Читать книгу «Matisse / Матисс. Книга для чтения на немецком языке» онлайн полностью📖 — Александра Иличевского — MyBook.

VII

Wadja kämmt sich gern. Während Nadja sich wäscht und mit dem Finger die Zähne abreibt (sie macht das ganz vorsichtig und verzieht dann plötzlich das Gesicht – der obere Eckzahn tut weh), sitzt er mit überschlagenen Beinen und ist mit einem Aluminiumkamm zugange, dem zwei Zinken fehlen. Lange, sorgfältig streicht er die dichten schwarzen Wellen nach oben und zur Seite, drückt sie mit der Handfläche an, neigt den Kopf, betrachtet etwas in der Puderdose. Dann hält er die Zinken gegen das Licht, pustet geräuschvoll die Schuppen weg, zerquetscht bedächtig und geschickt mit dem Fingernagel eine losflitzende Laus, die wie eine winzige Schildkröte aussieht. Dann steckt er sich eine Zigarette an. Pustet den Rauch aus dem Mundwinkel zur Stirn hoch, kneift die Augen zusammen, mal korrigiert er mit einer Feile den etwa streichholzlangen Nagel am kleinen Finger*, mal untersucht er pingelig den Kamm, klopft ihn aus, hält ihn sich längs vor die Augen, ob er auch nicht verbogen ist. Und kämmt sich nach kurzer Überlegung damit den Bart.

Überhaupt ist Wadja eine prächtige Erscheinung. Dadurch ist er zwar seiner Umgebung ausgeliefert, aber gleichzeitig auch geschätzt, je nach Situation. Und für die hat Wadja ein genaues Gespür und kann sie in eine für ihn vorteilhafte Richtung lenken. In den östlichen Kampfkünsten gibt es Techniken, bei denen man sich die Energie des gegnerischen Angriffs zunutze macht. Doch wenn die Realität versteinert ist, wenn sie durch nichts zu einem Angriff provoziert wird, dann hat ein schwacher, unansehnlicher Körper der Welt nichts entgegenzusetzen – und erstickt unter der starren, ihn langsam überrollenden Realität.

Wadjas Körper ist klein, drahtig und gekrönt von einem überproportional großen Kopf, der mehr als die halbe Schulterbreite einnimmt. Seine prächtige Mähne trägt er gut frisiert, und mit seinen Zügen, den ausdrucksstarken Winkeln der Nasenflügel, dem breiten Mund und dem besonderen Lächeln, das immer lebhaft mit seinen Augen zusammenspielt, ähnelt er einem berühmten Menschen, dessen Gesicht absolut jeder kennt; ohne dass man allerdings wüsste, wer es ist. Dabei ist die Ähnlichkeit frappierend, viele sind irritiert: von dem offenen Rätsel seiner Erscheinung, das niemand auf die Schnelle[21] zu lösen vermag.

Erst Koroljow sollte später Wadjas geheimnisvolle Ähnlichkeit enträtseln. Die Entdeckung verblüffte ihn keineswegs, aber die Welt erschien ihm mit einem Mal durchschaubar. Wunder erstaunten Koroljow weniger als die schlichte Realität, denn er betrachtete das Wundersame als den Wesenskern der Welt, und darüber erstaunt zu sein, wäre ein Zeichen fehlenden Respekts …

Ebensowenig hatte er seinerzeit gestaunt, als er in der Metro einem Mann begegnete, der aussah wie Joseph Brodsky auf Fotos aus den 1960er Jahren. »Wahrscheinlich sein Sohn«, dachte sich Koroljow damals. »Oder doch nicht, sondern einfach nur einer, der ihm sehr ähnlich sieht. Ist ja auch egal. Gesichter sind, wie alles auf der Welt, flexibel klassifizierbar. Letzten Endes lernt der Mensch, insbesondere der einsame, die Wesen um sich herum nicht als Individuen wahrzunehmen, sondern als Typen. Ein Bettler sortiert die Passanten beispielsweise nicht nach Gesichtern, sondern nach Kategorien wie Großzügigkeit, Geiz, Mitgefühl oder Gleichgültigkeit …«

VIII

Der südliche Arm von Wadjas Biografie ist traurig. Ihmzufolge wurde er in einem Dorf bei Astrachan, in der Strelezkojer Steppe geboren. Stromleitungen summten über den menschenleeren Straßen, Häuser blickten blind durch verschlossene Fensterläden; gleich hinter dem Dorfrand wellten sich schwere Sandmassen, entrollte die Achtuba ihr Flussbett. Die Ufergebiete waren vom staubigen, harten Teppich der Schafweiden bedeckt, hier und dort knabberten einzelne Schafe, mal auch ganze Herden das unter ihren Lippen kaum nachgewachsene Gras, kräuselten sich kleine graue Inseln aus Kameldisteln. Kinder trieben mit Stäben verrostete Metallreifen am Ufer entlang, in den Vorgärten verstaubten bucklige Büsche aus Ringelblumen, Bögen der Sonnenhüte und rankende Weinreben. An einer Ausgrabungsstelle schwitzten Archäologen. Sie legten eine Zigarettenpause ein und hörten eine Lerche singen, die im fürs Auge unerträglichen Zenit Purzelbäume schlug[22].

Zum Wechsel der Jahreszeiten stimmte der Wind seine Leier an. Er trieb meterbreite Wogen stromaufwärts in den Wolganebenarm Aschuluk. Jenseits der Landstraße dampften orange Sandseen. Der Fährschlepper steckte manchmal eine Stunde lang im Flusslauf fest. Der Steuermann riss den Starthebel hin und her, hielt das Steuerrad mit dem Knie, rauchte gut und gerne eine halbe Schachtel weg, während die Maschine sich zentimeterweise durch die reißende Strömung arbeitete.

Im Mai kamen die Heringe von der Küste des Kaspischen Meers in den Aschuluk. Uferrand, Wasserkastanien, Riedgras waren voll ihrer schäumenden Milch. In Fässern und Plastiksäcken für Superphosphat-Dünger brachte Wadja den leicht gesalzenen Fettfisch nach Wolgograd, Tambow und Mitschurinsk.

Wie ein vom Orkan der Umbruchszeiten gejagtes Sandkorn stellte er sich eines Tages mit einem Kumpel an die Landstraße, und sie stoppten den Sattelzug eines Exportunternehmens, der mit einer Ladung von Chochloma-Souvenirs* in den Iran unterwegs war.

In Derbent sprangen sie ab. Zuerst verlegten sie auf einem Friedhof »Bruchstein«: verkleideten die Einfriedungen reicher Grabmäler, die Friedhofsmauer, den Sockel der Friedhofswerkstatt, wo schwarzer Marmor geschnitten, geätzt und geschliffen wurde. Den Bruch holten sie vom Meer, wo eine uralte Mauer ins Wasser führte. Bis zur Hüfte oder Brust in der Brandung, trugen sie diese ab. Der Seegang, mächtig und zärtlich, warf sie immer wieder um, während sie die im Wasser leichten Steine hinaustrugen; erst kurz vor dem Ufer nahmen sie sie hoch und klammerten sich daran fest, wenn die Wellen aufprallten, in denen der Kies zischte, pochte und klapperte.

Danach nahm der Friedhofsdirektor sie mit auf seine Datscha in die Berge – zu Sauermilch und hoher, eisiger Morgendämmerung, zu blauen Stoffbahnen aus Schnee, zu unersättlichem Atem: Sie umzäunten die Schafweide mit Pflöcken, schütteten den Kellerboden mit Estrich aus, gruben einen zweiten Keller mit einem unterirdischen Gang zur Hinterseite des Gemüsegartens. Am Ende der Arbeitssaison – sie wollten sich schon nach Hause aufmachen – setzte man sie eines Nachts auf Esel, stellte ihnen für zwei Tage Arbeit einen Batzen Geld in Aussicht[23] und brachte sie weg.

Und zwar tief in die Berge. Sie kamen erst am Nachmittag des übernächsten Tages an und hatten vom Höhenunterschied verlegte Ohren. So landeten sie in der Sklaverei, in einem gottverlassenen Aul.

Sie schliefen in der Scheune bei den Ziegen. Tagsüber bauten sie das Haus um, es war groß, plump, hatte fast keine Fenster. Sie setzten Anbauten dran, deckten das Dach ab, zogen den Dachfirst höher, legten Dachziegel, errichteten einen Bogengang ums Haus und bauten darauf eine überdachte Galerie …

Bei Sonnenuntergang, wenn ein Stück die Straße hinunter der Ruf des Muezzins verklang, legten sie die Arbeit nieder, setzten sich und warteten, dass man ihnen das Essen brachte. Ihr neuer Chef – ein unrasierter, einäugiger Alter in Pelzmütze und Jackett, an dem drei Ordensbänder hingen – sprach nie mit ihnen, er brachte nur die Baupläne: säuberlich gezeichnet, auf Millimeterpapier, mit grüner Mine.

Manchmal, wenn der Alte mit strengem Blick die aufgefächerten Baupläne durchsah, verglich er sie verstohlen mit einem Kinderbuch, in dem Wadja einmal einen Blick auf ein blaues Schloss erhaschte. Auf einer ganzen Doppelseite war dort in allen Einzelheiten ein riesiges Märchenschloss gemalt, ein wildes Durcheinander aus kleinen Hängebrücken, Türmchen, Mansarden, Mezzaninen, Flügeln und Plätzen, auf denen kristallene Orangerien standen, sich Beete blähten und geschnitzte Taubenschläge weiß leuchteten … Winzige Menschlein mit spitzen Mützchen schlenderten auf den kleinen Brücken auf und ab, jäteten Unkraut in Gemüsebeeten, hüteten kugelrunde Schafe mit sechs Beinen, fischten, hackten Feldraine, flochten Zäune …

Wadja verstand nichts von technischen Zeichnungen und verließ sich auf seinen Kumpel. Serjoga war auf der Baufachschule gewesen, hatte sogar Prüfungen gemacht. Aber auch er verstand nicht viel von Plänen, und so kam es, dass sie einfach ihrer Fantasie freien Lauf ließen und so bauten, wie es sich ergab.

Der Alte hasste sie, behandelte sie aber leidlich. Fast ein Gnom, dürr, mit Hakennase und rotem, sehnigen Hals; die Mundwinkel zog er bösartig bis zu den Ohren, wobei zwei Reihen Goldzähne zum Vorschein kamen[24]. Die Tage verbrachte er bei seinen Bienenstöcken. Abends, auf dem Rückweg, mit einer Schüssel voll Wabenhonig, in eine Wespenwolke gehüllt, lief er an der Baustelle vorbei und krächzte beim Anblick seiner Arbeiter fürchterlich, plärrte etwas und spuckte aus. Nachsichtig war er zu ihnen vor allem aus Vernunftgründen: damit sie sich nicht zu Tode schufteten, damit Wadjas Eiterblase am Finger schneller heilte …

Einmal kam die Nachbarin zu ihnen, eine Frau mit unglaublich vielen Kindern. Sie war zu Tode erschöpft und sammelte in einem fort ihre Bengel von der Straße auf. Es hatte immer so ausgesehen, als würde sie die Russen nicht bemerken. Doch einmal kam sie mit einem Backblech voller Maisgrütze in den Hof. Sie stellte es vor sie hin, richtete sich auf und sagte: »Gestern war ich in der Stadt, und da hatte ich den ganzen Tag solche Sehnsucht nach meinen Kindern, hab immer gedacht, wie es ihnen ohne mich wohl geht, was sie wohl essen. Und da habe ich beschlossen, euch das hier zu bringen. Ihr seid doch hier auch mutterlose Kinder.«

Der Alte sah es und sagte nichts.

Seiner Enkelin, einem hübschen Mädchen von etwa zehn Jahren, machte es Spaß, die Gefangenen zu beobachten. Sie schenkte ihnen mal einen Fetzen Mull, mal eine Papirossa, die sie irgendwo gemopst hatte, mal ein paar Brocken unreifer Honigwaben mit säuerlichem Bienenbrot, mal sogar ein ganzes Zeitungsblatt voller Käsekrümel. Einmal, zum Ersten Mai, brachte sie ihnen eine ihrer Spielsachen – ein kleines Strohpferdchen mit einer roten Schleife um den Hals …

Unterm Dach hatte der Alte einen Käfig mit zwei Falken, an deren Füßen Glöckchen hingen. Einmal am Tag holte er sich ein Huhn vom Hof, erschlug es kreuzweise mit zwei Axthieben, legte es in eine Schüssel und stieg die Treppe zum Käfig hinauf. Er stellte den Vögeln die Schüssel hin, wartete, bis sie sich sattgefressen hatten, legte Flaum, Federn und Knochen zurück in die Schüssel und zwängte die Falken einen nach dem andern durch das kleine Türchen in die Freiheit. Die Falken flogen eine Weile herum, saßen kurz auf dem Dach oder auf dem Zaun, dann kamen sie zurück und wollten Nachschlag …

Die Frau des Alten brüllte die Gefangenen jeden Morgen an: von wegen, sie würden ihre Ziegen melken! Sie widersprachen ihr nicht. In Wirklichkeit waren es die Schäferhunde, zwei gewaltige Biester, die die Ziegen aussaugten. Der eine biss der Ziege in den Hals, und während sie weinte, bearbeitete der andere das pralle Euter, das wie eine Glocke an ihr baumelte.

Der Sohn des Alten war gebildet, sprach gut Russisch. Die Enkelin des Alten hatte erzählt, ihr Papa sei Leiter des Kulturhauses in einem der Dörfer unten. Wenn er seinen Vater besuchen kam, schimpfte er auf die Gefangenen. Sagte, sie gehörten erschlagen, weil sie kein Haus bauen würden, sondern aufeinandergetürmte Bienenstöcke.

»Das soll ein Haus sein?!«, brüllte er. »Antwortet gefälligst! Das ist Irrsinn, die Kopfgeburt von Idioten! Wir sind doch hier nicht in Barcelona! Vater, was machst du bloß? Schmeiß sie raus!«

In der Scheune verstreuten die Ziegen ihre Köttel, pissten alles voll und gingen manchmal ohne jeden Anlass[25] aufeinander los, man musste sie bei den Hörnern packen, zu Boden werfen, mit den Füßen in die bebende Flanke treten: ihnen Benehmen beibringen. Die resolute Alte versorgte die Gefangenen mit Knoblauchlinsensuppe. Der Alte gab reichlich selbst angebauten Tabak aus und einmal pro Woche eine Streichholzschachtel voll Haschisch.

Der Rausch stumpfte ab und ließ die Zeit schneller vergehen. An Flucht dachten sie, wenn überhaupt, nur als eine anstrengende Unannehmlichkeit.

Nach einem Jahr führte er sie vor das Dorf, gab jedem eine Streichholzschachtel und einen Beutel mit alten Zeitungen und Brot. Er zeigte auf den nächsten Berg und krächzte etwas.

Weit kamen sie nicht, schleppten sich mit Müh und Not[26] zurück. Da führte der Alte sie mitten in der Nacht irgendwohin.

Der Mond bog langsam ihren ausgeklügelten Weg zurecht. Sie kamen an einen Wiesenhang. Vor ihnen bäumten sich tosend waldige Bergsilhouetten auf. Der Alte rief etwas, rannte den Hügel hinunter und verschwand im Wald. Da legten sie sich in den Tau und schliefen bis zum Morgengrauen.

Um Siedlungen machten sie einen Bogen. Ernährten sich von Kastanien und Nüssen. Wenn sie Wildschweine hörten, harrten sie auf einem Baum aus.

Eine Woche später knallten und rissen abends Schüsse durch den Himmel.

Lange spähten sie – was war das?

Plötzlich schoss ein Hubschrauber unter einem Steilhang hervor. Sie erstickten fast, taumelten vor Schreck, die Druckwelle überrollte sie.

Die Maschine stand still, flog auf sie zu.

Sie stürzten den Abhang hinunter, sprangen zur Seite und sahen sich um.

Die Flugblätter knallten, darüber ein nebelgraues Kräuseln, der Wind schob in Wogen die Luft weg, der Druck nahm einem den Atem.

Ein Maschinengewehrlauf fuhr herum.

Den Kumpel erwischte es. Wadja fiel nach ihm um. So war er nach Tschetschenien geraten. Man registrierte ihn als befreiten Gefangenen. Wadja trägt immer noch in Folie den Zeitungsfetzen bei sich, worin die Befreiung dreier russischer Bürger vermeldet wird, darunter auch Beljajew, Wadim Sergejewitsch, geb. 1972 im Dorf Strelezkoje, Gebiet Astrachan.

Mit diesem Papier bereiste Wadja das ganze Land, angefangen in Mineralnyje Wody. Dort erklärte er Touristen am Bahnhof, er wäre hier zur Kur, bisschen Heilwasser trinken, mit einem Ferienscheck vom Rehabilitationsprogramm für Armeeangehörige, um sechs Uhr früh aus dem Zug gestiegen, aufs Klo gegangen, und plötzlich – paff! – mit dem Schlagring eins auf den Hinterkopf; er wär wach geworden – alles weg: Brieftasche, Jacke, Schuhe; jetzt würde er in ausrangierten Waggons herumlungern, die Bullen kennen kein Erbarmen, schlimm ist das.

Nun denn, die Touristen schmieren den Schaffner, stecken ihnen noch ein paar Kröten zu, führen Wanja zum Zugrestaurant, spendieren Speis und Trank und stellen verlegen Fragen über seine Gefangenschaft. Wadja trinkt, isst was hinterher, wie es sich gehört, und berichtet mit Bedacht.

So reiste er kreuz und quer durchs Land, tauchte ein ins Leben der Endbahnhöfe, schlief und hauste in dazu umfunktionierten Eisenbahnwaggons voller Menschen, für die der Weg zum Zuhause geworden war – bis er Nadja begegnete.

Nadja tauchte in Toksowo* auf, wo man ihn aus dem Zug geworfen hatte. Der Zug war gerade erst aus dem Bahnhof gerollt, Wadja klopfte sich kurz den Dreck ab und lief zurück, einen Schlafplatz suchen.

Der Bahnhofsvorsteher hetzte die Bullen auf ihn: »Soso, du hast also deinen Zug verpasst? Ich verpass dir auch gleich eine. Kapiert?«

Er bekam leichte Prügel, am nächsten Morgen lief er dann durch die verlassene Stadt, die ganz krumm und schief war, vorbei an alten Datschen mit durchgerosteten Dächern, warf einen Blick hinter die Zäune, drehte sich immer wieder um und prägte sich den Rückweg zum Bahnhof ein. Über eine gebrochene Zaunlatte kletterte er in einen verwilderten Garten, kroch auf den Knien herum und sammelte honigfarben schimmernde Antonowka-Äpfel.

Die Sonne stand am Himmel, verschwamm in einem Nebelschleier, der sich von der Erde losgerissen hatte.

Die Apfelbäume standen bis zur Brust im Dunst. Am anderen Ende des Gartens stapfte ein altes weißes Pferd schlaftrunken auf einen dumpf zu Boden gefallenen Apfel zu. Zerkaute ihn krachend und wieherte.

Wadja schauderte, blickte um sich und machte sich erneut über das Fallobst her.

So aß er sich an den Äpfeln satt. Biss an einer weichen, angedetschten Stelle hinein und labte sich an dem Saft, am stumpfsauren Speichel. Dann roch er einfach nur daran, sog immer wieder den Duft ein, der sich nicht erschöpfte, und der Apfel erschien ihm unendlich kostbar.

Diesen Apfel aß er nicht auf, sondern steckte ihn in die Tasche. Er würde ihn später im Bahnhof auf die Fensterbank legen, im Warteraum. Wadja hatte so eine Angewohnheit: An einem hübschen Plätzchen etwas zu essen zu hinterlassen – das war seine Art zu teilen. Mit wem? Ob mit Gott oder mit den Menschen – er wusste es nicht, aber er teilte, so gehörte es sich.

Da tauchte Nadja auf. Der Apfelbaum war ihr Revier. Jeden Morgen kam sie hierher, sammelte die besten Früchte auf und trug sie zum Markt.

Nadja kam angerannt und schubste ihn. Er kippte zur Seite. Dann kniete sie sich ins dichte, feuchte Gras und sammelte auf allen Vieren[27] flink ihre Früchte ein, wischte mit dem Handrücken die Nacktschnecken ab und stapelte die Äpfel zu kleinen Haufen.

Wadja konnte nicht mithalten, er setzte sich zu einem der Häufchen und suchte sich die weicheren Äpfel aus, das waren ihm die liebsten. Nadja kam angekrabbelt und klopfte ihm auf die Schulter.

»Schnorrer! Ein Schnorrer bist du.« Sie lachte.

In Sankt Petersburg verkauften sie zwei Beutel Äpfel.

Dann ging es mit Vorortzügen nach Moskau.

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