Читать книгу «Die Traumdeutung / Толкование сновидений. Книга для чтения на немецком языке» онлайн полностью📖 — Зигмунда Фрейда — MyBook.
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a) Beziehung des Traumes zum Wachleben

Das naive Urteil des Erwachten nimmt an, daß der Traum – wenn er schon nicht aus einer anderen Welt stammt – doch den Schläfer in eine andere Welt entrückt hatte. Der alte Physiologe Burdach, dem wir eine sorgfältige und feinsinnige Beschreibung der Traumphänomene verdanken, hat dieser Überzeugung in einem vielbemerkten Satze Ausdruck gegeben (p. 474): ». . . nie wiederholt sich das Leben des Tages mit seinen Anstrengungen und Genüssen, seinen Freuden und Schmerzen, vielmehr geht der Traum darauf aus, uns davon zu befreien. Selbst wenn unsere ganze Seele von einem Gegenstand erfüllt war, wenn tiefer Schmerz unser Inneres zerrissen oder eine Aufgabe unsere ganze Geisteskraft in Anspruch genommen hatte, gibt uns der Traum entweder etwas ganz Fremdartiges oder er nimmt aus der Wirklichkeit nur einzelne Elemente zu seinen Kombinationen oder er geht nur in die Tonart unserer Stimmung ein und symbolisiert die Wirklichkeit.« – J. H. Fichte (I, 541) spricht im selben Sinne direkt von Ergänzungsträumen und nennt diese eine von den geheimen Wohltaten selbstheilender Natur des Geistes. In ähnlichem Sinne äußert sich noch L. Strümpell in der mit Recht von allen Seiten hochgehaltenen Studie über die Natur und Entstehung der Träume (p. 16): »Wer träumt, ist der Welt des wachen Bewußtseins abgekehrt« . . . (p. 17): »Im Traume geht das Gedächtnis für den geordneten Inhalt des wachen Bewußtseins und dessen normales Verhalten so gut wie ganz verloren« . . . (p. 19): »Die fast erinnerungslose Abgeschiedenheit der Seele im Traume von dem regelmäßigen Inhalt und Verlaufe des wachen Lebens« . . . .

Die überwiegende Mehrheit der Autoren hat aber für die Beziehung des Traumes zum Wachleben die entgegengesetzte Auffassung vertreten. So Haffner (p. 19): »Zunächst setzt der Traum das Wachleben fort. Unsere Träume schließen sich stets an die kurz zuvor im Bewußtsein gewesenen Vorstellungen an. Eine genaue Beobachtung wird beinahe immer einen Faden finden, in welchem der Traum an die Erlebnisse des vorhergehenden Tages anknüpfte.« Weygandt (p. 6) widerspricht direkt der oben zitierten Behauptung Burdachs, »denn es läßt sich oft, anscheinend in der überwiegenden Mehrzahl der Träume beobachten, daß dieselben uns gerade ins gewöhnliche Leben zurückführen, statt uns davon zu befreien.« Maury (p. 56) sagt in seiner knappen Formel: »Nous rêvons de ce que nous avons vu, dit, desiré ou fait«; Jessen in seiner 1855 erschienenen Psychologie (p. 530) etwas ausführlicher: »Mehr oder weniger wird der Inhalt der Träume stets bestimmt durch die individuelle Persönlichkeit, durch das Lebensalter, Geschlecht, Stand, Bildungsstufe, gewohnte Lebensweise und durch die Ereignisse und Erfahrungen des ganzen bisherigen Lebens.«

Am unzweideutigsten nimmt zu dieser Frage der Philosoph I. G. E. Maaß (Über die Leidenschaften, 1805) Stellung: »Die Erfahrung bestätigt unsere Behauptung, daß wir am häufigsten von den Dingen träumen, auf welche unsere wärmsten Leidenschaften gerichtet sind. Hieraus sieht man, daß unsere Leidenschaften auf die Erzeugung unserer Träume Einfluß haben müssen. Der Ehrgeizige träumt von den (vielleicht nur in seiner Einbildung) errungenen oder noch zu erringenden Lorbeeren, indes der Verliebte sich in seinen Träumen mit dem Gegenstand seiner süßen Hoffnungen beschäftigt, . . . Alle sinnlichen Begierden und Verabscheuungen, die im Herzen schlummern, können, wenn sie durch irgend einen Grund angeregt werden, bewirken, daß aus den mit ihnen vergesellschafteten Vorstellungen ein Traum entsteht oder daß sich diese Vorstellungen in einen bereits vorhandenen Traum einmischen.« (Mitgeteilt von Winterstein im Zbl. f. Ps.–A. . . . .)

Nicht anders dachten die Alten über die Abhängigkeit des Trauminhaltes vom Leben. Ich zitiere nach Radestock (p. 139): Als Xerxes vor seinem Zuge gegen Griechenland von diesem seinem Entschluß durch guten Rat abgelenkt, durch Träume aber immer wieder dazu angefeuert wurde, sagte schon der alte rationelle Traumdeuter der Perser, Artabanos, treffend zu ihm, daß die Traumbilder meist das enthielten, was der Mensch schon im Wachen denke.

Im Lehrgedichte des Lucretius, De rerum natura, findet sich (IV, v. 959) die Stelle:

 
»Et quo quisque fere studio devinctus adhaeret,
aut quibus in rebus multum sumus ante morati
atque in ea ratione fuit contenta magis mens,
in somnis eadem plerumque videmur obire;
causidici causas agere et componere leges,
induperatores pugnare ac proelia obire,« etc. etc.
 

Cicero (De Divinatione II) sagt ganz ähnlich, wie so viel später Maury: »Maximeque reliquiae earum rerum moventur in animis et agitantur, de quibus vigilantes aut cogitavimus aut egimus.«

Der Widerspruch dieser beiden Ansichten über die Beziehung von Traumleben und Wachleben scheint in der Tat unauflösbar. Es ist darum am Platz, der Darstellung von F. W. Hildebrandt (1875) zu gedenken, welcher meint, die Eigentümlichkeiten des Traumes ließen sich überhaupt nicht anders beschreiben als durch eine »Reihe von Gegensätzen, welche scheinbar bis zu Widersprüchen sich zuspitzen« (p. 8). »Den ersten dieser Gegensätze bilden einerseits die strenge Abgeschiedenheit oder Abgeschlossenheit des Traumes von dem wirklichen und wahren Leben und anderseits das stete Hinübergreifen des einen in das andere, die stete Abhängigkeit des einen von dem anderen. – Der Traum ist etwas von der wachend erlebten Wirklichkeit durchaus Gesondertes, man möchte sagen, ein in sich selbst hermetisch abgeschlossenes Dasein, von dem wirklichen Leben getrennt durch eine unübersteigliche Kluft. Er macht uns von der Wirklichkeit los, löscht die normale Erinnerung an dieselbe in uns aus und stellt uns in eine andere Welt und in eine ganz andere Lebensgeschichte, die im Grunde nichts mit der wirklichen zu schaffen hat . . . .« Hildebrandt führt dann aus, wie mit dem Einschlafen unser ganzes Sein mit seinen Existenzformen »wie hinter einer unsichtbaren Falltür« verschwindet. Man macht dann etwa im Traume eine Seereise nach St. Helena, um dem dort gefangenen Napoleon etwas Vorzügliches in Moselweinen anzubieten. Man wird von dem Exkaiser aufs liebenswürdigste empfangen und bedauert fast, die interessante Illusion durch das Erwachen gestört zu sehen. Nun aber vergleicht man die Traumsituation mit der Wirklichkeit. Man war nie Weinhändler und hat‘s auch nie werden wollen. Man hat nie eine Seereise gemacht und würde St. Helena am wenigsten zum Ziele einer solchen nehmen. Gegen Napoleon hegt man durchaus keine sympathische Gesinnung, sondern einen grimmigen patriotischen Haß. Und zu alledem war der Träumer überhaupt noch nicht unter den Lebenden, als Napoleon auf der Insel starb; eine persönliche Beziehung zu ihm zu knüpfen lag außerhalb des Bereiches der Möglichkeit. So erscheint das Traumerlebnis als etwas eingeschobenes Fremdes zwischen zwei vollkommen zueinander passenden und einander fortsetzenden Lebensabschnitten.

»Und dennoch,« setzt Hildebrandt fort, »ebenso wahr und richtig ist das scheinbare Gegenteil. Ich meine, mit dieser Abgeschlossenheit und Abgeschiedenheit geht doch die innigste Beziehung und Verbindung Hand in Hand. Wir dürfen geradezu sagen: Was der Traum auch irgend biete, er nimmt das Material dazu aus der Wirklichkeit und aus dem Geistesleben, welches an dieser Wirklichkeit sich abwickelt . . . Wie wunderlich er‘s damit treibe, er kann doch eigentlich niemals von der realen Welt los und seine sublimsten wie possenhaften Gebilde müssen immer ihren Grundstoff entlehnen von dem, was entweder in der Sinnwelt uns vor Augen getreten ist oder in unserem wachen Gedankengange irgendwie bereits Platz gefunden hat, mit anderen Worten, von dem, was wir äußerlich oder innerlich bereits erlebt haben.«

b) Das Traummaterial. – Das Gedächtnis im Traume

Daß alles Material, was den Trauminhalt zusammensetzt, auf irgend eine Weise vom Erlebten abstammt, also im Traume reproduziert, erinnert wird, dies wenigstens darf uns als unbestrittene Erkenntnis gelten. Doch wäre es ein Irrtum anzunehmen, daß ein solcher Zusammenhang des Trauminhaltes mit dem Wachleben sich mühelos als augenfälliges Ergebnis der angestellten Vergleichung ergeben müsse. Derselbe muß vielmehr aufmerksam gesucht werden und weiß sich in einer ganzen Reihe von Fällen für lange Zeit zu verbergen. Der Grund hiefür liegt in einer Anzahl von Eigentümlichkeiten, welche die Erinnerungsfähigkeit im Traume zeigt, und die, obwohl allgemein bemerkt, sich doch bisher jeder Erklärung entzogen haben. Es wird der Mühe lohnen, diese Charaktere eingehend zu würdigen.

Es kommt zunächst vor, daß im Trauminhalt ein Material auftritt, welches man dann im Wachen nicht als zu seinem Wissen und Erleben gehörig anerkennt. Man erinnert wohl, daß man das Betreffende geträumt, aber erinnert nicht, daß und wann man es erlebt hat. Man bleibt dann im unklaren darüber, aus welcher Quelle der Traum geschöpft hat, und ist wohl versucht, an eine selbständig produzierende Tätigkeit des Traumes zu glauben, bis oft nach langer Zeit ein neues Erlebnis die verloren gegebene Erinnerung an das frühere Erlebnis wiederbringt und damit die Traumquelle aufdeckt. Man muß dann zugestehen, daß man im Traume etwas gewußt und erinnert hatte, was der Erinnerungsfähigkeit im Wachen entzogen war[6].

Vaschide behauptet auch, es sei oft bemerkt worden, daß man im Traum fremde Sprachen geläufiger und reiner spreche als im Wachen.

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dieser Art erzählt Delboeuf aus seiner eigenen Traumerfahrung. Er sah im Traume den Hof seines Hauses mit Schnee bedeckt und fand zwei kleine Eidechsen halb erstarrt und unter dem Schnee begraben, die er als Tierfreund aufnahm, erwärmte und in die für sie bestimmte kleine Höhle im Gemäuer zurückbrachte. Außerdem steckte er ihnen einige Blätter von einem kleinen Farnkraut zu, das auf der Mauer wuchs und das sie, wie er wußte, sehr liebten. Im Traume kannte er den Namen der Pflanze: Asplenium ruta muralis. – Der Traum ging dann weiter, kehrte nach einer Einschaltung zu den Eidechsen zurück und zeigte Delboeuf zu seinem Erstaunen zwei neue Tierchen, die sich über die Reste der Farne hergemacht hatten. Dann wandte er den Blick aufs freie Feld, sah eine fünfte, eine sechste Eidechse den Weg zu dem Loche in der Mauer nehmen und endlich war die ganze Straße bedeckt von einer Prozession von Eidechsen, die alle in derselben Richtung wanderten.

Delboeufs Wissen umfaßte im Wachen nur wenige lateinische Pflanzennamen und schloß die Kenntnis eines Asplenium nicht ein. Zu seinem großen Erstaunen mußte er sich überzeugen, daß ein Farn dieses Namens wirklich existiert. Asplenium ruta muraria war seine richtige Bezeichnung, die der Traum ein wenig entstellt hatte. An ein zufälliges Zusammentreffen konnte man wohl nicht denken; es blieb aber für Delboeuf rätselhaft, woher er im Traume die Kenntnis des Namens Asplenium genommen hatte.

Der Traum war im Jahre 1862 vorgefallen; sechzehn Jahre später erblickt der Philosoph bei einem seiner Freunde, den er besucht, ein kleines Album mit getrockneten Blumen, wie sie als Erinnerungsgaben in manchen Gegenden der Schweiz an die Fremden verkauft werden. Eine Erinnerung steigt in ihm auf, er öffnet das Herbarium, findet in demselben das Asplenium seines Traumes und erkennt seine eigene Handschrift in dem beigefügten lateinischen Namen. Nun ließ sich der Zusammenhang herstellen. Eine Schwester dieses Freundes hatte im Jahre 1860 – zwei Jahre vor dem Eidechsentraume – auf der Hochzeitsreise Delboeuf besucht. Sie hatte damals dieses für ihren Bruder bestimmte Album bei sich und Delboeuf unterzog sich der Mühe, unter dem Diktat eines Botanikers zu jedem der getrockneten Pflänzchen den lateinischen Namen hinzuzuschreiben.

Die Gunst des Zufalls, welche dieses Beispiel so sehr mitteilenswert macht, gestattete Delboeuf, noch ein anderes Stück aus dem Inhalt dieses Traumes auf seine vergessene Quelle zurückzuführen. Eines Tages im Jahre 1877 fiel ihm ein alter Band einer illustrierten Zeitschrift in die Hände, in welcher er den ganzen Eidechsenzug abgebildet sah, wie er ihn 1862 geträumt hatte. Der Band trug die Jahreszahl 1861 und Delboeuf wußte sich zu erinnern, daß er von dem Erscheinen der Zeitschrift an zu ihren Abonnenten gehört hatte.

Daß der Traum über Erinnerungen verfügt, welche dem Wachen unzugänglich sind, ist eine so merkwürdige und theoretisch bedeutsame Tatsache, daß ich durch Mitteilung noch anderer »hypermnestischer« Träume die Aufmerksamkeit für sie verstärken möchte. Maury erzählt, daß ihm eine Zeitlang das Wort Mussidan bei Tag in den Sinn zu kommen pflegte. Er wußte, daß es der Name einer französischen Stadt sei, aber weiter nichts. Eines Nachts träumte ihm von einer Unterhaltung mit einer gewissen Person, die ihm sagte, sie käme aus Mussidan, und auf seine Frage, wo die Stadt liege, zur Antwort gab: Mussidan sei eine Kreisstadt im Département de la Dordogne. Erwacht, schenkte Maury der im Traume erhaltenen Auskunft keinen Glauben; das geographische Lexikon belehrte ihn aber, daß sie vollkommen richtig sei. In diesem Falle ist das Mehrwissen des Traumes bestätigt, die vergessene Quelle dieses Wissens aber nicht aufgespürt worden.

Jessen erzählt (p. 55) ein ganz ähnliches Traumvorkommnis aus älteren Zeiten: »Dahin gehört unter anderem der Traum des älteren Scaliger (Hennings l. c., p. 300), welcher ein Gedicht zum Lobe der berühmten Männer in Verona schrieb und dem ein Mann, welcher sich Brugnolus nannte, im Traume erschien und sich beklagte, daß er vergessen sei. Obgleich Scaliger sich nicht erinnerte, je etwas von ihm gehört zu haben, so machte er doch Verse auf ihn, und sein Sohn erfuhr nachher in Verona, daß ehemals ein solcher Brugnolus als Kritiker daselbst berühmt gewesen sei.«

Einen hypermnestischen Traum, welcher sich durch die besondere Eigentümlichkeit auszeichnet, daß sich in einem darauffolgenden Traum die Agnoszierung der zuerst nicht erkannten Erinnerung vollzieht, erzählt der Marquis d‘Hervey de St. Denis (nach Vaschide, p. 232): »Ich träumte einmal von einer jungen Frau mit goldblondem Haar, die ich mit meiner Schwester plaudern sah, während sie ihr eine Stickereiarbeit zeigte. Im Traum kam sie mir sehr bekannt vor, ich meinte sogar, sie zu wiederholten Malen gesehen zu haben. Nach dem Erwachen habe ich dieses Gesicht noch lebhaft vor mir, kann es aber absolut nicht erkennen. Ich schlafe nun wieder ein; das Traumbild wiederholt sich. In diesem neuen Traum spreche ich nun die blonde Dame an und frage sie, ob ich nicht schon das Vergnügen gehabt, sie irgendwo zu treffen. Gewiß, antwortet die Dame, erinnern Sie sich nur an das Seebad von Pornic. Sofort wache ich wieder auf und weiß mich nun mit aller Sicherheit an die Einzelheiten zu besinnen, mit denen dieses anmutige Traumgesicht verknüpft war.«

Derselbe Autor (bei Vaschide, p. 233) berichtet:

Ein ihm bekannter Musiker hörte einmal im Traum eine Melodie, die ihm völlig neu erschien. Erst mehrere Jahre später fand er dieselbe in einer alten Sammlung von Musikstücken aufgezeichnet, die vorher in der Hand gehabt zu haben er sich noch immer nicht erinnert.