Hand und hielt sie mit der Handinnenfläche nach außen gestreckt vor sich. Sie glaubte, dass es das letzte war was sie sehen würde.
Doch gerade als die Omnikatze sich auf sie stürzen wollte, spürte Ceres wie ein Feuerball in ihrer Brust entflammte und plötzlich fühlte sie einen Energieball aus ihrer Hand schießen.
Das Biest gefror im Flug.
Es krachte auf den Boden und kam rutschend auf seinen Beinen zum stehen. Ceres hielt den Atem an und erwartete, dass das Tier nun gleich wieder zu sich kommen und ihr den Rest geben würde. Doch es stand einfach nur dort und bewegte sich nicht.
Verblüfft starrte Ceres auf ihre Hand. Die Menge hatte nicht gesehen was da aus ihrer Hand gekommen war und so dachte sie, dass Ceres das Tier wahrscheinlich mit ihrem Schwert erstochen hatte. Aber sie wusste es besser. Eine geheimnisvolle Kraft war ihrer Hand entwichen und hatte das Biest augenblicklich getötet. Was war das für eine Kraft gewesen? Es war das erste Mal, dass ihr so etwas passiert war und sie war sich nicht sicher, was sie davon halten sollte.
Wer war sie, dass sie solche Kräfte besaß?
Ängstlich ließ sie ihre Hand sinken.
Zögernd hob sie den Blick und sah, dass das Stadion verstummt war.
Und sie fragte sich nur, ob sie es auch gesehen hatten?
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