Sobald ihre Besprechung mit Elliot beendet war, schnappte sich Keira ihr Handy und eilte nach draußen, um Cristiano anzurufen. Die Straßen waren verstopft mit Autos und Menschen wie eh und je. Der Gedanke, das zurückzulassen, erfüllte Keira mit Aufregung.
Sie wählte seine Nummer und er ging nach einem kurzen Moment dran.
„Ich habe Neuigkeiten“, sagte sie.
„Oh, du bist aber nicht schwanger, oder?“
„Nein!“, rief Keira lachend. „Wir reisen nach Paris!“
„Tun wir das?“ Er klang begeistert.
„Jap. Mein neuer Auftrag. Sieht so aus, als würden unsere Leser dich lieben und wollen, dass du mitkommst. Was meinst du dazu?“
„Das ist fantastisch. Ich kann es kaum erwarten. Wann geht es los?“
„Morgen.“
Sie biss sich auf die Lippen, weil sie nicht wusste, wie er das aufnehmen würde. Aber sie hätte sich keine Sorgen machen müssen.
„Wow. Das ist der Wahnsinn!“
Im Hintergrund hörte sie Hupen und Sirenen.
„Wie läuft deine Erkundungstour durch New York?“, fragte sie.
„Großartig“, rief er mit kindlichem Enthusiasmus. „Ich bin mit der U-Bahn herumgefahren, in ein paar Parks spazieren gegangen, jetzt bin ich an einem Ort, der nennt sich Teardrop Park.“
Keira war erstaunt. „Das ist gleich um die Ecke von meinem Büro.“
„Ach ja?“ Cristiano schien ebenso überrascht.
„Ja. Dann komm doch vorbei und besuche mich.“ Sie dachte daran, wie sehr ihn alle hier kennenlernen wollten. „Ich kann dich ein paar Leuten vorstellen.“
„Das wäre toll.“
Keira erklärte ihm den kurzen Weg zum Büro. Ein paar Minuten später sah sie ihn um die Ecke biegen. Seine Schönheit machte sie wie immer sprachlos und ließ ihren Puls beschleunigen.
Als er bei ihr ankam, warf sie ihm die Arme um den Hals und küsste ihn. Dann nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn hinein.
„Leute, das ist Cristiano“, verkündete sie.
Alle kamen herüber, um ihn zu begrüßen. Denise sah aus, als treffe sie einen Promi. Lisa war kurz vor einer Ohnmacht. Keira spürte zum ersten Mal die Erregung, mit jemandem zusammen zu sein, der von allen bewundert wurde, anstatt die Angst, jemand könnte ihn ihr wegnehmen.
Elliot kam aus seinem Büro und musterte Cristiano von oben bis unten. Offenbar gefiel ihm, was er sah und er schüttelte Cristianos Hand.
„Hat Keira dir schon die Neuigkeiten mitgeteilt?“, fragte er.
„Wegen Paris? Ja, und ich kann es nicht erwarten. Danke, dass ich mitkommen darf. Das ist ein Traum, der wahr wird. Ich darf mit der Frau, die ich liebe, um die Welt reisen.“
Er legte seinen Arm um Keira. Denise und Lisa gerieten sichtlich ins Schwärmen.
Nina kam ebenfalls, um ihn zu begrüßen. Immerhin besaß sie genug Anstand, um nicht gleich zu sabbern bei seinem Anblick. Sie schüttelte ihm einfach herzlich die Hand. Aber in ihrem Blick lag ein Glanz, der Keira misstrauisch machte.
„Wusstest du, dass Stelle heute ins Büro kommt?“, fragte Nina.
„Stella, die Cover-Designerin? Nein, wieso?“
Ninas Blick war komplett auf Cristiano gerichtet, als würde sie seine Maße nehmen. „Ich überlege, ob wir von euch beiden ein Foto machen sollten. Das würde sich gut im Magazin in der Seitenspalte des Artikels machen.“
Keira zögerte. Im Augenblick war es ihr Bild, das die Artikel zierte. Sie war immerhin die Autorin. Es waren ihre Worte, nicht die von Cristiano.
„Ich weiß nicht“, sagte sie ein wenig eingeschnappt.
„Du hast recht.“ Nina nickte. „Die Seitenspalte ist zu klein. Ihr beide solltet auf dem Cover sein.“
Elliot klatschte begeistert in die Hände.
„Einen Moment mal“, rief Keira schockiert. Sie sah Cristiano an. „Wir können nicht auf das Cover.“
Offenbar fand Cristiano den Gedanken aber weniger abschreckend als Keira. Nina und Elliot ignorierten ihren Protest, besprachen bereits die Details und betrachteten Cristiano, als sei er eines der Star-Models, die Stella für ihre Shootings anheuerte.
„Leute!“, rief Keira. „Wir werden das nicht machen.“
Elliot schaute sie irritiert an. „Deine Artikel sind besonders gefragt. Sie bringen uns derzeit die meisten neuen Abonnenten.“
Es klang aus seinem Mund furchtbar einfach und logisch.
„Nina, vielleicht sollten wir ihr die letzte Marktanalyse zeigen?“, schlug er vor.
„Ich brauche keine Statistik, um das zu entscheiden“, erklärte Keira. „Ich will nicht auf das Cover, Punkt. Ich sehe nicht danach aus. Es gibt einen Grund, warum sich manche Leute lieber hinter einem Laptop verstecken.“
„Sei nicht albern, Keira“, rief Cristiano. „Du bist wunderschön. Du erkennst das nur einfach nicht. Ein professionelles Foto-Shooting wäre genau das Richtige, um deinem Ego ein wenig unter die Arme zu greifen.“
Keira schüttelte stumm den Kopf. Das konnte doch nicht wahr sein. Ihr Alptraum war im Begriff Wirklichkeit zu werden. Sie dachte an Bryn, die wirklich gut aussah. Sie sähe neben Cristiano nicht so farblos aus.
In diesem Moment öffneten sich die Türen und Stella kam herein, die große, schwarze Kameratasche über der Schulter. Das allein schüchterte Keira schon ein.
Nina winkte sie zu sich.
„Wir haben gerade mit Keira und Cristiano über ein Cover gesprochen. Hättest du heute Zeit dafür?“
„Absolut“, sagte Stella und schaute Cristiano wohlwollend an.
Keira fühlte sich noch elender. Es ging allen nur um ihn, nicht um sie. Sie würde die Bilder ruinieren.
„Komm schon, Liebling“, sagte Cristiano sanft. „Das ist doch spaßig. Daran können wir uns später immer erinnern. Etwas, das wir unseren Eltern zeigen können. Und eines Tages unseren Kindern.“
Keira ließ sich von seinen sanften Worten einlullen. Wenn Cristiano von ihren zukünftigen Kindern sprach, hieß das immerhin, dass er plante, langfristig zu bleiben. Vielleicht war es wirklich ganz nett, Fotos zu haben, auf denen sie noch jung und faltenfrei waren.
„Was muss ich denn machen?“, fragte sie Stella und gab ein Stück weit nach.
„Es geht um Frankreich, also dachte ich an ein romantisches Film-Szenario in schwarz-weiß. Dächer, die Skyline, im Hintergrund der Eiffelturm. Ein schickes Kleid, ein romantischer Kuss.“
„Ein Kuss?“, stöhnte Keira. Die Anspannung kehrte zurück.
„Aber in schwarz-weiß“, sagte Cristiano grinsend. „Jeder sieht perfekt aus in schwarz und weiß.“
Er nahm ihre Hand und zog sie sanft mit sich, hinüber zu der Zone, die für die Fotos vorbereitet war. Helle Lampen beleuchteten einen weißen Hintergrund, links und rechts standen ebenfalls weiße Wände. Eine Frau für das Make-up war ebenfalls da, die bereits an ein anderes Model Hand anlegte. Außerdem gab es eine gut gefüllte Kleiderstange.
„Oh mein Gott“, murmelte Keira.
Stella sprach kurz mit der Make-up-Künstlerin. Keira konnte nicht hören, worüber sie sprachen, aber dann blickten beide zu ihr. Natürlich müsste man bei ihr einiges machen, bevor man sie fotografieren konnte. Nicht so bei Cristiano, der schon kamerafein aus dem Bett stieg.
Nach einem kurzen Gespräch der Make-up-Künstlerin mit dem Model, stand dieses auf, ging zu einer Couch und setzte sich schmollend. Offenbar gefiel es ihr nicht, mitten im Schminkprozess unterbrochen zu werden. Keira blickte ihr nach, sah ihren perfekten Körper und die langen Beine. Sie war so groß, im Gegensatz zu Keira, die noch unter dem Durchschnitt lag.
Stella kam herüber und nahm Keira bei der Hand.
„Ein gratis professionelles Makeover“, sagte Cristiano achselzuckend. „Allein das ist es mir schon wert.“
Keira biss die Zähne zusammen und folgte Stella zum einem Stuhl.
„Ich muss nicht viel machen“, erklärte die Make-up-Künstlerin. „Wir wollen den Classic Look. Schwarz-weißer Movie-Style. Nur ein wenig Mascara und ein bisschen Lippenstift.“
Keira hatte keine Wahl, sie spielte mit. Nachdem sie mit dem Make-up und der Frisur durch waren, zog sie ein hübsches blaues Kleid mit Spitzenbordüren an.
„Es ist zu lang“, sagte Keira und schaute auf den Stoff zu ihren Füßen.
„Das geht schon“, erklärte Stella. „Du stellst dich einfach hier drauf.“
Keira blickte zur Seite und sah einen gebastelten Schornstein inmitten eines gebastelten Daches. Sie würden sich also über den Dächern von Paris küssen für dieses Foto. Das schüchterte Keira noch mehr ein.
Sie wurde zu Cristiano zurückgebracht, der inzwischen dunkle Hosen und ein gestreiftes Hemd trug, das Haar wie in einem alten Film zur Seite frisiert. Er sah umwerfend aus, wie üblich. Wenn es überhaupt irgendetwas Positives an dieser ganzen Sache gab, dann war es dieser Anblick.
Sie betraten das Set und hörten Stellas Anweisungen zu. Keira sollte auf dem Schornstein stehen, ein Bein gebeugt, und Cristiano küssen.
Es war entwürdigend. Sie fühlte sich so unwohl in dieser unnatürlichen Haltung und sollte dann auch noch auf Kommando küssen. Cristiano hingegen schien Spaß an der Sache zu haben.
„Wie kann dir das gefallen?“, fragte sie ihn.
„Ich darf dich wieder und wieder küssen“, meinte er. „Was sollte mir daran nicht gefallen?“
Eine ganze Gruppe weiblicher Zuschauer stand hingerissen in der Nähe und schaute zu. Sie konnte die Stadt gar nicht schnell genug verlassen, dachte Keira. Sie wollte, dass alles wieder so war wie anfangs, als sie nur zu zweit waren, anstatt dass jeder ein Stück von Cristiano haben wollte.
Endlich hörte das Blitzlicht auf.
„Ich denke, wir haben es“, verkündete Stella.
Cristiano half ihr von dem Schornstein runter und sie gingen zu Stella, um sich das Ergebnis anzuschauen.
„Denkt euch die Skyline von Paris. Die fügen wir nachträglich ein.“
Wäre Keira nicht in den Bildern gewesen, hätten sie ihr wahrscheinlich gefallen. Sie waren romantisch und die Chemie zwischen ihr und Cristiano war echt. Auch wenn es ihr die ganze Zeit nur peinlich gewesen war, hatte Stella es dennoch geschafft, diesen besonderen Moment einzufangen. Aber es war eben immer noch sie in diesem Bild. Nicht nur Cristiano, der aussah, wie ein französischer Filmstar.
„Ist es nicht wunderbar gelungen?“, fragte Stella. „Ihr werdet in Kürze Celebrities sein.“
Cristiano vielleicht, dachte Keira. Er war eindeutig der Star in dem Foto. Und der Star des Artikels, wie es aussah. Was, wenn er durch all das hier jemand Besseres fand? Sie fragte sich, was passieren würde, wenn sie sich trennten. Diese Bilder wären eine furchtbare Erinnerung. Und peinlich. Auf einem Cover zu sein, ihre Liebe zu einem Mann zu gestehen, der sie für jemand Besseres verlassen hatte.
Elliot zog Keira an die Seite.
„Ich habe darüber nachgedacht, was du eben in meinem Büro gesagt hast. Dass das hier dein Leben ist. Vielleicht haben wir dich zeitlich zu sehr unter Druck gesetzt. Wie wäre es, wenn du den Rest des Tages frei nimmst? Hier im Büro brauchen wir dich heute nicht mehr und dann hättest du genug Zeit, um alles in die Wege zu leiten, dich von der Familie zu verabschieden, so was.“
„Du hast doch einfach nur Angst, dass ich wieder Heimweh kriege und kündigen will.“ Keira durchschaute seine Absichten sofort.
„Ich will, dass du glücklich und entspannt bist“, sagte er wenig überzeugend.
Aber Keira wollte das nicht diskutieren. Sie hatte längst genug davon, dass alle um Cristiano herumscharwenzelten. Sie ging zu ihm herüber, wo eine Gruppe von Schreiberlingen von den gelungenen Bildern schwärmten. Sie nahm ihn am Arm.
„Wir haben den Rest des Tages für uns“, sagte sie. „Lass uns gehen.“
„Okay.“ Cristiano ließ sich bereitwillig von ihr fortziehen. Er winkte den Mitarbeitern zum Abschied zu. „Ich schätze, wir sehen uns mal wieder. War nett, euch alle kennenzulernen. Ciao.“
Sie ließen ihn nicht aus den Augen, bis er durch die Tür war.
Sobald sie draußen auf der Straße standen, atmete Keira tief durch. Das war alles derart anstrengend gewesen, dass sie wirklich den Rest des Tages zur Erholung brauchte.
Sie gingen zur U-Bahn. Aber sie waren noch nicht die Straße runter, da bekam Keira die erste von einer ganzen Reihe von E-Mails von Nina, dann von Elliot, von Heather, mit dem Zeitplan für Paris, Flugzeiten, Hoteldetails. Von wegen, den Rest des Tages frei haben.
Sie waren gerade auf dem Weg die Treppen runter zur U-Bahn-Station, als Keiras Handy schon wieder summte. Aber dieses Mal war es eine Textnachricht. Zu ihrer Überraschung von Zachary. Einen Moment lang hoffte sie, es wäre endlich die Bestätigung, dass sie ihr Geld zurück bekommen würde, aber das erledigte sich sofort, als sie die Nachricht las.
Hey K. Schlechte Neuigkeiten. Mein Cousin meint, es müsste eine Menge renoviert werden in unserem alten Apartment. Daher behält er die Kautionssumme. Tut mir leid. Lass uns mal auf einen Drink treffen, wenn ich wieder in New York bin, ja?
Keira kochte vor Wut, als sie das las. Was für eine Frechheit! Sie brauchte das Geld, um eine neue Wohnung zu mieten und Zach wusste das ganz genau. Es war undenkbar, dass sie im Apartment Schäden im Gegenwert von tausenden von Dollar hinterlassen haben sollten. Entweder log Zach oder der Cousin steckte mit ihm unter einer Decke. Allein die Art, wie er ihr beiläufig mitteilte, dass sie es nicht wiederkriegen würde. Als sei es nur eine kleine Unbequemlichkeit. Und sie dann noch zum Drink einzuladen!
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