Die Sonne strahlte längst am klaren Himmel und ergoß ihr belebendes, wärmespendendes Licht über die ganze Steppe. Alle Schläfrigkeit und Traurigkeit verschwand augenblicklich aus der Seele der Kosaken, und ihre Herzen schwangen sich empor gleich flinken Vögeln.
Je tiefer sie in die Steppe hineinkamen, um so schöner wurde sie. Damals war der ganze Süden, jene große Strecke, die jetzt Neurußland bildet und sich bis zum schwarzen Meer erstreckt, noch eine grüne, jungfräuliche Wüste. Der Pflug hatte diese unermeßlichen Wogen wilden Grases noch nie berührt, und nur die Pferde, die wie in einem Walde in ihm untertauchten, stampften es zuweilen nieder. Es gab kaum etwas Schöneres in der Natur: die ganze Erdoberfläche glich einem grüngoldenen Ozean, übersät von Millionen der mannigfaltigsten Blumen. Zwischen den schlanken, hohen Grashalmen schimmerten hellblaue, blaue und lila Blüten hervor; gelber Ginster ragte mit seiner pyramidenförmigen Spitze empor; weißer Klee glänzte mit seinen schirmartigen Köpfchen auf der Oberfläche; die weiß Gott wie hierher verpflanzten Weizenähren schossen gleich einem Dickicht in die Höhe, und ab und zu flogen ein paar Schnarchhühner mit vorgestreckten Hälsen hindurch. Die Luft war von tausend verschiedenen Vogelstimmen erfüllt. Mit weit ausgebreiteten Flügeln schwebten die Habichte unbeweglich am Himmel, ihre Augen unverwandt auf das Gras gerichtet. Von einem fernen See tönten die Schreie einer weit abseits vorüberziehenden Wolke wilder Gänse herüber. Mit gemessenem Flügelschlage erhob sich eine Möve aus dem Grase und badete sich voller Lust in den blauen Luftwellen. Da war sie schon in der Höhe verschwunden und erglänzte nur noch ganz fern wie ein schwarzer Punkt, aber plötzlich wendete sie ihren Flug und leuchtete hell auf in den blendenden Sonnenstrahlen – hol’ euch der Teufel, ihr Steppen, wie herrlich seid ihr doch …!
Unsere Reisenden machten nur auf wenige Minuten Rast, um Mahlzeit zu halten. Ihr Gefolge, das aus zehn Kosaken bestand, sprang von den Pferden und band die hölzernen Branntweinflaschen und die Kürbisse, die als Trinkgefäße dienten, ab. Man aß nur etwas Brot, Speck oder Zwieback und ähnliches, trank nicht mehr als ein einziges Glas, und auch dies nur der Stärkung wegen, denn Taraß Bulba erlaubte es nie, sich unterwegs vollzutrinken, und darauf wurde der Weg bis zum Abend fortgesetzt.
In der Dämmerung veränderte die Steppe vollkommen ihr Gesicht. Ihre ganze bunte, von den letzten hellen Sonnenstrahlen beschienene Oberfläche wurde allmählich immer dunkler, sodaß der Schatten der Kosaken in scharfen Konturen über sie hinglitt, und nahm bald einen dunkelgrünen Schimmer an. Der Erde entströmten immer stärkere Düfte: jedes Blümchen, jeder Grashalm atmete Ambra aus, und die ganze Steppe schien ein Meer von Wohlgerüchen geworden zu sein. An dem dunkelblauen Himmel schien ein riesenhafter Pinsel rötlichgoldene Streifen gezogen zu haben; hin und wieder sah man ein paar durchsichtige Wölkchen aufleuchten, und ein frischer, wohltuender Wind strich lockend, wie grüne Meereswellen, kaum merklich über die Spitzen der Gräser hin, so lind, daß er kaum die Wangen berührte. Die ganze Musik, die den Tag erfüllte, war verklungen und durch eine andere ersetzt. Bunte Ziesel kamen aus ihren Schlupflöchern, setzten sich auf ihre Hinterpfötchen und pfiffen durchdringend über die Steppe hin; immer deutlicher wurde das Zirpen der Grillen. Zuweilen tönte von irgend einem einsamen See her der silberhelle Schrei eines Schwanes durch die Luft. Die Reisenden machten mitten auf dem Felde halt, suchten sich ein Nachtlager und zündeten ein Feuer an, auf welches sie einen Kessel stellten, um sich ihr Kulisch zu kochen. Bald dampfte der Kessel und der Rauch stieg schräg in die Luft. Nachdem die Kosaken ihr Abendbrot eingenommen und die aneinandergekoppelten Pferde freigelassen hatten, damit diese ruhig grasen konnten, begaben sie sich zur Ruhe und lagerten sich auf ihren Kitteln. Die nächtlichen Gestirne blickten hell und klar auf sie hinab. Das Knistern, Pfeifen und Summen der ganzen unendlichen Insektenwelt, die im Grase schwirrte, klang an ihr Ohr. All diese Töne hallten wie Musik durch die Nacht, läuterten sich in der frischen Luft und wiegten den müden Sinn langsam in Schlaf. Wenn einer der Reisenden erwachte und sich erhob, lag die Steppe, besät mit den blitzenden Funken schwirrender Leuchtkäfer, vor ihm. Bisweilen wurde der Nachthimmel an verschiedenen Stellen vom fernen Flammenschein des trockenen Schilfrohres beleuchtet, das auf den Wiesen und Flüssen verbrannt wurde. Eine dunkle Schaar von Schwänen, die nach Norden flog, erschien plötzlich in rosig-silbernes Licht getaucht am Himmel, was so aussah, wie wenn rote Tücher am dunkelen Horizont flatterten.
Die Reisenden ritten vorwärts, ohne irgend ein Abenteuer zu erleben. Nirgends gewahrten sie Bäume; überall umgab sie die gleiche endlose, freie, herrliche Steppe. Hin und wieder nur sah man in der Ferne an den Ufern des Dniepr die Wipfel eines Waldes blau aufleuchten, und nur einmal machte Taraß seine Söhne auf einen kleinen schwarzen Punkt fern im Grase aufmerksam und sagte: „Seht mal Jungens, da trabt ein Tatar.“ Ein kleiner, mit einem Schnurrbart geschmückter Kopf richtete seine schmalen Augen auf sie, schnüffelte vorsichtig wie ein Jagdhund in der Luft herum und verschwand wie ein Reh, als er bemerkte, daß die Kosaken dreizehn Mann hoch waren. „Hallo, Jungens, versucht mal den Tataren einzuholen! Ah – laßt es lieber sein, ihr werdet ihn ja doch nicht fangen. Sein Gaul ist schneller als mein ‚Teufel‘.“ Bulba traf jedoch entsprechende Vorsichtsmaßregeln, da er einen Hinterhalt befürchtete. Er ritt mit seinem Zuge bis zu einem kleinen Fluß, der Tatarka hieß und in den Dnjepr mündet; dort sprangen sie ins Wasser, ließen sich mitsamt ihren Pferden eine Zeitlang von der Strömung treiben, um ihre Spur zu verwischen, und setzten erst hiernach an dem andern Ufer ihren Ritt fort.
Drei Tage nach diesem Abenteuer befanden sie sich endlich in der Nähe des Ortes, der das Ziel ihrer Reise war. Die Luft wurde plötzlich merklich kühler, ein Zeichen, daß der Dnjepr nicht mehr fern war. Da glänzte er auch schon in der Ferne, und hob sich als ein dunkler Streifen vom Horizont ab. Seine kalten Wellen rollten dahin, kamen immer näher und näher heran, und schienen endlich die Hälfte der ganzen Erdoberfläche zu umfassen. Das war jene Stelle, wo der Dnjepr, bis dahin von Stromschnellen eingeengt, seinen Lauf ungehindert entfalten und dem Meere gleich, fessellos, dahinrauschen kann, wo die in ihm verstreuten Inseln seine Ufer noch weiter zurückdrängen, und seine Wellen, weder von Felsen noch Dämmen gebrochen, sich breit über das Land ergießen.
Die Kosaken saßen ab, bestiegen die Fähre und gelangten nach einer dreistündigen Überfahrt an die Insel Chortiza, wo sich damals die so oft ihren Aufenthalt wechselnde Sjetsch befand.
Ein Haufen Volks stritt sich gerade am Ufer mit den Fährleuten herum. Die Kosaken zäumten ihre Pferde auf. Taraß reckte sich gewichtig empor, zog seinen Gurt fester zusammen und strich sich stolz mit der Hand über den Schnurrbart. Seine jungen Söhne musterten sich ebenfalls von Kopf bis zu Fuß, nicht ohne eine gewisse Angst und ein unklares Wohlgefallen, und alle ritten in die Vorstadt hinein, die eine halbe Werst von der Sjetsch entfernt lag. Bei ihrer Ankunft wurden sie durch den Lärm von fünfzig Schmiedehämmern betäubt, die in fünfundzwanzig unterirdischen und mit Rasen bedeckten Schmieden niederfielen. Auf der Straße saßen riesige Gerber und walkten unter dem Schutzdach die Ochsenhäute mit ihren muskulösen Händen. Zahlreiche Krämer saßen unter ihren Zelten vor ganzen Haufen von Feuersteinen und Pulver; ein Armenier bot teure Tücher zum Verkauf aus, ein Tatar drehte ein in Teig gehülltes Lamm am Bratspieß, ein Jude zog mit vorgestrecktem Kopf Branntwein aus einem Faß ab. Der erste Mensch, der ihnen begegnete, war ein Saporoger, der mit weit ausgestreckten Händen und Füßen mitten auf dem Wege schlief. Taraß Bulba konnte nicht umhin, haltzumachen und ihn mit großem Vergnügen zu betrachten. „Du hast es dir aber ordentlich bequem gemacht! Verdammt noch einmal, bist du ein prächtiger Bursche!“ rief er aus und hielt an. Das Bild, das sich ihnen darbot, war in der Tat sonderbar genug: der Saporoger lag breit wie ein Löwe mitten auf dem Wege, sein stolz zurückgeworfener Haarschopf bedeckte mindestens drei Fuß vom Boden, und die Beinkleider aus teurem roten Tuch waren mit Teer beschmutzt, um die vollkommene Verachtung ihres Besitzers gegen solche Dinge recht deutlich zu zeigen. Nachdem Bulba sich an diesem Bilde sattgeschaut hatte, ritt er weiter durch die engen Straßen, die voll von Handwerkern, welche ihren Beruf gleich hier an Ort und Stelle ausübten, und von Leuten aller möglichen Nationalität war, die den Vorort bevölkerten. Es sah hier fast so aus wie auf einem Jahrmarkt, der die ganze Sjetsch kleidete und nährte, da diese sich ja nur aufs Herumlungern und Schießen verstand.
Endlich hatten sie die Vorstadt hinter sich und erblickten einige zerstreut liegende Gebäude, die mit Rasen oder auch, nach tatarischer Art, mit Filz bedeckt waren. Vor einzelnen von ihnen standen Kanonen. Nirgends sah man einen Zaun oder eins jener niedrigen Häuser mit einem Schutzdach auf niedrigen Holzsäulen, wie man sie in der Vorstadt fand. Ein kleiner Wall und ein Verhau, ohne die geringste Bewachung, zeugten von einer unglaublichen Sorglosigkeit. Einige riesenhafte Saporoger Kosaken, die mit ihrer Pfeife in den Zähnen mitten auf dem Wege herumlagen, schauten die Ankömmlinge ziemlich gleichgültig an und rückten nicht vom Fleck. Taraß ritt mit seinen Söhnen vorsichtig zwischen ihnen hindurch und sagte: „Guten Tag, meine Herren.“ „Gleichfalls,“ antworteten die Saporoger. Überall, und auf dem ganzen Felde, sah man in malerischen, bunten Gruppen große Mengen Volkes lagern. Ihre gebräunten Gesichter zeugten davon, daß sie im Pulverdampf der Schlacht gestählt waren und mancherlei Ungemach erfahren hatten. Das also war sie, die Sjetsch! Das war die Höhle, aus der all die Helden hervorgingen, stark und stolz wie Löwen! Das war der Ort, von dem aus sich Rittertum und Freiheit über die ganze Ukraine ergoß!
Die Reisenden lenkten ihre Pferde nach einem geräumigen Platze, wo sich gewöhnlich der Rat versammelte. Auf einem großen umgestürzten Fasse saß ein Saporoger, ohne Hemd; er hielt es in der Hand und stopfte langsam und bedächtig die Löcher. Wiederum versperrte ihnen ein ganzer Haufen von Musikanten den Weg, in deren Mitte ein junger Saporoger, die Mütze auf dem Ohr und mit hocherhobnen Händen, einen Tanz aufführte. Er schrie fortwährend: „Spielt doch schneller, ihr Musikanten! Thomas, schenk tüchtig Branntwein ein, spar doch nicht so bei rechtgläubigen Christen.“ Und Thomas, der ein angeschwollenes Auge hatte, reichte jedem, der an ihn herantrat, einen ungeheuren Becher. Um den jungen Saporoger herum, führten vier Alte mit kleinen Schritten allerlei Tänze aus; bald flogen sie zur Seite wie ein Wirbelwind, wobei sie fast die Köpfe der Musikanten berührten, bald setzten sie sich unvermutet nieder und begannen mit ihren silberbeschlagenen Absätzen laut und hart auf den festgetretenen Fußboden zu stampfen. Dumpf dröhnte die Erde in der ganzen Umgebung, und die Hopps und Topps, die mit den klingenden Sporen der Stiefel geschlagen wurden, schallten laut durch die Luft. Ein Kosak aber schrie lauter als alle andern und drehte sich mit den andern im Tanze. Sein Haarzopf flatterte im Winde, die starke Brust war ganz entblößt, über die Schulter aber hatte er den warmen Wintermantel geworfen, so daß ihm der Schweiß unaufhörlich in Strömen von der Stirn lief.
„Zieh doch wenigstens den Pelz aus,“ sagte endlich Taraß. „Sieh doch, wie du dampfst.“
„Das geht nicht,“ schrie der Saporoger.
„Weshalb nicht?“
„Das geht nicht, das ist bei mir nun mal nicht anders: habe ich ihn erst einmal abgenommen, so vertrinke ich ihn auch!“
Der junge Bursche hatte schon längst keine Mütze, keinen Gürtel am Rock und kein buntes Tuch mehr: alles war schon dorthin gewandert, wo es hingehörte. Der Haufen wurde immer größer, neue Ankömmlinge schlossen sich dem Tanze an, und man konnte nicht ohne Bewegung sehen, wie hier alles an dem tollsten, leidenschaftlichsten aller Tänze, den die Welt je gesehen hat, und der nach seinen kräftigen Erfindern „Kosatschok“ benannt ist, teilnahm.
„Säße ich bloß nicht zu Pferde,“ rief Taraß aus, „wahrhaftig, ich wollte selbst loslegen und mittanzen!“
Unterdessen mischten sich hie und da auch einzelne graue, alte Männer unter die Menge, die in der ganzen Sjetsch wegen ihrer Verdienste geachtet und schon oft Kosakenälteste gewesen waren. Taraß traf bald eine Unzahl Bekannte, und Ostap und Andrij hörten fortwährend Begrüßungsworte: „Holla, da bist du ja, Petscheriza!“ „Guten Tag, Kosolup!“ „Wo kommst du denn her, Taraß?“ „Wie geht’s Doloto?“ „Guten Tag, Kirdjaga!“ „Guten Tag, Gustyj!“ „Ich hätte nie geglaubt, dich in diesem Leben noch einmal wieder zusehen, Remen!“
Und all die Helden, die hier aus der großen Wildnis des östlichen Rußlands zusammengekommen waren, küßten einander, und zahllose Fragen flogen hin und her.
„Was macht Kasjan?“ „Und Borodawka?“ „Wo steckt Kolopjor?“ „Und Pidsyschok?“ Und Taraß bekam fortwährend Antworten wie etwa folgende: Borodawka sei in Tolopan aufgeknüpft, Kolopjor sei bei Kisikirmen lebendigen Leibes geschunden worden, Pidsyschoks Kopf sei eingesalzen und in einem Fasse nach Konstantinopel geschickt worden usw. Und der alte Bulba blickte traurig zu Boden und sagte gedankenvoll: „Und waren doch so wackere Kosaken!“
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