Luke stand wieder auf. Martinez war in der Nähe des Haufen Leichen, die einst das Zielobjekt beschützt hatten. Alle erschienen tot, alle außer einem, der Mann, der ganz hinten gestanden war. Er war groß, noch recht jung, mit einem großen schwarzen Bart, der mit ein wenig Grau gepfeffert war. Er lag zwischen den Gefallenen - von Kugeln zerlöchert, aber noch lebendig.
Martinez zielte mit der Pistole auf ihn herab.
„Wie heißt der Typ? Der, nach dem wir suchen?”
„Abu Mustafa Faraj al-Jihadi?” sagte Luke. Es war nicht wirklich eine Frage. Wenn es überhaupt etwas war, dann nur eine Reihe von Silben.
Der Mann nickte. Er sagte nichts. Er sah aus, als hätte er Schmerzen.
Luke nahm die kleine digitale Kamera aus seiner Weste heraus. Die Kamera war mit Hartgummi ummantelt. Man konnte sie auf den Boden werfen und sie zerbrach dabei nicht. Er spielte eine Sekunde mit ihr herum und nahm dann einige Schnappschüsse von dem Mann. Er prüfte die Bilder, bevor er die Kamera ausschaltete. Sie waren in Ordnung - nicht gerade professionelle Qualität, doch Luke arbeitete nicht für den National Geographic. Er brauchte nur Beweise. Er blickte auf den Terroristenanführer herab.
„Wir haben dich”, sagte Luke. „Danke, dass du mitgespielt hast.”
BUMM!
Martinez schoss einmal und der Kopf des Mannes zerplatzte.
„Mission erfüllt”, sagte Martinez. Er schüttelte seinen Kopf und ging weg.
Lukes Funkgerät knisterte.
„Stone? Wo bist du?”
„Murphy. Was ist der Status?”
Murphys Stimme erklang abgehackt. „Ein Blutbad hier draußen. Ich habe drei Mann verloren. Aber wir haben eine ihrer großen Waffen beschlagnahmt und eine Öffnung freigeschlagen. Wenn wir hier raus wollen, dann müssen wir JETZT SOFORT los.”
„Wir kommen in einer Minute raus.”
„Ich würde nicht so lange warten”, sagte Murphy. „Nicht, wenn ihr leben wollt.”
Sechs Mann rannten durch das Dorf.
Nach der Schlacht war der Ort wie eine Geisterstadt. Luke erwartete jederzeit, dass Schüsse oder Raketen aus den winzigen Häusern kamen. Doch nichts geschah. Es schien, als gäbe es nicht einmal mehr Leute hier.
Aus der Richtung, aus der sie kamen, stieg Rauch auf. Die Mauern des Lagers waren zerstört. Der Helikopter brannte weiter, die Flammen knisterten in der gespenstischen Stille.
Luke konnte das heftige Atmen der anderen Männer hören, die mit Ausrüstung und Waffen bergauf rannten. Binnen zehn Minuten hatten sie es zu dem alten Stützpunkt auf dem steinigen Hügel außerhalb des Dorfes geschafft.
Zu Lukes Überraschung war es dort OK. Natürlich waren hier keine Vorräte gelagert - doch die Sandsäcke waren noch an ihrem Platz und der Standpunkt erlaubte ihnen einen vorteilhaften Ausblick über das Umfeld. Luke konnte die Lichter in den Häusern und den brennenden Helikopter sehen.
„Martinez, versuche, Bagram über das Funkgerät zu erreichen. Wir müssen hier raus. Das Versteckspiel ist vorbei. Sag ihnen, dass sie überwältigende Feuerkraft schicken sollen. Wir müssen zurück in das Lager und unsere Männer dort herausbringen.”
Martinez nickte. „Ich hab’s dir gesagt, Mann. Irgendwann geht jedem das Glück aus.”
„Sag jetzt nichts, Martinez. Bring uns einfach raus hier, OK?”
„In Ordnung, Stone.”
Es war eine dunkle Nacht. Der Sandsturm war vorbei. Sie hatten immer noch Waffen. Entlang des Schutzwalles aus Sandsäcken luden seine Männer ihre Waffen und überprüften ihre Ausrüstung.
Es war nicht außer Frage, dass…
„Murphy, schieß eine Leuchtrakete ab”, sagte er. „Ich will mal sehen, mit wem wir es zu tun haben.”
„Damit wir unsere Position verraten?” fragte Murphy.
„Ich glaube, die wissen womöglich, wo wir sind”, antwortete Luke.
Murphy zuckte mit den Schultern und schoss eine in die Nacht hinauf.
Die Leuchtrakete bewegte sich langsam durch den Himmel und warf einen gespenstischen Schatten auf das felsige Terrain unter ihnen. Der Boden schien fast zu kochen. Luke starrte und starrte, versuchte zu verstehen, was er da sah. Dort unten gab es so viel Aktivität, es war wie eine Ameisenfarm oder ein Rattenschwarm.
Es waren Männer. Hunderte von Männern bewegten sich, ihre Ausstattung und ihre Waffen methodisch in Position.
„Ich schätze, du hast recht”, sagte Murphy. „Die wissen, dass wir hier sind.”
Luke blickte Martinez an.
„Martinez, wie sieht es mit der Abholung aus?”
Martinez schüttelte seinen Kopf. „Die sagen, dass sei unmöglich. Nichts außer fürchterlichen Sandstürmen zwischen dem Stützpunkt und hier. Sichtbarkeit gleich Null. Die kriegen die Helikopter nicht mal in die Luft. Sie sagen, wir sollen bis Morgen durchhalten. Der Wind soll nach Sonnenaufgang nachlassen.”
Luke starrte ihn an. „Da müssen die schon mehr leisten.”
Martinez zuckte mit den Schultern. „Können sie nicht. Wenn die Helikopter nicht fliegen, dann fliegen sie nicht. Ich wünschte, diese Stürme hätten begonnen, bevor wir loszogen.”
Luke starrte hinaus auf die brodelnde Menge von Taliban auf den Hügeln unter ihnen. Er wandte sich wieder an Martinez.
Martinez öffnete seinen Mund als ob er reden wollte.
Luke zeigte auf ihn. „Sag es nicht. Bereite dich einfach auf den Kampf vor.”
„Ich bin immer kampfbereit”, antwortete Martinez.
Das Gefecht begann Momente später.
Martinez schrie.
„Die rücken von allen Seiten an!”
Seine Augen waren weit aufgerissen. Seine Waffen verschwunden. Er hatte eine AK-47 von den Taliban genommen und bajonettierte jeden, der über die Mauer kam. Luke schaute ihm voll Horror zu. Martinez war eine Insel, ein kleines Boot in einem Meer von Taliban Kämpfern.
Und er ging unter. Dann war er weg, unter einem Haufen verschwunden.
Sie versuchten nur, bis zum Morgen zu überleben, doch die Sonne weigerte sich, aufzugehen. Die Munition war ihnen ausgegangen. Es war kalt und Luke trug kein Hemd. Er hatte es sich in der Hitze des Gefechts vom Leib gerissen.
Taliban Kämpfer mit Bärten und Turbanen strömten über die Mauern des Stützpunktes. Männer schrien überall um ihn herum.
Ein Mann kam mit einem Metallbeil über die Mauer.
Luke schoss ihn ins Gesicht. Der Mann fiel tot gegen die Sandsäcke. Jetzt hatte Luke das Beil. Er watete zwischen den Kämpfern, die Martinez umringten, und schwang es wild um sich. Blut spritzte. Er hakte an ihnen, zerschnetzelte sie.
Martinez tauchte wieder auf, stand erneut auf den Beinen und stach mit dem Bajonett zu.
Luke vergrub das Beil im Schädel eines Mannes. Es saß tief. Er konnte es nicht herausziehen. Selbst mit dem Adrenalin, das durch seinen Organismus rauschte, hatte er nicht mehr genügend Kraft. Er sah Martinez an.
„Alles in Ordnung?”
Martinez zuckte mit den Schultern. Er zeigte auf die Körper um sie. „Es ging mir schon mal besser, sagen wir es so.”
Zu Lukes Füßen lag eine AK-47. Er nahm sie auf und prüfte das Magazin. Leer. Luke warf sie weg und zog seine Handwaffe hervor. Er feuerte den Schützengraben hinunter - er war von Feinden überfüllt. Eine Reihe von ihnen rannten auf sie zu. Mehr von ihnen rutschten, fielen, sprangen über die Mauer.
Wo waren seine Jungs? War sonst noch jemand am Leben?
Er tötete den nächsten Mann mit einem Schuss ins Gesicht. Sein Kopf explodierte wie eine Cherry-Tomate. Er ergriff den Mann bei seiner Robe und hielt ihn als Schutzschild hoch. Der kopflose Mann war leicht - als ob seine Leiche leere Kleidung wäre.
Er tötete vier Mann mit vier Schuss. Er feuerte weiter.
Dann gingen ihm die Kugeln aus. Wieder.
Ein Taliban rannte mit einer AK-47 auf ihn zu, ein Bajonett steckte auf der Waffe. Luke drückte die Leiche auf ihn und warf dann seine Waffe wie einen Tomahawk. Sie sprang vom Kopf des Mannes ab, lenkte ihn einen Moment ab. Luke benutzte diese Zeit. Er schritt zum Angriff, rutschte am Rand des Bajonetts entlang. Dann drückte er zwei Finger tief ihn die Augen des Mannes und zog sie wieder heraus.
Der Mann schrie. Er riss seine Hände zu seinem Gesicht herauf. Jetzt hatte Luke die AK. Er bajonettierte seinen Feind in die Brust, zwei, drei, vier Mal. Er stach tief zu.
Der Mann tat seinen letzten Atemzug direkt in Lukes Gesicht.
Lukes Hände suchten den Körper des Mannes ab. Die frische Leiche hatte eine Granate in der Brusttasche. Luke nahm sie, entsicherte sie und warf sie über den Schutzwall in die sich annähernden Horden.
Er ließ sich zu Boden fallen.
BUMM.
Die Explosion war direkt dort, spritzte Dreck, Steine, Blut und Knochen um sich. Die Mauer aus Sandsäcken fiel über ihm zusammen.
Luke zog sich wieder auf die Beine, er hörte nichts, seine Ohren klingelten. Er prüfte die AK. Leer. Doch er hatte immer noch das Bajonett.
„Macht schon, ihr Schweine!” schrie er. „Macht schon!”
Mehr Männer kamen über die Mauer und er erstach sie wie im Rausch. Er zerriss und zerkratzte sie mit seinen bloßen Händen. Er erschoss sie mit ihren eigenen Waffen.
Ein Mann überquerte die Überreste der Mauer. Er war kein Mann - er war ein Junge. Er hatte keinen Bart. Er brauchte keinen Rasierer. Seine Haut war sanft und dunkel. Seine braunen Augen waren rund vor Horror. Er hielt seine Hände vor seine Brust.
Luke trat dem Jungen entgegen - er war vielleicht vierzehn. Weitere kamen hinter ihm heran. Sie rutschten und fielen über die Barriere. Der Durchgang war von Leichen verstopft.
Warum hält er seine Hände so?
Luke wusste warum. Er war ein Selbstmordattentäter.
„Granate!” schrie Luke, selbst wenn niemand am Leben war, um ihn zu hören.
Er sprang nach hinten, kroch unter eine Leiche, dann eine weitere. Es gab so viele, er kroch und kroch, grub sich tiefer in Richtung Mittelpunkt der Erde, legte eine Decke aus toten Männern zwischen sich und den Jungen.
BUMM!
Er hörte die Explosion, gedämpft durch die Leichen und er spürte die Hitzewelle. Er hörte die Schreie der nächsten Welle von Sterbenden. Doch dann kam eine weitere Explosion und noch eine.
Eine weitere.
Luke verlor das Bewusstsein. Vielleicht war er getroffen. Vielleicht starb er. Falls dies Sterben war, dann war es nicht so schlimm. Er spürte keinen Schmerz.
Er dachte an den Jungen - ein dürrer Teenager, dick um den Bauch, wie ein tonnenförmiger Mann. Das Kind trug eine Selbstmordweste.
Er dachte an Rebecca, dick mit einem Kind.
Dunkelheit überkam ihn.
Irgendwann war die Sonne aufgegangen, doch es lag keine Wärme in ihr. Der Kampf hatte irgendwie aufgehört - er konnte sich nicht daran erinnern, wann oder wie es vorbei war. Der Boden war felsig und hart. Überall lagen Leichen. Dünne, bärtige Männer waren über den Boden verstreut, ihre Augen weit geöffnet und starrend.
Luke. Sein Name war Luke.
Er saß auf einem Haufen Leichen. Er war unter ihnen aufgewacht, und er war wie eine Schlange unter ihnen herausgekrochen.
Sie waren hier wie Brennholz aufeinandergestapelt. Es gefiel ihm nicht, auf ihnen zu sitzen, doch es war praktisch. Sein Standort war hoch genug, damit er den Hügel durch die Überreste der Sandsackmauer hinuntersehen konnte, doch er hielt ihn tief genug, damit niemand, außer einem sehr guten Scharfschützen, auf ihn schießen könnte.
Der Taliban hatte nicht viele besonders gute Scharfschützen. Einige, aber nicht viele, und die meisten Taliban Mitglieder hier schienen jetzt tot zu sein.
In der Nähe sah er, wie einer den Hügel hinunterkroch, eine Blutspur hinterließ, wie die Schleimspur, die eine Schnecke hinter sich herzog. Er sollte wirklich losziehen und den Typen töten, doch er wollte es nicht riskieren, sich auf offenes Terrain zu begeben.
Luke blickte an sich herunter. Er sah nicht gut aus. Seine Brust war rot. Er war von dem Blut toter Männer durchtränkt. Sein Körper zitterte vor Hunger und Erschöpfung. Er starrte auf die umliegenden Berge, die gerade sichtbar wurden, als der Morgen graute. Es war ein wirklich schöner Tag. Dies war ein schönes Land.
Wie viele waren noch da draußen? Wie lange würde es dauern, bis sie kämen?
Er schüttelte seinen Kopf. Er wusste es nicht. Es war eigentlich sowieso egal. Auch nur einer wäre wahrscheinlich schon zu viel.
Martinez lag tief im Schützengraben auf seinem Rücken. Er weinte. Er konnte seine Beine nicht bewegen. Er hatte genug. Er wollte sterben. Luke bemerkte, dass er Martinez jetzt schon eine Weile ignoriert hatte.
„Stone”, sagte er. „Hey, Stone. Hey! Bring mich um, Mann. Bring mich einfach um. Hey, Stone! Hör mir zu, Mann!”
Luke fühlte sich betäubt.
„Ich werde dich nicht umbringen, Martinez. Du kommst wieder in Ordnung. Wir kommen hier raus und die Ärzte flicken dich wieder zusammen. Also mach mal langsam… OK?”
In der Nähe saß Murphy auf einem hervorstehenden Felsen und starrte durch die Luft. Er versuchte nicht einmal, in Deckung zu gehen.
„Murph! Komm hier runter. Willst du, dass ein Scharfschütze dir eine Kugel durch den Kopf jagt?”
Murphy drehte sich um und blickte Luke an. Seine Augen waren einfach… fort. Er schüttelte seinen Kopf. Ein Seufzen entrang ihm. Es klang fast wie Gelächter. Er bewegte sich keinen Zentimeter.
Murphy zog eine Pistole hervor, während Luke ihn beobachtete. Es war unglaublich, dass er noch eine Waffe bei sich hatte. Luke hatte mit bloßen Händen, Steinen und scharfen Gegenständen gekämpft…
Er wusste nicht, für wie lange.
Murphy legte den Lauf der Pistole an seine Schläfe und blickte dabei Luke die ganze Zeit an. Er drückte auf den Abzug.
Klick.
Er drückte mehrere weitere Male auf den Abzug.
Klick, klick, klick, klick… klick.
„Leer”, sagte er.
Er warf die Pistole weg. Sie schepperte den Hügel hinunter.
Luke beobachtete, wie die Waffe wegsprang. Es schien viel länger als er sich hätte vorstellen können zu dauern. Schließlich kam sie bei einem Haufen loser Steine zum Halt. Er blickte wieder zu Murphy. Der saß einfach da und starrte ins Nichts.
Kämen weitere Taliban, dann wäre es vorbei mit ihnen. Keiner dieser Jungs hatte noch Kraft zu kämpfen und die einzige Waffe, die Stone blieb, war das verbogene Bajonett in seiner Hand. Für einen Moment dachte er müßig darüber nach, unter den Toten nach Waffen zu suchen. Er wusste nicht, ob er noch genügend Kraft hatte, um aufzustehen. Er müsste vielleicht stattdessen kriechen.
Eine Reihe schwarzer Insekten erschien in der Ferne am Himmel. Er wusste sofort, was das war. Helikopter. Militärhelikopter der Vereinigten Staaten, wahrscheinlich Black Hawks. Die Kavallerie war im Anmarsch. Es erfreute Luke nicht, erboste ihn ebenfalls nicht.
Er spürte überhaupt nichts mehr.
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