Читать книгу «Eine Spur von Mord » онлайн полностью📖 — Блейка Пирс — MyBook.
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KAPITEL ZWEI

Keri stand wie angewurzelt da. Eine Welle von Emotionen spülte sie fort. Technisch gesehen war es eine gute Nachricht. Man hatte sie scheinbar einen Tag früher wieder zu ihrer normalen Arbeit zugelassen, ein Zeichen, dass Hillman ihr trotz seiner Bedenken wieder zutraute, ihre gewohnte Verantwortung übernehmen zu können.

Ein Teil von ihr wollte ihn aber am liebsten ignorieren und sofort zu dieser Lagerhalle aufbrechen.

„Bitte heute noch“, rief Hillman und half ihrer Unentschlossenheit auf die Sprünge.

„Ich komme, Sir“, sagte sie. Dann wandte sie sich mit einem schwachen Lächeln an Castillo. „Fortsetzung folgt in Kürze.“

Als sie in Hillmans Büro trat, bemerkte sie, dass die Falten auf seiner Stirn heute noch tiefer waren als sonst. Jedes einzelne seiner fünfzig Jahre konnte man seinem Gesicht ansehen. Seine grauen Haare waren wie immer ein einziges Durcheinander. Keri konnte nie so genau sagen, ob er sie nicht bemerkte, oder ob ihm ihre Anwesenheit einfach egal war. Er trug ein Jackett, aber seine Krawatte hing locker über sein Hemd, das an seinem Bauch spannte.

In der Ecke seines Büros stand ein abgenutzter, alter Zweisitzer, auf dem Detective Frank Brody saß. Brody war neunundfünfzig Jahre alt. In weniger als sechs Monaten würde er in Rente gehen. Alles an ihm strahlte Unzufriedenheit aus: Die halbherzigen Versuche, freundlich zu seinen Kollegen zu sein, das verwaschene, mit Ketchup-Flecken übersäte Hemd, dessen Knöpfe in der Hüftregion jeden Augenblick abzuspringen drohten, bis hin zu seinen Halbschuhen, die am Saum bereits auseinanderfielen.

Keri hatte ihn nie für einen besonders leidenschaftlichen Detective gehalten und besonders in letzter Zeit verwendete er mehr Zeit und Energie für seinen heißgeliebten Cadillac, als für seine ungelösten Fälle. Normalerweise arbeitete er an Raubüberfällen und Morden, aber da Keri und Ray ausgefallen waren, war er vorübergehend der Einheit für Vermisste Personen zugeteilt worden.

Diese Versetzung hatte nicht gerade zur Aufhellung seiner Laune beigetragen, und nun kam auch noch die verachtenswerte Aussicht hinzu, mit einer Frau zusammen zu arbeiten. Er gehörte einer anderen Generation von Polizisten an. Einmal hatte Keri gehört, wie er mit einem Kollegen scherzte, „Lieber tote Leiber als keifende Weiber.“ Für Keri beruhte dieses wenig schmeichelhafte Urteil auf Gegenseitigkeit, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Jetzt wies Hillman auf den Bürostuhl an seinem Schreibtisch. Dann drückte er die Lautsprechertaste auf seinem Telefon und begann zu sprechen.

„Dr. Burlingame, bei mir sind zwei Kollegen, die ich zu Ihnen schicken werde: Detective Frank Brody und Detective Keri Locke. Detectives, wir haben es zu tun mit Dr. Jeremy Burlingame. Er macht sich Sorgen um seine Gattin, die er seit über vierundzwanzig Stunden nicht erreichen kan. Dr. Burlingame, würden Sie bitte noch einmal wiederholen, was Sie mir gerade gesagt haben?“

Keri nahm Notizblock und Stift zur Hand. Ihre Aufmerksamkeit war geweckt. Bei vermissten Frauen wurde immer zuerst der Ehemann verdächtigt, daher wollte sie sich vollkommen auf den Klang seiner Stimme konzentrieren, wenn er zum ersten Mal über seine Frau sprach.

„Natürlich“, sagte Dr. Burlingame. „Gestern früh bin ich nach San Diego gefahren, um bei einem medizinischen Eingriff zu assistieren. Bevor ich losgefahren bin, habe ich  Kendra zum letzten Mal gesprochen. Vergangene Nacht bin ich sehr spät nach Hause gekommen und habe mich in eines der Gästezimmer zurückgezogen, um sie nicht aufzuwecken. Da ich heute morgen keine Patienten hatte, habe ich mir erlaubt, auszuschlafen.“

Keri war nicht sicher, ob Hillman das Gespräch aufzeichnete, daher schrieb sie möglichst viele Informationen auf. Dr. Burlingame redete weiter.

„Als ich in unser Schlafzimmer ging, habe ich sofort bemerkt, dass sie nicht zu Hause war. Das Bett war gemacht, und daher habe ich angenommen, dass sie das Haus verlassen hat, bevor ich aufgewacht bin. Ich habe ihr eine Nachricht geschrieben. Sie hat jedoch nicht geantwortet – was nicht weiter außergewöhnlich wäre. Wir wohnen in Beverly Hills und meine Frau ist sehr engagiert. Sie ist bei mehreren Wohltätigkeitsvereinen aktiv und hat ihr Handy oft abgeschaltet. Manchmal vergisst sie auch, es hinterher wieder einzuschalten.“

Keri schrieb noch immer alles auf und bewertete insgeheim den Wahrheitsgehalt seiner Aussagen. Bisher schien ihr nichts verdächtig, aber das hatte nicht viel zu bedeuten. Am Telefon ließ sich eine Menge verbergen. Sie wollte sehen, wie er sich verhielt, wenn Detectives des LAPD persönlich vor ihm standen.

„Ich bin zur Arbeit gegangen und habe unterwegs versucht, sie anzurufen – doch sie antwortete wieder nicht“, fuhr er fort.

„Zur Mittagszeit habe ich mir langsam Sorgen gemacht. Keine ihrer Freundinnen hatte von ihr gehört. Ich habe unser Dienstmädchen Lupe angerufen, und sie sagte, dass sie Kendra weder heute noch gestern gesehen hat. Seitdem bin ich ernsthaft besorgt. Deswegen habe ich den Notruf angerufen.“

Frank Brody lehnte sich nach vorne und Keri wusste, dass er Dr. Burlingame gleich unterbrechen würde. Sie hielt das für keine gute Idee, aber sie konnte ihn nicht daran hindern. Im Normalfall war es das Beste, einen Anrufer alles sagen zu lassen, was sie bewegte. Manchmal wurden sie ihrer Sache zu sicher und machten Fehler.

Brody hatte offensichtlich eine andere Vorgehensweise.

„Dr. Burliungame, warum wurde Ihr Anruf nicht vom Beverly Hills Police Departement angenommen?“, fragte er. Sein ruppiger Tonfall klang nicht besonders einfühlsam. Für Keri klang er so, als würde er sich fragen, wieso man ihn mit diesem Fall belästigte.

„Ich nehme an, weil ich aus meiner Praxis in Marina del Rey anrufe. Aber ist das denn wichtig?“, fragte er verwirrt.

„Natürlich nicht“, beschwichtigte Hillman ihn. „Wir helfen Ihnen gerne. Das BHPD hätte sich mit einer vermissten Person vermutlich ohnehin an uns gewandt. Machen Sie sich jetzt am besten auf den Heimweg, damit unsere Ermittler Sie dort um ein Uhr dreißig treffen können. Wir haben Ihre Adresse.“

„Okay“, sagte Burlingame. „Ich werde sofort losfahren.“

Nachdem Hillman das Gespräch beendet hatte, sah er die beiden Detectives an.

„Erste Eindrücke?“, fragte er.

„Wahrscheinlich ist sie mit einer Freundin auf Hawaii und hat vergessen, ihm Bescheid zu sagen“, redete Brody drauflos. „Oder er hat sie eigenhändig umgebracht, es ist doch immer der Gärtner oder der Ehemann.“

Dann sah Hillman Keri an. Sie dachte einen Moment nach, bevor sie etwas sagte. Irgendetwas sagte ihr, dass die üblichen Regeln hier nicht zutrafen. Sie konnte aber noch nicht genau benennen, was es war.

„Ich würde im Prinzip zustimmen, aber ich möchte diesem Mann ins Gesicht blicken, bevor ich irgendwelche Schlüsse ziehe.“

„Nun, Sie werden Ihre Chance bekommen“, sagte Hillman. „Sie können alles vorbereiten, Frank, ich muss noch einen Augenblick mit Locke reden.“

Brody grinste sie hinterhältig an, als er das Büro verließ, als müsste sie nachsitzen, während er mit einer Verwarnung davon gekommen war. Hillman schloss die Tür hinter ihm.

Keri machte sich darauf gefasst, irgendeine Art von negativem Kommentar zu hören zu bekommen.

„Es wird nicht lange dauern“, sagte er und klang dabei freundlicher, als sie erwartet hatte. „Ich wollte Sie nur an ein paar Dinge erinnern, bevor Sie losgehen. Erstens, ich nehme an, Sie wissen, dass ich nicht gerade erfreut war über Ihren Alleingang auf der Pressekonferenz. Sie haben Ihre persönlichen Interessen über die der Polizei gestellt. Sind wir uns soweit einig?“

Keri nickte.

„Gut. Nachdem das geklärt ist, würde ich unsere Zusammenarbeit gerne noch einmal von ganz vorne beginnen. Mir ist klar, dass Sie nicht in der besten Verfassung waren und Ihre Chance gesehen haben, die Ermittlungen im Fall Ihrer vermissten Tochter wieder ins Rollen zu bringen. Das respektiere ich.“

„Vielen Dank, Sir“, sagt Keri einerseits erleichtert, andererseits misstrauisch, angesichts dessen, was wohl als nächstes folgen würde.

„Aber“, begann er, „nur weil die Presse Sie besonders mag, bedeutet das nicht, dass ich Sie nicht vor die Tür setzen kann, wenn Sie wieder ihre Einsamer-Wolf Nummer abziehen. Ist das klar?“

„Jawohl, Sir.“

„Gut. Letzter Punkt: Lassen Sie es langsam angehen. Sie sind erst vor einer Woche aus dem Krankenhaus entlassen worden. Passen Sie auf, dass Sie so schnell nicht wieder eingeliefert werden. Verstanden? Abtreten.“

Erstaunt verließ sie das Büro. Sie hatte erwartet, von ihm ermahnt zu werden, aber seine unterschwellige Sorge um ihr Wohlbefinden hatte sie überrascht.

Sie sah sich nach Brody um und stellte fest, dass er bereits unterwegs sein musste. Offensichtlich wollte er nicht einmal den Dienstwagen mit einem weiblichen Kollegen teilen. Normalerweise wäre sie darüber verärgert, aber heute freute sie sich fast darüber.

Auf dem Weg zum Auto musste sie grinsen.

Ich darf wieder richtig arbeiten!

Erst jetzt, als sie die Arbeit an einem neuen Fall aufnahm, fiel ihr auf, wie sehr sie ihre Arbeit vermisst hatte. Die übliche Vorfreude und leichte Anspannung stellte sich ein, so dass sie sogar den ständigen unterschwelligen Schmerz ihrer gebrochenen Rippen vergaß. Ohne ihre Ermittlungen war Keri nur ein halber Mensch.

Noch etwas anderes ließ sie grinsen. Insgeheim plante sie bereits, gegen zwei von Hillmans Ermahnung zu verstoßen: Sie würde wieder im Alleingang arbeiten und es ganz sicher nicht langsam angehen lassen.

Auf dem Weg zum Haus von Dr. Burlingame gab es noch etwas zu erledigen.

Sie würde sich diese Lagerhalle aus der Nähe ansehen.

KAPITEL DREI

Dank des Blaulichts auf ihrem alten Prius bahnte Keri sich mühelos ihren Weg durch den Stadtverkehr. Ihre Finger umklammerten das Steuerrad, Adrenalin pumpte durch ihren Körper. Die Lagerhalle lag mehr oder weniger auf dem Weg nach Beverly Hills, weswegen sie die Suche nach ihrer Tochter, die seit genau fünf Jahren verschwunden war, der Suche nach einer Frau, die gestern zuletzt gesehen wurde, in diesem Moment vorzog.

Dennoch musste sie schnell sein. Brody war schon unterwegs und sie wollte nicht mit allzu großer Verspätung beim Haus der Burlingames eintreffen, sonst würde Brody es mit Sicherheit brühwarm an Hillman weitergeben.

Keine Ausrede wäre ihm zu schade, damit er nicht mit ihr zusammen arbeiten musste. Es wäre genau sein Stil, sich wegen einer Verspätung zu beschweren. Sie hatte also nur einpaar Minuten Zeit, sich die Lagerhalle anzusehen.

Sie stellte ihr Auto an der Straße ab und ging direkt auf den Haupteingang zu. Die Lagerhalle stand zwischen einem Unternehmen für private Lagerplätze und einer Autovermietung. Das elektrische Summen eines großen Strommastes auf der gegenüberliegenden Straßenseite war verstörend laut. Keri hatte das Gefühl, durch ihre bloße Anwesenheit Krebs zu bekommen.

Die Lagerhalle war mit billigem Maschendraht umzäunt, der wohl Obdachlose und Junkies abschrecken sollte, aber für Keri war es nicht schwer, durch eine Lücke hindurch zu schlüpfen. Als sie sich dem Eingang des Gebäudes näherte, bemerkte sie das verstaubte Schild im Dreck liegen. Wir erhalten Ihre Kostbarkeiten.

In der leerstehenden, halb eingefallenen Halle befand sich jedoch nichts Kostbares. Genau genommen befand sich dort gar nichts, außer ein paar umgeworfene Klappstühle und Brocken von eingerissenen Gipswänden. Die Halle war komplett ausgeräumt. Keri ging durch den verlassenen Komplex und suchte nach irgendeinem Hinweis, der sie zu Evie führen könnte, doch es war vergeblich.

Sie kniete sich auf den Boden. Vielleicht würde eine andere Perspektive helfen. Ihr fiel nichts Besonderes auf, aber etwas erschien ihr merkwürdig am anderen Ende der Lagerhalle.

Dort stand ein aufgestellter Klappstuhl, auf dem etwa einen halben Meter hoch unterschiedlich große Trümmer aufgestapelt waren. Das war auf keinen Fall von selbst so heruntergefallen. Jemand hatte die Brocken dort aufgebaut.

Keri ging näher heran, um sich das Gebilde besser ansehen zu können. Sie hatte das Gefühl, dass sie nach Verbindungen suchte, die es nicht gab. Sie bewegte den Stuhl ein wenig zur Seite. Die Trümmer gerieten dabei erst ins Wanken und stürzten dann auf den Boden.

Jetzt schlug ihr Herz schneller. Anstatt des erwarteten dumpfen Aufschlages verursachten die herabstürzenden Brocken ein hohles Geräusch, fast wie ein Echo. Keri schob die Trümmer zur Seite und stampfte mit dem Fuß auf die Stelle, wo sie gelandet waren – wieder ertönte das Echo. Sie strich mit der Handfläche über den staubigen Boden und stellte fest, dass der Boden unter dem Klappstuhl nicht aus Beton war, wie der Rest der Halle, sondern aus grau lackiertem Holz.

Sie bemühte sich, weiterhin ruhig zu atmen und tastete mit den Fingern an der Kante des hölzernen Vierecks entlang, bis sie eine leichte Erhebung spürte. Als sie vorsichtig Druck darauf ausübte, öffnete sich ein Verschluss und ein kleiner Holzgriff schoss in die Höhe. Sie legte ihre Finger um den Griff und zog das Holzstück, das eine Falltür zu sein schien, aus seinem Rahmen.

Darunter war eine Grube, die keinen halben Meter tief war. Sie war leer. Keine Papiere, keine Werkzeuge, nichts. Sie war zu klein, als dass man einen Menschen darin hätte verstecken können. Bestenfalls hätte man einen kleinen Safe darin verstecken können.

Keri tastete die Kanten ab, auf der Suche nach einer weiteren geheimen Öffnung. Sie hatte keine Ahnung, was man hier verborgen hatte, aber jetzt war davon jedenfalls nichts zurück geblieben. Sie setzte sich auf den Betonboden und überlegte, was sie jetzt tun sollte.

Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. Es war ein Uhr fünfzehn. In einer viertel Stunde musste sie in Beverly Hills sein. Selbst wenn sie sich jetzt auf den Weg machte, würde die Zeit knapp werden. Frustriert rückte sie die Holzabdeckung wieder auf ihren Platz und stellte den Stuhl wieder darauf. Dann verließ sie das Gebäude. Dabei fiel ihr Blick noch einmal auf das Schild.

Wir erhalten Ihre Kostbarkeiten. Ob das ein versteckter Hinweis sein sollte? Oder bin ich am Ende doch nur auf einen grausamen Scherz hereingefallen? Versucht jemand mir mitzuteilen, wie ich meine größte Kostbarkeit, meine gelliebte Evie, retten kann?

Bei diesem letzten Gedanken wurde Keri von einer Welle der Hilflosigkeit erfasst. Sie spürte, wie ihre Knie plötzlich nachgaben und sie zu Boden stürzte. Da ihr linker Arm noch in der Schlinge lag, fing sie den Sturz mit ihrer rechten Hand ab, so gut es ging.

Um sie herum war eine dichte Staubwolke aufgewirbelt. Keri schloss die Augen und kämpfte gegen die Finsternis an, die sie plötzlich zu umgeben schien. Vor ihrem inneren Auge erschien ihre kleine Evie.

In dieser Vision war das Mädchen immer noch acht Jahre alt. Ihre blonden Zöpfchen tanzten um ihr schreckensbleiches Gesicht. Sie wurde von einem blonden Mann mit einem Tattoo an der linken Halsseite in einen weißen Van geworfen. Keri hörte das Krachen, das ihr kleiner Körper an der Innenseite des Vans verursachte. Dann sah sie, wie der Mann einen Teenager erstach, der ihn aufhalten wollte. Sie sah, wie der Van vom Parkplatz fuhr und sich schnell von ihr entfernte, obwohl sie so schnell hinterher rannte, wie sie mit ihren nackten, blutig gelaufenen Füßen nur konnte.

Sie sah es so lebhaft vor sich, dass Keri die Tränen herunterschlucken musste. Sie versuchte, die Erinnerung zu vertreiben und sich wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Nach ein paar Augenblicken hatte sie die Fassung wieder erlangt. Sie atmete ein paarmal tief durch. Sie konnte auch wieder klar sehen und stand langsam auf.

Das war der erste Flashback seit Wochen. Seit ihrer Begegnung mit Pachanga hatte sie keine mehr gehabt. Sie hatte gehofft, dass sie nie zurückkommen würden, aber das Glück blieb ihr vergönnt.

Ihr Schlüsselbein schmerzte und frustriert zog sie die Armschlinge ab. Sie behinderte sie mehr als sie half. Außerdem wollte sie keinen schwachen Eindruck machen, wenn sie gleich Dr. Burlingame gegenüberstand.

Das Treffen! Ich muss los!

Vorsichtig humpelte sie zu ihrem Auto und reihte sich in den Verkehr ein. Blaulicht und Sirene ließ sie ausgeschaltet. Sie musste einen Anruf tätigen und dafür brauchte sie Ruhe.

KAPITEL VIER

Keri war etwas nervös, als sie die Nummer von Rays Krankenhauszimmer eingab und dem Klingeln lauschte. Eigentlich gab es keinen Grund für ihre Nervosität. Ray Sands war ein langjähriger Freund und ihr Partner bei der LAPD Pacific.

Als es weiter klingelte, dachte sie an der Zeit, bevor sie Polizistin geworden war. Sie war damals Professorin für Kriminologie an der Loyola Marymount University und hatte bei ein paar Vermisstenfällen als Beraterin für die Einheit gedient. So hatte sie Ray kennengelernt. Sie waren von Anfang an gut miteinander ausgekommen und Ray hatte ein paar Gastvorträge in ihren Seminaren gehalten.

Nachdem Evelyn entführt wurde, war Keri in ein tiefes, schwarzes Loch gefallen. Ihre Ehe ging in die Brüche, sie begann zu trinken und ging mit einpaar Studenten ins Bett – bis sie schließlich gefeuert wurde.

Sie war pleite und betrunken und sie lebte auf einem kaputten, alten Hausboot, als Ray sie wieder besuchte. Er hatte sie überredet, sich bei der Polizeiakademie einzuschreiben, so wie er es getan hatte, als sein Leben kaputt gegangen war. Ray hatte ihr damit einen Rettungsring zugeworfen und ihr einen Weg zurück ins Leben aufgezeigt. Keri hatte ihn angenommen.

Sie schloss die Ausbildung rasch ab, durchlief ihre praktische Erfahrung als Officer und wurde zum Detective befördert. Keri bewarb sich dann bei der Pacific Einheit, die insbesondere für West L.A. zuständig war. Ray hatte sie als Partnerin angefordert und sie hatten bereits ein Jahr zusammen gearbeitet, bevor Pachanga sie beide ins Krankenhaus gebracht hatte.

Jetzt war sie nervös. Aber nicht, weil sie sich Sorgen um seine Genesung machte, sondern weil sich etwas an ihrem Verhältnis zueinander verändert hatte. Im Laufe des vergangenen Jahres war ihre Freundschaft immer intensiver geworden. Doch sie arbeiteten Tag für Tag sehr eng zusammen, so dass keiner von beiden sich eingestehen wollte, dass zwischen ihnen mehr als nur Freundschaft war. Hin und wieder hatte eine Frau Rays Telefon beantwortet, wenn sie ihn in seiner Wohnung erreichen wollte. In diesen Momenten war Keri schrecklich eifersüchtig, obwohl er schon immer ein berüchtigter Frauenheld gewesen ist. Sie hatte gegen die Eifersucht angekämpft, aber sie konnte sie nicht unterdrücken.

Sie war sich sicher, dass er für sie ähnliche Gefühle hatte. Sie hatte seine Anspannung und das wütende Funkeln in seinen Augen bemerkt, wenn ein anderer Mann sie anbaggerte.

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