Читать книгу «Тотеnтаnz / Пляска смерти. Книга для чтения на немецком языке» онлайн полностью📖 — Бернгарда Келлермана — MyBook.

XII

«Sie erlauben, dass ich liegenbleibe, lieber Freund». sagte Fahle mit dünner, kraftloser Stimme. «Ich kann Sie auch so willkommen heißen und Ihnen danken für Ihren Besuch bei einem Verfemten[43]». Er deutete mit seiner weißen, durchsichtigen Hand auf einen Korbsessel an seiner Seite.

Fabian begrüßte ihn mit herzlichen Worten.

Sanitätsrat Fahle nickte. «Sie sehen, die Erregungen der letzten Monate haben mich niedergeworfe», fuhr er fort. «Heute versuchte ich noch ein wenig, die letzten Sonnenstrahlen zu genießen».

Fahle hatte stets das asketische, magere Gesicht eines Menschen gehabt, der Zeit seines Lebens geistig arbeitete, heute aber erweckte er den Eindruck eines leidenden Greises. Sein kurzer Bart schien dünner geworden zu sein und erschien nun fast weiß. Der hohe Schädel war fast völlig kahl, und in seinem abgezehrten Kopf lebten nur noch die dunklen Augen mit den buschigen dunkelgrauen Brauen. An seiner Rechten trug er wie stets einen Handschuh, um die Verstümmelungen zu verbergen, die er vor einem Menschenalter bei Experimenten mit Röntgenstrahlen erlitt. «Ich liege hier und denke daran, wie schön das deutsche Land is», begann er von neuem und richtete die dunklen Augen voller Trauer auf den kleinen Park, wo eine exotische Buche mit rotem Laub stand, als sei sie soeben in Flammen aufgegangen. «Können Sie begreifen, wie schwer es ist, nicht mehr dabeizusein, ausgeschlossen zu sein aus einem Lande, in dem man aufwuchs und siebzig Jahre alt wurde? Können Sie das? Ich sehe vor mir das Gebäude des deutschen Geistes, unsichtbar für die meisten, kristallen und herrlich, vor dem die ganze Kulturwelt Achtung empfand. Ich bin stolz, dass auch ich mit meinen bescheidenen Kräften an diesem Gebäude mitarbeiten durfte! Ich sehe vor mir das Reich der Forscher und Wissenschaftler, das erhabene Reich der Musik, Dichtkunst und Philosophie. Es ist nicht leicht, all diese Reiche zu überblicken! Ein ganzes Leben lebte ich in diesen Reichen, und heute bin ich gezwungen, ausschließlich in ihnen zu leben, da ich meine irdische Heimat verloren habe. Können Sie die Befriedigung begreifen, die mich bei dem Gedanken erfasst, dass man mich aus diesen Reichen nicht vertreiben kann. Können Sie das». Er schwieg, den Blick auf Fabian gerichtet, und strich mit seiner durchsichtigen Hand über den fast weiß gewordenen Bart, so leicht, dass seine Fingerspitzen ihn kaum berührten.

«Ich glaube, Sie zu verstehe», entgegnete Fabian, erschüttert von der Trauer des alten Mannes.

Ein Lächeln erwachte in Fahles Zügen. «Befriedigung». fuhr er fort, ohne Fabians Einwurf zu beachten. «Wenn ich zur Zeit nicht an einer Depression litte, würde ich sagen: das Glück? Können Sie das Glück begreifen? Es ist mein kostbarster Besitz, und niemand kann ihn mir nehmen. Niemand, niemand».

Marion kam auf die Terrasse und brachte Kaffee, den sie mit heiteren Worten servierte. Das weiße Kätzchen lief wie ein Hund hinter ihr her.

Marion lachte belustigt auf. «Du siehst, Pap», rief sie aus, «ich habe eine ernste Eroberung gemacht».

Fahles Augen strahlten beglückt. «Du eroberst nicht nur Menschen, mein Kin», rief er.

Marion ergriff das Kätzchen und setzte es auf ihre Schulter. Mit einem hellen Lachen verließ sie die Terrasse.

Der beglückte Ausdruck verklärte noch immer Fahles dunkle Augen, als er ihr mit den Blicken folgte. «Ich danke Got», sagte er zu Fabian, «dass das Geschick Marion nicht so zermalmend niederdrückt wie ihren alten Vater. Sie trägt es tapferer als ich, mit der Tapferkeit der Jugend, die ja selbst den Tod nicht fürchtet, weil sie nicht an ihn denkt. Ihr Herz ist voller Heiterkeit und Lachen. Sie wissen, dass man ihr das Studium an der Universität untersagt hat».

Fabian nickte und errötete stark, da er sich wieder der Taktlosigkeit seiner Frage beim Eintritt erinnerte.

«Welch eine schmachvolle Bestimmung». fuhr Fahle fort. «Bedenken Sie, es ist die gleiche Universität, an der Marions Großvater zwanzig Jahre lang einen Lehrstuhl für Augenchirurgie innehatte». Fahle hielt einen Moment inne und richtete die Blicke wieder düster auf den Park. «Heute ist sie in der jüdischen Schule als Lehrerin tätig. Sie haben dort dreißig Schüler und nur einen kellerähnlichen Unterrichtsraum. Aber das Unterrichten befriedigt sie, und sie scheint glücklich zu sein. Wenigstens habe ich von ihr noch nie die leiseste Klage gehört». «Es sind schwere Prüfungen für alle Wel», sagte Fabian. «Sie erinnern sich wohl meiner Ansichten über diese unsinnigen Dinge? Ich habe mein Urteil darüber bis heute nicht geändert und werde es auch niemals ändern. Übrigens bin ich noch immer überzeugt, dass alle diese unbegreiflichen Maßnahmen Übergangserscheinungen und vorübergehend sind».

Fabian gelang es, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. Er erzählte von seiner Kur, den Sanatorien, den Ärzten, den Bädern, den Spaziergängen, der Verpflegung. Das Interesse des Sanitätsrats erwachte nach kurzer Zeit, und schon warf er kurze Fragen dazwischen, erbat Ergänzungen über das und jenes, lobte, tadelte. Bald hatte er seine niedergedrückte Stimmung völlig überwunden, und etwas von seiner gewohnten alten Lebendigkeit kehrte zurück.

«Ich freue mich über Ihre Fortschritte, die ja unverkennbar sin», sagte er schließlich. «Und nun darf ich wohl von meinen eigenen Sorgen sprechen und von der Angelegenheit, in der ich Ihre Hilfe und Ihren Rat nötig habe».

Fabian beteuerte, dass er alles tun werde, was in seine Macht stände. «Verfügen Sie über mic», versicherte er.

«Ich wusste ja, dass ich mich auf Sie verlassen kann, lieber Freun», erwiderte Fahle dankbar. «Ihr Bruder Wolfgang war neulich bei mir und gab mir den Rat, auf Ihre Rückkehr zu warten. „Mein Bruder“, sagte er, „hat sich sein offenes Herz und seinen Kopf bewahrt und wird schon Rat schaffen.».

Man hatte Sanitätsrat Fahle auf Grund der bekannten Rassengesetze seines Postens im städtischen Krankenhaus enthoben und nach einer gewissen Zeit nur das Praktizieren unter seinen Rassegenossen erlaubt. Dann aber ging es um sein Röntgeninstitut, dessen Leitung er nach wie vor behalten hatte. Zunächst entließ man seine beiden Assistenten, Juden, sehr tüchtige Leute, und ersetzte sie durch neue; schließlich wurde auch ein neuer Direktor für das Institut ernannt. Vor wenigen Wochen nun hatte ihm der neue Direktor das Betreten des Instituts verboten. Es war letzten Endes Fahles Institut, das er aus eigenen Mitteln aufgebaut und unterhalten hatte, eine Menge seltener Apparate waren sogar seine eigene Erfindung. Der neue Direktor aber erklärte ihm, dass das kostbare Institut mit seinen unersetzbaren Einrichtungen unter gar keinen Umständen der Gefahr der Sabotage ausgesetzt werden dürfe.

Fabian sank in seinen Sessel zurück. «Gefahr der Sabotage». rief er empört aus. «Ja». Sanitätsrat Fahle nickte. Sein Gesicht verschwamm vor Fabians Augen. Er sah nur noch seine großen dunklen Augen, die von Gram erfüllt waren, und die buschigen dunklen Brauen darüber.

Nach einer Weile fand Fabian seine Fassung wieder. «Unmöglich». rief er. «Das ist ja der Gipfel der Schamlosigkeit, mein verehrter Herr Sanitätsrat». Er richtete sich wieder auf und schüttelte den Kopf. «Gewiss, ja, ganz sicher handelt es sich um den Willkürakt eines untergeordneten Beamte», sagte er endlich. «Ich werde jedenfalls sofort, morgen vormittag, mit dem Direktor des Krankenhauses Rücksprache nehmen, Doktor Franke ist mir ja gut bekannt».

Fahle lächelte bitter. «Doktor Franke». entgegnete er. «Doktor Franke werden Sie nicht mehr antreffen. Er wurde schon vor Monaten entlassen».

Voller Erstaunen blickte Fabian auf ihn. «Ich kannte Doktor Franke sehr gu», rief er aus, «er war ein selten gütiger und begabter Mann. Sie wissen nicht, aus welchem Grunde man ihn entließ».

Fahle nickte. «Doch, ich weiß es, wie alle Welt es wei», erwiderte er mit müder Stimme. «Es schwebte lange Zeit eine Untersuchung gegen ihn, dann griff der Staatsanwalt ein. Eine frühere Krankenschwester hat Anklage gegen Doktor Franke erhoben, vor fünf Jahren einen unerlaubten Eingriff an ihr ausgeführt zu haben». «Dann muss ja wohl der Eingriff mit ihrem Einverständnis erfolgt sein». «Auf ihren Wunsch sogar. Sie war damals erst siebzehn Jahre alt. Nun, man wollte Doktor Franke vernichten, und man hat ihn vernichtet. Die Krankenschwester dagegen, die der Partei angehört, wurde freigesprochen und bekam einen auskömmlichen Posten». Fahle lachte kurz auf.

Fabian schwieg und blickte in den Park hinaus, ohne das Geringste zu sehen.

«Der Leiter des Krankenhauses ist heute ein Doktor Sandkuhl, noch sehr jung und völlig unnahba», fuhr Fahle nach heftigem Husten fort. «Es dürfte schwer sein, ihn zu einer Änderung der neuen Bestimmungen über das Institut zu bewegen, die wahrscheinlich von ihm selbst ausgehen»..

Das Institut sei zu gemeinnützigen Zwecken beschlagnahmt worden, begann Fahle nach kurzem Schweigen, während Fabian mit unruhiger Miene seinen Gedanken nachging und kaum zuzuhören schien. Es diente ja immer schon gemeinnützigen Zwecken, zwanzig Jahre lang, wenn es auch nebenbei der reinen Forschung gewidmet war. Fahle hatte ohnedies die Absicht gehabt, das Institut bei seinem Tode der Stadt zu vermachen.

«Seit Wochen indessen beschäftigt mich eine eigenartige Ide», sprach Fahle weiter, und Fabian wachte aus seinen Gedanken auf, und seinen Augen war es anzusehen, dass er wieder zuhörte, «eine eigenartige Idee, die ich aber nur mit meinen neuesten Apparaten im Institut nachprüfen kann, verstehen Sie? Es ist eine Idee von großer Tragweite. Ich müsste zu diesem Zweck zuweilen im Institut arbeiten, vielleicht an den Sonntagen, wo kein Mensch im Institut ist. Das würde gewiss nicht stören. Es wäre also nichts anderes zu tun, als mir bei Doktor Sandkuhl diese Erlaubnis zu erwirken. Glauben Sie, dass Sie diese Sache in die Wege leiten[44] können? Das war die Bitte, weshalb ich Sie zu mir bat».

Fabian erhob sich, und seine Miene zeigte einen entschlossenen Ausdruck. «Ich glaube bestimmt, dass es nicht allzuschwer sein wird. Jedenfalls will ich alles, was in meiner Macht steht, versuche», versicherte er. «Man wird doch schließlich eine politische Schrulle für einen Augenblick vergessen können, wenn es sich um eine wissenschaftliche Forschung handelt».

«Danke, lieber Freund». Fahle griff nach Fabians Hand. Mit einem bitteren Lächeln fügte er hinzu: «Vor einigen Jahren hat mir die Universität Cambridge einen Lehrstuhl angeboten. Leider habe ich das Angebot ausgeschlagen. Unser Freund Krüger wollte mich auf keinen Fall gehen lassen und schwor mir, sich zu jeder Zeit wie ein Erzengel schützend vor mich stellen zu wollen, wenn es einmal nötig sein sollte. Wie ein Erzengel! Und heute muss ich darum betteln, einige Stunden in meinem Institut arbeiten zu dürfen».

Er brach ab. Wieder war es Marion, die eintrat. Sie entschuldigte sich, es fange an, kühl zu werden, und sie müsse die Herren bitten, sofort ins Haus zu kommen. Dann wandte sie sich an Fabian: «Ich hoffe, Sie machen uns die große Freude, mit uns zu Abend zu speisen». fragte sie.

Fabian bedauerte. Er habe halb und halb seinem Bruder den heutigen Abend versprochen.

«Halb und halb». rief Marion lachend, während sie ans Telefon eilte. Sofort führte sie ein heiteres Telefongespräch mit Wolfgang, den sie ebenfalls zum Essen einlud. Aber Wolfgang konnte nicht, er konnte auch heute nicht in den «Ster». kommen zu seinem Bruder, eine plötzliche Arbeitswut hatte ihn befallen.

Im Augenblick war alles in Ordnung gebracht. «Nun gibt es kein Hindernis meh», rief sie Fabian triumphierend zu, während sie dem Vater behilflich war, sich vom Diwan zu erheben. «Übrigens werden auch Frau Lerche-Schellhammer und Christa zu Tisch sein. Die Damen nehmen Sie sicher gern in ihrem Wagen mit zur Stadt zurück».

Christa? Fabian sah ihr mildes Lächeln vor sich, als er ihren Namen hörte. Er freute sich, sie überraschend wiederzusehen.

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