Читать книгу «Тотеnтаnz / Пляска смерти. Книга для чтения на немецком языке» онлайн полностью📖 — Бернгарда Келлермана — MyBook.

XIII

Fabian war aufrichtig entschlossen, sich der Sache Fahles anzunehmen. Er fand es empörend, dass man einen Gelehrten von Fahles internationaler Bedeutung so herabwürdigend und schamlos behandelte.

Es handelt sich in erster Linie darum, an den neuen Direktor des Krankenhauses, diesen Doktor Sandkuhl, heranzukommen, und der aussichtsreichste Weg schien ihm über Justizrat Schwabach zu führen, der eine maßgebende Rolle in der Partei spielte. Schwabach war Vorsitzender in der Anwaltskammer der Stadt und vertrat Fabian gleichzeitig in seiner Scheidungsangelegenheit. Das traf sich sehr gut, er hatte ohnehin mit ihm zu tun. Sofort vereinbarte er mit Schwabach telefonisch eine Unterredung auf den nächsten Tag. Nun erst war er beruhigt.

Justizrat Schwabachs Büroräume lagen in der Hauptgeschäftsstraße, im Hause des Juweliers Nicolai, das völlig renoviert worden war. Der Treppenaufgang machte einen wahrhaft großstädtischen Eindruck, und ebenso eindrucksvoll war das blitzende Messingschild mit der Aufschrift: Edler von Schwabach.

Fabian lächelte. Edler von Schwabach! Das hörte sich gut an und war in diesen Tagen nicht mit Gold zu bezahlen. Dieser Schwabach gehört zu den Menschen, bei denen alles zum Guten ausschlägt[45], dachte er. Schwabach hatte wie alle Anwälte eine Reihe von Urkunden vorlegen müssen, um seine arische Abkunft zu beweisen. In seiner Heimat, einem kleinen Dorf in Württemberg, hatte er erfahren, dass er einer alten adligen Familie entstammte. Als Bürgerlicher fuhr er hin, als Adliger kam er zurück. Seine Briefbogen trugen jetzt ein Wappen: ein Vogel, der einen Fisch im Schnabel hält.

Das wie ein Salon eingerichtete Wartezimmer saß voller Klienten, was Fabian nicht ohne gewissen Neid wahrnahm. Schwabach galt als einer der besten Anwälte der Stadt, und zur Zeit benötigten auch viele seinen bekannten Einfluss als mächtiges Parteimitglied. Der Bürovorsteher meldete Fabian aber sofort an, und er brauchte kaum einige Minuten zu warten.

«Sie sind ja zur Zeit als Syndikus beurlaubt, lieber Kollege». sagte Schwabach, als er Fabian begrüßte. «Bürgermeister Taubenhaus hat es mir gestern in der Sitzung erzählt».

Schwabach war ein untersetzter, beleibter Herr und sah wie ein Pudel aus, ein gutmütiger grauer Pudel. Jedenfalls erinnerten der wirre graue Haarschopf und der aufgeplusterte Schnurrbart Fabian immer an einen Pudel. Dazu hatte er einige tiefe Schmisse, die ihm die fleischigen Backen und das runde Kinn förmlich in Stücke zerschnitten hatten. Er war in seiner Jugend ein großer Raufbold gewesen. «Hoffentlich nicht allzu lang», erwiderte Fabian, zuversichtlich lächelnd.

«Ja, wir wollen es hoffe», entgegnete der Justizrat. «Nun, schließlich liegt es ja bei Ihnen. Wie mir Taubenhaus erzählte, haben Sie schon die einleitenden Schritte unternommen».

Fabian war äußerst erstaunt. «Ich hatte doch um äußerstes Stillschweigen gebete», sagte er.

Schwabach lachte. «Stillschweigen? Stillschweigen». erwiderte er. «Wir leben in einem geordneten Staatswesen, in dem es in vielen Dingen kein Stillschweigen mehr geben darf! Jedenfalls erfährt Taubenhaus alles, und als Stadtoberhaupt muss er auch schließlich alles wissen, was in der Stadt vor sich geht, nicht wahr». Er deutete auf einen bequemen Sessel hinter seinem Schreibtisch. Mit der Hast des vielbeschäftigten Anwalts begann er ohne jede Vorbereitung von der Scheidungsangelegenheit zu sprechen. «Die Gegenpartei bezeigte nach Ihrer Rückkehr mit auffallender Eile sofort wieder die alte Aktivität, ich nehme an, der Motor ist Ihre Frau Gemahlin».

Fabian nickte. «Mit größter Wahrscheinlichkei», stimmte er zu. Oh, er kannte Clotildes Augen zu gut, um sich zu täuschen. Seit seiner Rückkehr sahen sie härter und gleichgültiger aus, in den letzten Tagen hatte er sie nur glänzend und hart gesehen, manchmal erschienen sie völlig gläsern. Sie verachtete ihn, weil er, wie sie glaubte, nicht genug Entschlossenheit in jenen politischen Dingen zeigte, die ihr am Herzen lagen.

Schwabach kramte in einem Stoß von Schriftstücken. «Ihr Anwalt hat mir einen neuen Schriftsatz übersand», sagte er, «einen Schriftsatz, der eine gewisse Verschärfung der Lage bedeutet». Schwabach war sehr kurzsichtig, so dass er gezwungen war, die Brille dicht auf das Schreiben zu senken. Fabian erblickte jetzt nur noch den Pudelkopf und seine mächtige Glatze, die den roten Schädel in einem Gewirr grauer Haare entblößte.

Unerwartet schielte der Justizrat in die Höhe, um Fabian ins Gesicht zu blicken. «Ihre Beziehungen zur Sängerin Lucie Ölenschläger haben Sie ja nie bestritten». fragte er.

Fabian schüttelte den Kopf. «Ich würde mich auch schämen, es zu tu», antwortete er, während er an diese unglückliche Frau dachte, die er einmal vorübergehend liebte. Sie weinte fast immer und vergiftete sich ein Jahr später in einem Hamburger Hotel. Einige Tage vor dieser Liebelei hatte ihn Clotilde kurzerhand ausquartiert. Sie hatte ihr Schlafzimmer im Salon aufgeschlagen. «Es ist ja immerhin schon geraume Zeit he», fuhr der Pudelkopf nickend fort. «Nun behauptet der gegnerische Schriftsatz, Frau Fabian hätte es als besondere Schmach empfinden müssen, dass Frau Lucie Ölenschläger Jüdin war. Dieser Umstand sei besonders gravierend».

Fabian verzog ironisch die Lippen. «Frau Fabia», sagte er, «hatte damals keine Ahnung, dass Frau Ölenschläger Jüdin war, ebensowenig wie ich».

Schwabach wühlte in den grauen Haaren. «Immerhin wäre es sehr wirksa», begann er von neuem, «wenn wir diesen Vorstoß mit einem Gegenangriff erwidern könnten. Behaupteten Sie nicht, dass Ihre Ehe in die Brüche ging, weil Ihre Frau keine Kinder mehr haben wollte? Sagten Sie nicht, sie wolle sich nicht die Figur verderben lassen? War es nicht so? Wenn ich nur das geringste Beweismaterial in Händen hätte, einen Brief, eine Notiz».

«Clotilde drückte ihre Abneigung gegen eine erneute Schwangerschaft noch viel derber au», erwiderte Fabian, «leider aber habe ich kein schriftliches Beweisstück in Händen».

«Schade, schade». rief der Justizrat aus, indem er den grauen Pudelkopf hin und her wiegte. «Keinerlei Aufzeichnung, keinen Brief? Das hätte stärksten Eindruck gemacht! Eine deutsche Frau, die ihre Figur schonen will! Schade, schade». Wieder wiegte er den grauen Pudelkopf hin und her. «Auf jeden Fall werden wir dieses Verhalten in das grellste Licht setzen, auch wenn man es abstreitet».

Sie besprachen noch dies und jenes, während Fabian über seine Ehe nachdachte.

Traurigkeit überkam ihn, dass eine Liebesheirat ein solch beschämendes Ende nehmen sollte.

Er sah Clotilde als Mädchen vor sich, einen schneeweißen wippenden Florentinerhut auf den blonden Haaren. Sie war frisch und reizend wie alle jungen Mädchen, strebsam, voller Interesse für Kunst und Literatur, wissbegierig, fleißig, spielte eifrig Klavier und lernte fremde Sprachen. Damals reiste sie viel mit ihrer Mutter, die eine launenhafte und hochmütige Frau war und gern die große Dame spielte. In dieser Zeit galt Clotilde für vermögend, ihre Mutter besaß vier stattliche Mietshäuser, und Fabian konnte nicht leugnen, dass ihn diese vier Häuser besonders reizten, sich um die Hand des jungen Mädchens zu bewerben.

Von einer Mitgift war natürlich nicht die Rede, denn Clotilde würde ja als einziges Kind die vier Häuser erben. Als aber die Mutter starb, stellte sich heraus, dass die vier Häuser mit Hypotheken überlastet und so stark vernachlässigt waren, dass Fabian froh war, sie endlich abstoßen zu können.

All das ging ihm durch den Sinn, während der Justizrat verschiedene Punkte aus dem Schriftsatz des Gegenanwalts halblaut vorlas. Er hatte alles schon oft gehört, und es interessierte ihn kaum noch, als beträfe es einen Fremden.

Der ganze unglückliche Verlauf seiner Ehe mit Clotilde stand ihm vor Augen. Vielleicht verändern sich alle Frauen völlig in der Ehe? dachte er. Vielleicht bricht ihre wahre Natur in der Ehe durch, jetzt, da sie ihr Ziel erreicht haben? Wer weiß es?

Clotilde spielte prächtig Klavier, und er, der die Musik über alles liebte, hatte sich auf die Musikabende gefreut. Aber in der Ehe rührte Clotilde das Klavier kaum mehr an. Sie öffnete auch kaum noch ein Buch und fand alle Gespräche über Bücher und Literatur zum Sterben langweilig. Mehr und mehr hing sie ihr Herz an äußerliche Dinge.

Die vier Häuser, die sie in die Ehe brachte, hatten sich zwar als völlig wertlos erwiesen, trotzdem behielt sie ganz die Passionen einer reichen Erbin bei. Natürlich musste sie ein Auto haben, einen bestechenden Wagen, dass ihre «Freundinnen vor Neid platzte», später entdeckte sie ihre Liebe zu Pferden und hielt Reitpferde. Sie liebte elegante Kleider und Hüte, sie liebte luxuriöse Badeorte und Hotels, Ostende[46] zum Beispiel oder das «Stephani». in Baden-Baden. Vornehme Herrschaften erträumte sie sich als ihre Gesellschaft. Auch ihre Freundschaft mit der Baronin Thünen ließ sich mit dieser Neigung erklären. Ihre Liebe verging, ihre Oberflächlichkeit blieb zurück.

Er verdiente damals viel Geld, aber wenn er nur wagte, etwas Sparsamkeit in dem und jenem zu empfehlen, pflegte sie die Achseln zu zucken und zu lachen: «Mein Gott, wenn ich denke, welche Unsummen andere Männer verdienen». Reichtum, das war ihr Traum!

Ihre Ansichten über Sinn und Ziel des Lebens trennten sich immer mehr, und als er es gewahr wurde, waren sie schon hoffnungslos entfernt voneinander.

Er konnte mit einem guten Buch, einer Flasche Wein und einer guten Zigarre zufrieden sein, Clotilde aber hatte nur kostbare Dinge im Kopf, Mäntel, Pelze, Hotels, Autos, Pferde, alles andere war Unsinn. Allmählich waren sie in die Zone des Schweigens geraten, die gefährlichste Zone in einer Ehe, denn aus ihr führt kaum mehr ein Weg zurück.

Wir leben auf zwei verschiedenen geistigen Ebenen, dachte Fabian oft. Diese Erkenntnis überkam ihn endlich, und er war stolz auf seine Weisheit. Und vielleicht, ging es ihm oft durch den Sinn, ist es das schlimmste Schicksal, das einen Mann treffen konnte, mit einer Frau auf verschiedener geistiger Ebene verheiratet zu sein?

XIV

Es wäre natürlich unsinnig gewesen, eine derart zermürbte Ehe wieder zusammenflicken zu wollen. Fabian sah das längst ein. Jetzt handelte es sich darum, die nicht geringen Forderungen Clotildes auf ein vernünftiges Maß zurückzuführen. Auf keinen Fall aber, erklärte er Schwabach, werde er die Erziehung der beiden Jungen der Mutter überlassen. Als Vater und Christ sei ihm das völlig unmöglich!

Der Justizrat warf einige Notizen aufs Papier, dann legte er den Schriftsatz zur Seite und erhob sich, indem er sich reckte und den Pudelkopf schüttelte.

Nun trug Fabian die Angelegenheit von Sanitätsrat Fahle vor. Sofort hörte Schwabach mit dem Recken und Strecken auf und kehrte wieder auf seinen Stuhl zurück. «Ich stehe zur Verfügung[47], Herr Kollege».

Schwabach, an dessen Gutherzigkeit niemand zweifelte, hörte aufmerksam zu, aber allmählich wurden seine Züge leblos, selbst seine dicken Lippen bewegten sich nicht mehr. «Fahle? Fahle». murmelte er halblaut vor sich hin, als höre er den Namen zum erstenmal. «Ich war stets ein großer Bewunderer Fahles». Schwabach hatte die Stimme gedämpft, obwohl alle Türen seines Arbeitszimmers gepolstert waren. «Es handelt sich um eine neue Entdeckung, die von epochaler Bedeutung sein kann, Herr Justizra», schloss Fabian sein Ansuchen.

Schwabach tastete mit seiner fleischigen Hand nach Fabians Arm. «Man möchte natürlich einem so bedeutenden und prachtvollen Mann wie Fahle gern behilflich sein, von Herzen gern, verstehen Sie? Ich sehe aber keine Möglichkeit, nicht die geringst», sagte er endlich.

«Wenn ich oder noch besser Sie mit dem neuen Direktor des Krankenhauses sprächen». widersprach Fabian.

«Direktor Sandkuhl ist ein Fanatike», raunte Schwabach so leise und tief, als befürchte er, jemand lausche an der Tür. «Er lebt wahrscheinlich in der Furcht, dass Fahle als fanatischer Jude die unersetzlichen Instrumente zerstören könnte. Lächeln Sie nicht! Wie ein Katholik an das Dogma glaubt, ohne zu deuteln, so glaubt er an die Unfehlbarkeit der höchsten Stelle. Wir kennen die Gedankengänge der höchsten Stelle nicht. Vielleicht ist sie der Ansicht, dass die Juden für die deutsche Mentalität schädlich sind, vielleicht glaubt sie, dass der Einfluss des Judentums die deutsche Mentalität in hundert Jahren zerstören und vernichten wird? Wer soll es wissen? Sandkuhl wagt es nicht, eine eigene Meinung zu haben. Er kommt von der Armee und ist gewohnt, Befehle blind auszuführen».

Fabian erhob sich. «Sie erlauben mir, dass ich es trotzdem versuch»,versetzte er. «Vielleicht gelingt es mir, Sandkuhl zu überzeugen, dass die von der ganzen Stadt geschätzte Persönlichkeit Fahles und seine wissenschaftlichen Forschungen eine Ausnahme zulassen».

Schwabach stand ebenfalls auf, schüttelte den Kopf. «Sie werden nichts erreichen, lieber Freund, nichts und bei niemand». fuhr er mit gedämpfter Stimme fort. «Ich weiß, wie man an höchster Stelle denkt, glauben Sie es mir. Als Kollege aber, der Sie schätzt, gebe ich Ihnen den guten Rat, lassen Sie die Hände von diesen Dingen».

Fabian blickte Schwabach forschend an und zögerte zu antworten.

Darauf legte Schwabach seine fleischige Hand auf Fabians Schulter und setzte hinzu: «Es ist der Rat eines Freundes. Sie begeben sich auf ein heikles Gebiet, ja auf ein gefährliches Gebiet! Hören Sie auf mich».

Er geleitete Fabian bis ins Vorzimmer und sagte mit seiner gewöhnlichen lauten Stimme: «Und das mit der Stadt bringen Sie wohl am besten bald ins reine[48]? Taubenhaus ist ein großzügiger Mann, der das Herz auf dem rechten Fleck hat». Da Fabian nicht gleich antwortete, fügte er hinzu: «Wir müssen ja alle unser Scherflein auf dem Altar des Vaterlandes niederlegen[49], nicht wahr? Und ich weiß doch, dass Sie immer ein großer Patriot und Idealist gewesen sind». «Patriot werde ich wohl immer bleiben». erwiderte Fabian lächelnd. «Und auch Idealist bin ich noch immer, leider, hätte ich fast gesagt».

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