Oberst von Thünen tänzelte in seiner Oberstenuniform zwischen den Damen wie ein jugendlicher Kavallerist, seine Brust war mit Reihervon hohen Orden übersät und glitzerte förmlich. Er klappte mit den Absätzen, grüßte mit hochgestreckter Hand, lachte, scherzte. Kurz, er schien sich tatsächlich verjüngt zu haben mit seinem grauen Scheitel, der wie immer peinlich frisiert war. «Frau Fabian». rief er, als er Clotilde gewahrte, die sich ihren Weg durch die Menge suchte. Er eilte ihr entgegen, stand vor ihr in militärischer Haltung, als sei sie ein General, und verbeugte sich übermäßig tief. Clotilde errötete, beglückt über diese Auszeichnung vor allen Leuten.
«Kommen Sie zu uns, Clotild», schrie die Baronin.
Der junge Oberleutnant Wolf von Thünen hielt sich hochmütig lächelnd etwas abseits von den Damen, die seine Mutter umgaben, da ihn, wie er sagte, Frauen über vierzig nicht interessierten. Er bewahrte noch ganz die alten gesellschaftlichen Formen, verbeugte sich gemessen und küsste Clotilde aufmerksam die Hand.
Fabian ging als letzter möglichst unauffällig durch den Saal und durchforschte im Vorbeigehen die Sitzreihen.
Er hätte es gern gesehen, dass Christa und Frau Beate Lerche-Schellhammer erschienen wären. Er hatte ihre Namen auf die Liste gesetzt, obschon er wusste, dass sie in diesen Tagen einen kleinen Ausflug nach Baden-Baden planten. Trotzdem er unter den Damen eifrig Umschau hielt, konnte er sie nirgends entdecken.
Schade, Christa ist nicht da, dachte er und begab sich zu den letzten Stuhlreihen, wo die einfachen Soldaten der Partei in ihren braunen Uniformen saßen. Sie rückten bereitwillig zur Seite, und man gewann den Eindruck, als sei soeben ihr Kommandeur zu ihnen getreten. «Er sieht prächtig au», raunte die Baronin in Clotildes Ohr. «Herrlich, dass er sich endlich positiv erklärte».
«Wenn man etwas tut, so soll man es ganz tun». antwortete Clotilde. «Als begeisterter Soldat musste er sich natürlich einer militärischen Formation anschließen».
«Das erwartete man selbstverständlich von ih», fuhr die Baronin fort, «dass er es aber tat, ohne vorher die Bedingung eines militärischen Ranges zu stellen, das wird man ihm hoch anrechnen». Ja, nun konnte der Bürgermeister kommen. Aber er kam noch nicht. Etwas schien noch zu fehlen. Man deutete auf die drei Sitze, die unbesetzt waren. Für wen mochten diese drei Stühle reserviert sein? Wurden hohe Gäste erwartet? Da wurde nochmals die Haupttür geöffnet, und drei Herren in braunen und schwarzen Uniformen der Partei erschienen, um sich rasch zu den reservierten Stühlen zu begeben.
Der vorderste war ein gedrungener, breitschultriger Mann, der hurtig dahinschritt. Er hatte ein breites, gutmütiges Gesicht mit vollen Lippen und rostrotes, gescheiteltes Haar. Dazu trug er einen kurzgehaltenen, schmalen Backenbart. Auffallend war, dass er keinerlei Ordensauszeichnungen besaß, nur ein unansehnliches Band zeigte sich in seinem Knopfloch. Die zwei Herren seiner Begleitung schienen seine Adjutanten zu sein, die waren um vieles jünger und sahen in ihrer straffen, militärischen Haltung vorzüglich aus.
Im Saal entstand einige Aufregung und Unruhe, Neugierige erhoben sich, und die braunen Parteisoldaten warfen die Hand in die Höhe und schrien: «Heil».
Der gedrungene, breitschultrige Mann aber hob nur kurz die Hand und winkte ab. Sofort war der Saal völlig still. «Es ist Gauleiter Rump», flüsterte die Baronin voller Erregung Clotilde ins Ohr. «Sagte ich Ihnen nicht, dass er zum Vortrag hierherkommen wird». «Der Gauleiter». Clotilde war enttäuscht. Sie hatte sich unter einem Gauleiter stets eine Art Fürst in königlicher Haltung und mit prunkvollem Gefolge vorgestellt.
Die Baronin aber war so erregt, dass sie zitterte. «Haben Sie das Band in seinem Knopfloch beachtet». fragte sie Clotilde und grub ihr vor Erregung die Nägel in die Hand. «Es ist der Blutorden, die höchste Auszeichnung, die unser Führer verleihen kann! Der lange blonde Offizier ist Adjutant Vogelsberger, der dunkle mit dem verschlossenen Gesicht ist Adjutant Graf Dosse. Gott, was für ein unvergesslicher Tag, Clotilde».
In diesem Augenblick öffnete sich eine schmale Tür hinter dem mit Hakenkreuzflaggen ausgeschlagenen Podium, und Taubenhaus im schwarzen Gehrock erschien.
Langsamen und gemessenen Schrittes trat Taubenhaus an das Rednerpult. Er schien etwas befangen zu sein, erwies sich aber bald als ein gewandter Redner.
Sein langes, hageres Gesicht sah im halben Licht des Saales fahler als gewöhnlich aus, stumpf und gelblich, die schwarze Haarbürste darüber erschien glanzlos und matt, ebenso die dunklen Bürsten unter seinen Nasenlöchern. Er hatte heute seine Orden in Originalgröße angelegt, und die Kenner sahen sofort, dass nichts Besonderes unter ihnen war. Nicht einmal das Eiserne Erster besaß er. Niemand sah ihm das «Störchennes». in den Argonnen an. Dazu klapperten die Orden, als er sich verneigte.
Fabian lächelte, als Taubenhaus begann. Natürlich fing er mit den Gänsen und Ziegen an, die über den Marktplatz der pommerschen Stadt liefen, aus der er kam. Die Zuhörer hatten Gefallen an dieser Schlichtheit und waren aufs äußerste erstaunt, zu hören, dass über den Marktplatz ihrer Stadt ebenfalls Gänse und Ziegen liefen, aber Gänse und Ziegen ganz anderer Art, einer wenig erfreulichen, ja beschämenden Art. Sie lachten belustigt und klatschten Beifall.
Eine feine Röte stieg in das leblose und steife Gesicht, und von diesem Augenblick an schien Taubenhaus zum Leben zu erwachen. «Ich bin hierhergekomme», rief er mit lauter Stimme, und seine goldene Brille funkelte, «um die geistigen Motoren dieser Stadt anzuwerfen und die seelischen Kraftquellen zu erschließen».
Er brüllte es so laut, dass die Zuhörer erschraken.
Ja, diese Stadt, einstmals «die Stadt der goldenen Türm». genannt, sollte wieder in ihrem alten Glanz erstrahlen. Sie sollte in wenigen Jahren die schönste und gepriesenste aller Städte des Landes werden, beneidet und bewundert wegen ihrer Schönheit, ihres Reichtums und ihrer Gastfreundschaft. Beifall rauschte auf. Er wollte ein völlig neues Theater für Oper und Schauspiel errichten, das heutige sollte wie ein Gänsestall dagegen erscheinen, eine Kunsthalle, eine Musikakademie, die schönsten Sportplätze und Schwimmhallen der Welt. Die Augen der Bürger glänzten. Die ganze Stadt sollte mit spiegelglattem Asphalt überzogen werden, auf dem rasche Autobusse in schneller Folge dahinrollten.
Was nützten denn diese elektrischen Bahnen, auf die man volle fünfzehn Minuten warten musste? Mit der Uhr in der Hand hatte er die Minuten gezählt!
«Die Stadt schläft, ja, bei Gott, sie schläft noch ihren mittelalterlichen Schlaf! Wie ein Donner will ich sie wecken». Hier brüllte er lauter noch als das erstemal. Neue Brücken wollte er schaffen, und er verweilte längere Zeit bei der «Heldenbrück», auf der Friedrich der Große auf stolzem Rosse dahinritt, inmitten von Bannerträgern und Trommlern, von Landsknechten mit Hellebarden und Morgensternen, gefolgt von Germanen mit Streitäxten und knorrigen Keulen. Neues Siedlungsland für Tausende und aber Tausende wollte er erschließen, denn die Stadt würde in zehn Jahren doppelt soviel Einwohner zählen wie heute. Neue Plätze wollte er anlegen, neue Strassen und Durchbrüche schaffen, was alt war und im Wege stand, das musste weichen. Weg damit! Schwere Lastautos müßten mit ihrer Last ungehindert durch die Stadt rollen können. Fort mit dem alten Gerumpel! Er wollte auch dafür sorgen, dass die Stadt einen modernen Bahnhof bekam und einen würdigen Flugplatz. Wie jämmerlich sah heute der Bahnhofsplatz aus! Es war eine glatte Schande! Ein Rausch von Blüten sollte den Reisenden in Zukunft empfangen, dazu das heitere Geplätscher von zwei gigantischen Springbrunnen!
Zwei? Fabian horchte auf. Taubenhaus hatte seinen Entwurf fast wörtlich verwendet. Er hatte darüber hinaus fast alle jene Vorschläge, deren Verwirklichung Fabian für spätere Jahre empfahl, in sein Programm von heute aufgenommen und teilweise ins Phantastische gesteigert. Fabian sprach von einem Umbau des Theaters, bei Taubenhaus wurde es ein völliger Neubau, eine Modernisierung des Bahnhofs wurde bei Taubenhaus ein ganz neues Bahnhofsgebäude. Es war der neue Geist, der stets bis an die Grenzen des Möglichen strebte, ja bis dahin, wo sie ans Unmögliche streiften. «Wer ein Schloss bauen will, darf nicht mit einer Hundehütte beginne», zitierte Taubenhaus wörtlich aus Fabians Entwurf.
Die Leute lauschten und staunten über die verlockende Phantasie des Redners.
Nun schüttete Taubenhaus ein wahres Füllhorn von Reichtümern über die Stadt aus. Neue Industrien, neue Gewerbe wollte er einbürgern, das Handwerk sollte neu erstehen und vervollkommnet werden. Die Bürger saßen mit trunkenen Augen. Ja, das war ein anderer Kopf als dieser ängstliche und vorsichtige Krüger, der war bei Gott ein schöpferischer Kopf! Von den Reichtümern, die über die Stadt dahinströmten, musste auch ein Teil in ihre Taschen fließen, nicht wahr? Ob man Häuser besaß oder nicht, ob man Fabrikant war oder nicht, wenn das Baugewerbe blühte, blühte alles, der Grundbesitz stieg, Bauunternehmer, Tischler, Glaser, Maler, Schlosser, jeder musste reich werden. Die Zuhörer wurden lautlos still und regten sich nicht mehr. Verdienen, verdienen! Reich werden! Die Begierde, Reichtümer zu erraffen, las man in allen Augen. Reich werden, heute, morgen, dann hatte das Leben wieder einen Sinn.
Halt! Etwas hatte Taubenhaus noch vergessen, nein, nicht vergessen, er vergaß nie etwas, ein Mann wie er, er hatte es bis zum Schluss aufgehoben: das Gemeinschaftshaus!
Das Gemeinschaftshaus? Auch das war ein Gedanke Fabians, aber er hatte das Gemeindehaus für die Zukunft als eine Art größeres Klubhaus vorgeschlagen. Taubenhaus aber wollte ein Haus von gigantischen Ausmaßen errichten! Es sollte der Gemeinschaft gehören, den Klubs, den Parteien, dem Sport. Parteien? Gab es denn etwas anderes als die Partei? Einen großen Konzertsaal würde es enthalten, Versammlungssäle, Beratungs- und Kongresssäle, zwölf Stockwerke hoch sollte es emporragen, höher als der Dom, Wahrzeichen der Stadt, der Provinz, Wahrzeichen unserer herrlichen, großen Zeit!
Wo aber sollte das Gemeindehaus stehen? Er hatte sich wochenlang mit seinen Freunden beraten, und endlich hatten sie den geeigneten Platz gefunden. Im Hofgarten, auf der Höhe, wo sich heute der Friedenstempel erhob! Es war eine Anhöhe, die Stadt und Land beherrschte, der zierliche Friedenstempel, den die Stadt nach den Freiheitskriegen errichtete, hatte seine Aufgabe erfüllt und mochte eine andere Stelle des Hofgartens zieren.
Dies war also sein Programm.
Halt! Noch eines! Taubenhaus brauchte Geld, Geld, Geld! Opfer, Opfer, Opfer! Der bekannte Gemeinsinn der Bürgerschaft müsste sich in neuem Glanze bewähren. In seinem Vorzimmer liege eine Liste aus, niemand sollte sich schämen zu zeichnen, ganz wie er sich nicht schämen würde, nachzusehen, was jeder gezeichnet hatte! «Nein, ich werde mich nicht schämen, auf das genaueste nachzusehen». schrie er. Damit verbeugte er sich. Er war zu Ende, und minutenlanger, tosender Beifall, vermischt mit stürmischen Heilrufen, belohnte seine Rede.
Der Gauleiter erhob sich, schritt rasch zum Rednerpult und schüttelte Taubenhaus minutenlang die Hand.
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