„Morgen schon?“, rief Bryn und hockte sich auf die Armlehne des Sofas.
Keira nickte und wuselte durch die kleine Wohnung, sammelte ihre Sachen ein und warf sie in ihren Koffer. Sie war ganz hibbelig vor Aufregung.
„Kannst du dir das vorstellen? Du hast deine Wohnung drei ganze Wochen für dich allein.“
„Aber du verpasst Halloween“, jammerte Bryn. „Malcolm und Glen wollten uns auf eine Party mitnehmen.“
Keira rollte mit den Augen. „Wie bedauerlich“, sagte sie voller Sarkasmus.
Es klingelte an der Tür. Bryn ging hin, um die Gegensprechanlage zu benutzen. Dann schaute sie über ihre Schulter zu Keira, ihr Blick verfinsterte sich. „Warum stehen Shelby und Maxine vor meiner Tür?“
Maxine und Shelby waren Keiras älteste Freundinnen, die sie auf dem College kennengelernt hatte. Bryn konnte die beiden nicht leiden, allerdings verstand Keira nicht, wieso. Vermutlich steckte Eifersucht dahinter.
„Das hatte ich total vergessen“, keuchte Keira. „Ich habe die beiden schon vor Ewigkeiten zu einem Drink eingeladen. Ich wollte die beiden sehen, bevor Shane meine ganze Zeit in Anspruch nehmen würde. Ist das okay?“
„Ich habe ja offensichtlich keine Wahl“, antwortete Bryn schnippisch. „Ist halt schade. Wir beide hätten uns einen echt netten Abend zu zweit machen können, bevor du so lange weg bist.“
„Tut mir leid“, sagte Keira schulterzuckend. „Ich wusste ja nicht, dass dies mein letzter Abend hier sein würde, als ich mich mit ihnen verabredete. Ich war davon ausgegangen, dass du ein Date mit irgendeinem Typen hast, wie fast jeden Abend.“
Es klopfte an der Tür und Bryn stand schnaubend auf, um zu öffnen. Kurz darauf hörte Keira die fröhlichen Stimmen von Maxine und Shelby. Sie eilte zur Tür und schaute ihre Freundinnen an, die zarte Shelby mit ihren langen, weißblonden Haaren und die super sportliche Maxine mit den kurzen schwarzen Locken und der dunklen Haut.
„Keira!“, riefen sie und nahmen sie stürmisch in den Arm.
„Wir haben uns ewig nicht gesehen“, sagte Maxine in ihr Ohr.
„Ich war mir sicher, du würdest nie wieder nach New York zurückkehren“, fügte Shelby ins andere Ohr hinzu.
Keira zog sich ein Stück zurück. „Ich weiß, es tut mir leid. Alles ging irgendwie so schnell. Die Reise nach Irland, das Ende mit Zach, der Auszug aus der Wohnung. Ich hatte kaum Zeit, meine eigenen Gedanken zu sortieren.“
Bryn, die noch immer die Tür aufhielt, fügte spitz hinzu: „Es blieb nur Zeit für die Familie, ihr versteht das sicher.“
„Klar“, meinte Maxine mit einem erzwungenen Lächeln.
Keira zog ihre Freundinnen hinein in die Wohnung. „Kommt, wir trinken etwas. Und dann reden wir.“
„Und du packst“, fügte Bryn mit besonders erwachsenem Ton hinzu.
Sie gingen hinein und plapperten alle gleichzeitig. Bryn öffnete widerwillig eine Flasche Wein für sie alle und setzte sich dann schmollend an die Küchenzeile. Sie reichte jeder ein Glas, konnte sich aber eine finstere Miene nicht verkneifen.
„Du reist also nach Italien?“, fragte Shelby und grinste aufgeregt. „Für wie lange?“
„Drei Wochen.“ Keira faltete ihre Kleidung und verstaute sie im Koffer. „Das ist in der Redaktion aktuell mein Fachgebiet. Ich reise nach Übersee und schreibe über die Liebe. Sie nennen mich den Guru für Romantik.“
Shelby und Maxine tauschten einen Blick, den Keira sofort verstand.
„Ich weiß, ich bin ganz schlecht in Beziehungen. Zwei Trennungen in zwei Monaten, ich weiß. Aber ich kann ja so tun als ob.“
„Du meinst lügen?“, fragte Maxine lachend.
„Wenn es sein muss.“ Keira erinnerte sich daran, wie sehr sie mit dem letzten Artikel gerungen hatte. Damals war sie zynisch gewesen und hatte sich dagegen gewehrt, sich in Irland zu verlieben, und darüber hinaus auch in Shane. Jetzt musste sie die Sache genau anders herum angehen. Sie sollte hoffnungslos romantisch sein und sich der Liebe und der Leidenschaft ganz einfach hingeben. Sie fühlte sich wahrlich nicht danach.
„Du musst dich einfach in einen heißen Italiener vergucken“, fügte Shelby hinzu.
Keira schmunzelte. „Wäre doch nett, oder?“ Allerdings hatte sie das Gefühl, eine Nonne im Kloster hätte größere Chancen auf eine leidenschaftliche Affäre als sie derzeit.
„Du wirst Halloween verpassen“, meinte Maxine niedergeschlagen.
„Ich weiß, es ist ein Jammer“, gab Keira zu. „Das ist mein liebster Feiertag. Aber in Italien feiert man auch so etwas. Sogar vier Tage lang, glaube ich. Totensonntag, Allerseelen, Allerheiligen. Das ist eine große Sache. Eine Riesenparty.“
Shelby verschränkte spöttisch die Arme vor der Brust. „Du meinst also, dein Halloween wird um Längen besser als unseres?“
„Nein“, antwortete Keira lachend. „Na, vielleicht.“
Alle lachten, außer Bryn natürlich. Sie starrte in ihr Weinglas und schmollte.
„Wie dem auch sei“, sagte Keira, „wir können ja dann Thanksgiving zusammen feiern. Bis dahin bin ich längst zurück.“
Bryns Kopf ruckte hoch. „Wir verbringen Thanksgiving dieses Jahr bei unserer Mutter, vergiss das nicht. Nur wir drei.“
„Zum Essen“, wandte Keira ein. Sie verlor langsam die Geduld mit ihrer Schwester. „Den Rest des Tages darf ich aber mit meinen Freundinnen verbringen, oder?“
„Natürlich kannst du das“, maulte Bryn. Sie starrte wieder in ihr Glas.
Maxine hob fragend die Augenbrauen. Sie und Shelby waren Bryns Herumzickerei gewohnt, aber Keira verstand nicht, warum Bryn so besitzergreifend war. Sie hatte doch wohl das Recht auf andere Menschen in ihrem Leben. Bryn war selber sehr unabhängig und hatte ständig Freunde und Liebhaber, war permanent unterwegs, von einem Ereignis zum nächsten. Aber sobald Keira Zeit mit jemand anderem verbringen wollte, stellte sie sich an. Manchmal hatte Keira schon das Gefühl, sie sei die ältere der beiden. Bryn konnte sich manchmal wie eine verwöhnte Zicke aufführen.
„Thanksgiving ist noch so weit weg“, meinte Shelby.
„Ich weiß“, antwortete Keira. „Ich habe auch das Gefühl, kaum in New York angekommen zu sein. Es ist, als ob ich nur auf Urlaub hier gewesen wäre. Ich dachte, ich hätte mehr Zeit, um mit allem auf den neuesten Stand zu kommen. Ich habe noch nicht mal eine neue Wohnung gefunden.“
„Wo wir gerade von Wohnungen reden …“, sagte Bryn.
Sie schaute auf Keiras Handy, das auf dem Schrank lag. Der Bildschirm war erleuchtet, gerade war eine Nachricht eingetroffen. Zachs Name stand gut lesbar im Display.
„Wehe, das ist nicht wegen der Kaution, die er mir schuldet“, sagte Keira.
Shelby und Maxine tauschten einen schuldbewussten Blick und Keira bekam das unbestimmte Gefühl, die beiden hätten etwas zu verbergen.
„Was ist los?“, frage sie energisch.
Sie hatte von Überraschungen die Nase gestrichen voll.
Shelby gab schließlich alles zu. „Ich könnte mir vorstellen, dass es mit Julia zu tun hat. Sie haben sich getrennt.“
Keira hob überrascht eine Augenbraue. „Haben sie?“ Diese Affäre war der Grund für ihre Trennung gewesen und hatte nur ein paar Wochen angehalten?
Sie nahm das Telefon und las Zachs Nachricht. Shelbys Vermutung wurde bestätigt.
Hallo Keira. Lange nichts voneinander gehört. Ich wollte dir nur mitteilen, dass ich mich von Julia getrennt habe, bevor du es durch die Gerüchteküche hörst. Hat einfach nicht gepasst mir ihr. Frage mich, ob du Lust auf einen Drink hast? Heute? Morgen? Lass es mich wissen. X
„Was für ein arroganter Drecksack“, murmelte Keira.
„Was hat er denn geschrieben?“, fragte Maxine.
„Nichts darüber, dass er meine Kaution als Geisel genommen hat“, meinte Keira angewidert. „Er will mich auf einen Drink treffen.“
Bryn fiel die Kinnlade runter. „Das machst du doch wohl nicht, oder?“
Keira schaute sie schockiert an. „Natürlich nicht. Es sei denn, es ist die einzige Möglichkeit, an mein Geld zu kommen.“
Bryn schüttelte tadelnd den Kopf. „Wenn er dich erpresst, damit du mit ihm ausgehst, dann kriegt er es mit mir zu tun.“
Shelby schaute sie irritiert an. „Er erpresst sie doch nicht, übertreib doch nicht so.“
Bryn sah beleidigt aus. „Entschuldige mal, wessen Freunde seid ihr doch gleich? Seine oder Keiras?“
„Beides“, antwortete Shelby und verschränkte die Arme.
Bryn sah unbeeindruckt aus. „Obwohl er fremdgegangen ist?“
„Leute!“, rief Keira. Sie hatte keinen Bock auf Rumgezicke. Sie starrte noch immer auf ihr Handy.
Bryn nahm es ihr aus der Hand.
„Denk nicht mal dran“, sagte sie streng.
„Tue ich ja gar nicht!“, rief Keira empört.
Aber Bryn hatte recht. Ein winziger Teil von ihr hatte darüber nachgedacht. Trotz all seiner Fehler hatte Zach sie gern gehabt. Sie waren zwei Jahre zusammen gewesen, hatten zusammen gewohnt. Er war verlässlich gewesen. Und vertraut. Bloß die Tatsache, dass für sie die Karriere vor der Beziehung kam, hatte alles zunichte gemacht. Hatte einen Keil zwischen sie getrieben und ihn in die Arme von Julia.
Bryn schaute sie finster an und ließ das Handy über ihrem Weinglas baumeln.
„Bring mich nicht dazu“, sagte sie.
Aus dem Augenwinkel konnte Keira sehen, dass Shelby und Maxine über Bryns dramatische Vorstellung den Kopf schüttelten.
Sie seufzte laut. „Okay, okay. Ich werde mich nicht mit ihm treffen. Ist es das, was du hören willst?“
Bryn nickte zufrieden und gab ihrer Schwester das Handy zurück.
„Jetzt löschst du die Nachricht und dann Zachs Kontaktdaten.“
Keira atmete geräuschvoll aus.
„Das ist lächerlich“, murmelte Shelby.
Keira blickte auf das Handy und Zachs Daten. Seit Jahren waren die da gespeichert. Sie konnte das nicht einfach löschen, als habe es ihn nie gegeben.
Aber sie musste zugeben, dass Bryn durchaus recht hatte, auch wenn sie mal wieder zu sehr dramatisierte. Sich mit Zach wieder zu treffen, wäre ein Schritt zurück. Keiras Leben hatte sich in kürzester Zeit so sehr verändert, dass Zach darin wie ein Rückschritt wirkte. Sie musste nach vorn schauen. Sie musste Zach hinter sich lassen und Shane ebenfalls. Sie musste endlich lernen auf eigenen Füßen zu stehen und ihre Unabhängigkeit zu erlangen.
Entschlossen löschte sie die Kontaktdaten, sah, wie sein Name vom Display verschwand. Es fühlte sich gut an, machte sie stark. Wenn sie es jetzt noch über sich brachte, auch Shanes Daten zu löschen, dann hatte sie es geschafft. Aber dafür war der Schmerz noch zu frisch.
Keira schaute ihre Schwester an.
„Glücklich?“
Bryn grinste. „Sicher. Ich bin immer glücklich, wenn ich gewinne. Und ich sorge dafür, dass ich immer gewinne“, fügte sie verschlagen hinzu.
Shelby stöhnte auf. Maxine vergrub ihr Gesicht in den Händen und schüttelte theatralisch mit dem Kopf. Keira lachte einfach, glücklich und erleichtert, dass sie einen weiteren Schritt nach vorne in ihrem Leben gemacht hatte.
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