Читать книгу «Der Tod in Venedig / Смерть в Венеции. Книга для чтения на немецком языке» онлайн полностью📖 — Томаса Манна — MyBook.

Herr Spinell saß der Gattin Herrn Klöterjahns bei Tische gegenüber. Zur ersten Mahlzeit, an der die Herrschaften teilnahmen, erschien er ein wenig zu spät in dem großen Speisesaal im Erdgeschoss des Seitenflügels, sprach mit weicher Stimme einen an alle gerichteten Gruß und begab sich an seinen Platz, worauf Doktor Leander ihn ohne viel Zeremonie den neu Angekommenen vorstellte. Er verbeugte sich und begann dann, offenbar ein wenig verlegen, zu essen, indem er Messer und Gabel mit seinen großen, weißen und schön geformten Händen, die aus sehr engen Ärmeln hervorsahen, in ziemlich affektierter Weise bewegte. Später wurde er frei und betrachtete in Gelassenheit abwechselnd Herrn Klöterjahn und seine Gattin. Auch richtete Herr Klöterjahn im Verlaufe der Mahlzeit einige Fragen und Bemerkungen betreffend die Anlage und das Klima von „Einfried“ an ihn, in die seine Frau in ihrer lieblichen Art zwei oder drei Worte einfließen ließ und die Herr Spinell höflich beantwortete. Seine Stimme war mild und recht angenehm; aber er hatte eine etwas behinderte und schlürfende Art zu sprechen, als seien seine Zähne der Zunge im Wege.

Nach Tische, als man ins Konversationszimmer hinübegegangen war und Doktor Leander den neuen Gästen im besonderen eine gesegnete Mahlzeit wünschte[27], erkundigte sich Herrn Klöterjahns Gattin nach ihrem Gegenüber.

„Wie heißt der Herr?“ fragte sie… „Spinelli? Ich habe den Namen nicht verstanden.“

„Spinell. nicht Spinelli, gnädige Frau. Nein, er ist kein Italiener, sondern bloß aus Lemberg gebürtig, soviel ich weiß.“

„Was sagten Sie? Er ist Schriftsteller? Oder was?“ fragte Herr Klöterjahn; er hielt die Hände in den Taschen seiner bequemen englischen Hose, neigte sein Ohr dem Doktor zu und öffnete, wie manche Leute pflegen, den Mund beim Horchen.

„Ja, ich weiß nicht, er schreibt…“, antwortete Doktor Leander. „Er hat, glaube ich, ein Buch veröffentlicht, eine Art Roman, ich weiß wirklich nicht.“

Dieses wiederholte „Ich weiß nicht“ deutete an, dass Doktor Leander keine großen Stücke auf den Schriftsteller hielt[28] und jede Verantwortung für ihn ablehnte.

„Aber das ist ja sehr interessant!“ sagte Herrn Klöterjahns Gattin. Sie hatte noch nie einen Schriftsteller von Angesicht zu Angesicht gesehen.

„O ja“, erwiderte Doktor Leander entgegenkommend. „Er soll sich eines gewissen Rufes erfreuen.“ Dann wurde nicht mehr von dem Schriftsteller gesprochen.

Aber ein wenig später, als die neuen Gäste sich zurückgezogen hatten und Doktor Leander ebenfalls das Konversationszimmer verlassen wollte, hielt Herr Spinell ihn zurück und erkundigte sich auch seinerseits.

„Wie ist der Name des Paares?“ fragte er. „Ich habe natürlich nichts verstanden.“

„Klöterjahn“, antwortete Doktor Leander und ging schon wieder.

„Wie heißt der Mann?“ fragte Herr Spinell.

„Klöterjahn heißen sie!“ sagte Doktor Leander und ging seiner Wege. – Er hielt gar keine großen Stücke auf den Schriftsteller.

Waren wir schon soweit, dass Herr Klöterjahn in die Heimat zurückgekehrt war? Ja, er weilte wieder am Ostseestrande, bei seinen Geschäften und seinem Kinde, diesem rücksichtslosen und lebensvollen kleinen Geschöpf, das seiner Mutter sehr viele Leiden und einen kleinen Defekt an der Luftröhre gekostet hatte. Sie selbst aber, die junge Frau, blieb in „Einfried“ zurück, und die Magistratsrätin Spatz schloss sich ihr als ältere Freundin an. Das aber hinderte nicht, dass Herrn Klöterjahns Gattin auch mit den übrigen Kurgästen gute Kameradschaft pflegte, zum Beispiel mit Herrn Spinell, der ihr zum Erstaunen aller (denn er hatte bislang mit keiner Seele Gemeinschaft gehalten) von Anbeginn eine außerordentliche Ergebenheit und Dienstfertigkeit entgegenbrachte und mit dem sie in den Freistunden, die eine strenge Tagesordnung ihr ließ, nicht ungern plauderte.

Er näherte sich ihr mit einer ungeheuren Behutsamkeit und Ehrerbietung und sprach zu ihr nicht anders als mit sorgfältig gedämpfter Stimme, so dass die Rätin Spatz, die an den Ohren krankte, meistens überhaupt nichts von dem verstand, was er sagte. Er trat auf den Spitzen seiner großen Füße zu dem Sessel, in dem Herrn Klöterjahns Gattin zart und lächelnd lehnte, blieb in einer Entfernung von zwei Schritten stehen, hielt das eine Bein zurückgestellt und den Oberkörper vorgebeugt und sprach in seiner etwa behinderten und schlürfenden Art leise, eindringlich und jeden Augenblick bereit, eilends zurückzutreten und zu verschwinden, sobald ein Zeichen von Ermüdung und Überdruss sich auf ihrem Gesicht bemerkbar machen würde. Aber er verdross sie nicht; sie forderte ihn auf, sich zu ihr und der Rätin zu setzen, richtete irgendeine Frage an ihn und hörte ihm dann lächelnd und neugierig zu, denn manchmal ließ er sich so amüsant und seltsam vernehmen, wie es ihr noch niemals begegnet war.

„Warum sind Sie eigentlich in,Einfried’?“ fragte sie. „Welche Kur brauchen Sie, Herr Spinell?“

„Kur?… Ich werde ein bisschen elektrisiert. Nein, das ist nicht der Rede wert. Ich werde Ihnen sagen, gnädige Frau, warum ich hier bin. – Des Stiles wegen.“

„Ah!“ sagte Herrn Klöterjahns Gattin, stützte das Kinn in die Hand und wandte sich ihm mit einem übertriebenen Eifer zu, wie man ihn Kindern vorspielt, wenn sie etwas erzählen wollen.

„Ja, gnädige Frau,Einfried’ ist ganz empire[29], es ist ehedem ein Schloss, eine Sommerresidenz gewesen, wie man mir sagt. Dieser Seitenflügel ist ja ein Anbau aus späterer Zeit, aber das Hauptgebäude ist alt und echt. Es gibt nun Zeiten, in denen ich das empire einfach nicht entbehren kann, in denen es mir, um einen bescheidenen Grad des Wohlbefindens zu erreichen, unbedingt nötig ist. Es ist klar, dass man sich anders befindet zwischen Möbeln weich und bequem bis zur Laszivität, und anders zwischen diesen geradlinigen Tischen, Sesseln und Draperien… Diese Helligkeit und Härte, diese kalte herbe Einfachheit und reservierte Strenge verleiht mir Haltung und Würde, gnädige Frau, sie hat auf die Dauer eine innere Reinigung und Restaurierung zur Folge, sie hebt mich sittlich, ohne Frage.“

„Ja, das ist merkwürdig“, sagte sie. „Übrigens verstehe ich es, wenn ich mir Mühe gebe.“

Hierauf erwiderte er, dass es irgendwelcher Mühe nicht lohne, und dann lachten sie miteinander. Auch die Rätin Spatz lachte und fand es merkwürdig; aber sie sagte nicht, dass sie es verstünde.

Das Konversationszimmer war geräumig und schön. Die hohe, weiße Flügeltür zu dem anstoßenden Billardraume stand weit geöffnet, wo die Herren mit den unbeherrschten Beinen und andere sich vergnügten. Andererseits gewährte eine Glastür den Anblick auf die breite Terrasse und den Garten. Seitwärts davon stand ein Piano[30]. Ein grün ausgeschlagener Spieltisch war vorhanden, an dem der diabetische General mit ein paar anderen Herren Whist[31] spielte. Damen lasen und waren mit Handarbeiten beschäftigt. Ein eiserner Ofen besorgte die Heizung, aber vor dem stilvollen Kamin, in dem nachgeahmte, mit glühroten Papierstreifen beklebte Kohlen lagen, waren behagliche Plauderplätze.

„Sie sind ein Frühaufsteher, Herr Spinell“, sagte Herrn Klöterjahns Gattin. „Zufällig habe ich Sie nun schon zwei-oder dreimal um halb acht Uhr am Morgen das Haus verlassen sehen.“

„Ein Frühaufsteher? Ach, sehr mit Unterschied, gnädige Frau. Die Sache ist die, dass ich früh aufstehe, weil ich eigentlich ein Langschläfer bin.“

„Das müssen Sie nun erklären, Herr Spinell!“ – Auch die Rätin Spatz wollte es erklärt haben.

„Nun… ist man ein Frühaufsteher, so hat man es, dünkt mich[32], nicht nötig, gar so früh aufzustehen. Das Gewissen, gnädige Frau. es ist eine schlimme Sache mit dem Gewissen! Ich und meinesgleichen, wir schlagen uns Zeit unseres Lebens[33] damit herum und haben alle Hände voll zu tun, es hier und da zu betrügen und ihm kleine, schlaue Genugtuungen zuteil werden zu lassen. Wir sind unnütze Geschöpfe, ich und meinesgleichen, und abgesehen von wenigen guten Stunden schleppen wir uns an dem Bewusstsein unserer Unnützlichkeit wund und krank. Wir hassen das Nützliche, wir wissen, dass es gemein und unschön ist, und wir verteidigen diese Wahrheit, wie man nur Wahrheiten verteidigt, die man unbedingt nötig hat. Und dennoch sind wir so ganz vom bösen Gewissen zernagt, dass kein heller Fleck mehr an uns ist. Hinzu kommt, dass die ganze Art unserer inneren Existenz, unsere Weltanschauung, unsere Arbeitsweise… von schrecklich ungesunder, unterminierender, aufreibender Wirkung ist, und auch dies verschlimmert die Sache. Da gibt es nun kleine Linderungsmittel, ohne die man es einfach nicht aushielte. Eine gewisse Artigkeit und hygienische Strenge der Lebensführung zum Beispiel ist manchen von uns Bedürfnis. Früh aufstehen, grausam früh, ein kaltes Bad und ein Spaziergang hinaus in den Schnee. Das macht, dass wir vielleicht eine Stunde lang ein wenig zufrieden mit uns sind. Gäbe ich mich, wie ich bin, so würde ich bis in den Nachmittag hinein im Bette liegen, glauben Sie mir. Wenn ich früh aufstehe, so ist das eigentlich Heuchelei.“

„Nein, weshalb, Herr Spinell! Ich nenne das Selbstüberwindung. Nicht wahr, Frau Rätin?“ – Auch die Rätin Spatz nannte es Selbstüberwindung.

„Heuchelei oder Selbstüberwindung, gnädige Frau! Welches Wort man nun vorzieht. Ich bin so gramvoll ehrlich veranlagt, dass ich.“

„Das ist es. Sicher grämen Sie sich zuviel.“

„Ja, gnädige Frau, ich gräme mich viel.“

Das gute Wetter hielt an. Weiß, hart und sauber, in Windstille und lichtem Frost, in blendender Helle und bläulichem Schatten lag die Gegend, lagen Berge, Haus und Garten, und ein zartblauer Himmel, in dem Myriaden von flimmernden Leuchtkörperchen, von glitzernden Kristallen zu tanzen schienen, wölbte sich makellos über dem Ganzen. Der Gattin Herrn Klöterjahns ging es leidlich in dieser Zeit; sie war fieberfrei, hustete fast gar nicht und aß ohne allzuviel Widerwillen. Oftmals saß sie, wie das ihre Vorschrift war, stundenlang im sonnigen Frost auf der Terrasse. Sie saß im Schnee, ganz in Decken und Pelzwerk verpackt, und atmete hoffnungsvoll die reine, eisige Luft, um ihrer Luftröhre zu dienen. Dann bemerkte sie zuweilen Herrn Spinell, wie er, ebenfalls warm gekleidet und in Pelzschuhen, die seinen Füßen einen phantastischen Umfang verliehen, sich im Garten erging. Er ging mit tastenden Schritten und einer gewissen behutsamen und steifgraziösen Armhaltung durch den Schnee, grüßte sie ehrerbietig, wenn er zur Terrasse kam, und stieg die unteren Stufen hinan, um ein kleines Gespräch zu beginnen.

„Heute, auf meinem Morgenspaziergang, habe ich eine schöne Frau gesehen… Gott, sie war schön!“ sagte er, legte den Kopf auf die Seite und spreizte die Hände.

„Wirklich, Herr Spinell? Beschreiben Sie sie mir doch!“

„Nein, das kann ich nicht. Oder ich würde Ihnen doch ein unrichtiges Bild von ihr geben. Ich habe die Dame im Vorübergehen nur mit einem halben Blicke gestreift, ich habe sie in Wirklichkeit nicht gesehen. Aber der verwischte Schatten von ihr, den ich empfing, hat genügt, meine Phantasie anzuregen und mich ein Bild mit fortnehmen zu lassen, das schön ist. Gott, es ist schön!“

Sie lachte. „Ist das Ihre Art, sich schöne Frauen zu betrachten, Herr Spinell?“

„Ja, gnädige Frau; und es ist eine bessere Art, als wenn ich ihnen plump und wirklichkeitsgierig ins Gesicht starre und den Eindruck einer fehlerhaften Tatsächlichkeit davontrüge…“

„Wirklichkeitsgierig… Das ist ein sonderbares Wort! Ein richtiges Schriftstellerwort, Herr Spinell! Aber es macht Eindruck auf mich, will ich Ihnen sagen. Es liegt so manches darin, wovon ich ein wenig verstehe, etwas Unabhängiges und Freies, das sogar der Wirklichkeit die Achtung kündigt, obgleich sie doch das Respektabelste ist, was es gibt, ja das Respektable selbst. Und dann begreife ich, dass es etwas gibt außer dem Handgreiflichen, etwas Zarteres.“

„Ich weiß nur ein Gesicht“, sagte er plötzlich mit einer seltsam freudigen Bewegung in der Stimme, erhob seine geballten Hände zu den Schultern und ließ in einem exaltierten Lächeln seine kariösen Zähne sehen. “Ich weiß nur ein Gesicht, dessen veredelte Wirklichkeit durch meine Einbildung korrigieren zu wollen sündhaft wäre, das ich betrachten, auf dem ich verweilen möchte, nicht Minuten, nicht Stunden, sondern mein ganzes Leben lang, mich ganz darin verlieren und alles Irdische darüber vergessen.“

„Ja, ja, Herr Spinell. Nur dass Fräulein von Osterloh doch ziemlich abstehende Ohren hat.“

Er schwieg und verbeugte sich tief. Als er wieder aufrecht stand, ruhten seine Augen mit einem Ausdruck von Verlegenheit und Schmerz auf dem kleinen, seltsamen Äderchen, das sich blaßblau und kränklich in der Klarheit ihrer wie durchsichtigen Stirn verzweigte.

7

Ein Kauz, ein ganz wunderlicher Kauz! Herrn Klöterjahns Gattin dachte zuweilen nach über ihn, denn sie hatte sehr viel Zeit zum Nachdenken. Sei es, dass der Luftwechsel anfing, die Wirkung zu versagen, oder dass irgendein positiv schädlicher Einfluss sie berührt hatte: ihr Befinden war schlechter geworden, der Zustand ihrer Luftröhre schien zu wünschen übrigzulassen, sie fühlte sich schwach, müde, appetitlos, fieberte nicht selten; und Doktor Leander hatte ihr aufs entschiedenste Ruhe, Stillverhalten und Vorsicht empfohlen. So saß sie, wenn sie nicht liegen musste, in Gesellschaft der Rätin Spatz, verhielt sich still und hing, eine Handarbeit im Schoße, an der sie nicht arbeitete, diesem oder jenem Gedanken nach.

Ja, er machte ihr Gedanken, dieser absonderliche Herr Spinell, und, was das Merkwürdige war, nicht sowohl über seine als über ihre eigene Person; auf irgendeine Weise rief er in ihr eine seltsame Neugier, ein nie gekanntes Interesse für ihr eigenes Sein hervor. Eines Tages hatte er beim Gespräch geäußert:

„Nein, es sind rätselvolle Tatsachen, die Frauen… sowenig neu ist es, sowenig kann man ablassen, davor zu stehen und zu staunen. Da ist ein wunderbares Geschöpf, eine Sylphe[34], ein Duftgebild, ein Märchentraum von einem Wesen. Was tut sie? Sie geht hin und ergibt sich einem Jahrmarktsherkules[35]oder Schlächterburschen[36]. Sie kommt an seinem Arme daher, lehnt vielleicht sogar ihren Kopf an seine Schulter und blickt dabei verschlagen lächelnd um sich her, als wollte sie sagen: Ja, nun zerbrecht euch die Köpfe über diese Entscheidung! – Und wir zerbrechen sie uns.“ -

Hiermit hatte Herrn Klöterjahns Gattin sich wiederholt beschäftigt.

Eines anderen Tages fand zum Erstaunen der Rätin Spatz folgendes Zwiegespräch zwischen ihnen statt.

„Darf ich einmal fragen, gnädige Frau (aber es ist wohl naseweis), wie Sie heißen, wie eigentlich Ihr Name ist?“

„Ich heiße doch Klöterjahn, Herr Spinell!“

„Hm. – Das weiß ich. Oder vielmehr: ich leugne es. Ich meine natürlich Ihren eigenen Namen, Ihren Mädchennamen. Sie werden gerecht sein und einräumen, gnädige Frau, dass, wer Sie,Frau Klöterjahn’nennen wollte, die Peitsche verdiente.“

Sie lachte so herzlich, dass das blaue Äderchen über ihrer Braue beängstigend deutlich hervortrat und ihrem zarten, süßen Gesicht einen Ausdruck von Anstrengung und Bedrängnis verlieh, der tief beunruhigte.

„Nein! Bewahre[37], Herr Spinell! Die Peitsche? Ist,Klöterjahn’ Ihnen so fürchterlich?“

„Ja, gnädige Frau, ich hasse diesen Namen aus Herzensgrund, seit ich ihn zum ersten Mal vernahm. Er ist komisch und zum Verzweifeln unschön, und es ist Barbarei und Niedertracht, wenn man die Sitte so weit treibt, auf Sie den Namen Ihres Herrn Gemahls zu übertragen.“

„Nun, und,Eckhof[38]’? Ist Eckhof schöner? Mein Vater heißt Eckhof.“

„Oh, sehen Sie!Eckhof’ ist etwas ganz anderes! Eckhof hieß sogar ein großer Schauspieler. Eckhof passiert[39]. – Sie erwähnten nun Ihres Vaters[40]. Ist Ihre Frau Mutter…“

„Ja, meine Mutter starb, als ich noch klein war.“

„Ah. – Sprechen Sie mir doch ein wenig mehr von Ihnen, darf ich Sie bitten? Wenn es Sie ermüdet, dann nicht. Dann ruhen Sie, und ich fahre fort, Ihnen von Paris zu erzählen, wie neulich. Aber Sie könnten ja ganz leise reden, ja, wenn Sie flüstern, so wird das alles noch schöner machen. Sie wurden in Bremen geboren?“

Und diese Frage tat er beinahe tonlos, mit einem ehrfurchtsvollen und inhaltsschweren Ausdruck, als sei Bremen eine Stadt ohnegleichen, eine Stadt voller unnennbarer Abenteuer und verschwiegener Schönheiten, in der geboren zu sein eine geheimnisvolle Hoheit verleihe.

„Ja, denken Sie!“ sagte sie unwillkürlich. „Ich bin aus Bremen.“

„Ich war einmal dort“, bemerkte er nachdenklich. -

„Mein Gott, Sie waren auch dort? Nein, hören Sie, Herr Spinell, zwischen Tunis und Spitzbergen haben Sie, glaube ich, alles gesehen!“

„Ja, ich war einmal dort“, wiederholte er. „Ein paar schmalen Straßen, über deren Giebeln schief und seltsam der Mond stand. Dann war ich in einem Keller, in dem es nach Wein und Moder roch. Das ist eine durchdringende Erinnerung…“

„Wirklich? Wo mag das gewesen sein? – Ja, in solchem grauen Giebelhause[41], einem alten Kaufmannshause mit hallender Diele und weißlackierter Galerie, bin ich geboren.“

„Ihr Herr Vater ist also Kaufmann?“ fragte er ein wenig zögernd.

„Ja. Aber außerdem und eigentlich wohl in erster Linie ist er ein Künstler.“

„Ah! Ah! Inwiefern?“

„Er spielt die Geige… Aber das sagt nicht viel. Wie er sie spielt, Herr Spinell, das ist die Sache! Einige Töne habe ich niemals hören können, ohne dass mir die Tränen so merkwürdig brennend in die Augen stiegen, wie sonst bei keinem Erlebnis. Sie glauben es nicht.“

„Ich glaube es! Ah, ob ich es glaube!.. Sagen Sie mir, gnädige Frau: Ihre Familie ist wohl alt? Es haben wohl schon viele Generationen in dem grauen Giebelhaus gelebt, gearbeitet und das Zeitliche gesegnet[42]?“

„Ja. – Warum fragen Sie übrigens?“

„Weil es nicht selten geschieht, dass ein Geschlecht mit praktischen, bürgerlichen und trockenen Traditionen sich gegen das Ende seiner Tage noch einmal durch die Kunst verklärt.“

„Ist dem so? – Ja, was meinen Vater betrifft, so ist er sicherlich mehr ein Künstler als mancher, der sich so nennt und vom Ruhme lebt. Ich spiele nur ein bisschen Klavier. Jetzt haben sie es mir ja verboten; aber damals, zu Hause, spielte ich noch. Mein Vater und ich, wir spielten zusammen. Ja, ich habe all die Jahre in lieber Erinnerung; besonders den Garten, unseren Garten, hinterm Hause. Er war jämmerlich verwildert und verwuchert und von zerbröckelten, bemoosten Mauern eingeschlossen; aber gerade das gab ihm viel Reiz. In der Mitte war ein Springbrunnen, mit einem dichten Kranz von Schwertlilien umgeben. Im Sommer verbrachte ich dort lange Stunden mit meinen Freundinnen. Wir saßen alle auf kleinen Feldsesseln rund um den Springbrunnen herum…“