Übersetzt von Charlotte König
Ich liebe es sehr, dies bescheidene Leben jener einsamen Bewohner entlegener Dörfer, die man in Kleinrußland gewöhnlich „Gutsbesitzer aus der alten Zeit“ nennt, und die uns gleich verwitterten malerischen Häuschen durch ihre schlichte Einfachheit anziehen. Der Reiz besteht in dem absoluten Gegensatz zu den neuen, sauberen Gebäuden, deren Mauern noch kein Regen verwaschen hat, deren Dächer kein grüner Schimmel bedeckt und deren vom Mörtel entblößte Fassade noch nicht ihre roten Ziegel hervorstreckt. Ich liebe es, mich mitunter auf Augenblicke in die Sphäre dieses ganz einsamen Lebens zu versenken: da schwingt sich kein Wunsch über den Zaun, der das kleine Gehöft umgibt, oder über die Hecke, die den mit Apfel- und Birnbäumen reich bestandenen Garten einschließt. Kein Verlangen reckt sich über die von Weiden, Holunder und Birnbäumen beschatteten, schiefen Hütten. Auch das Leben der Bewohner ist so still – so still daß man zeitweise sich selbst vergißt und glaubt, die Leidenschaften, die Begierden und die seltsamen Gelüste des bösen Geistes, die diese Welt beunruhigen, existierten gar nicht und wären nur Gesichte eines glänzenden, leuchtenden Traumes.
Es ist mir, als sähe ich es vor meinen Augen – das niedrige Häuschen mit der Galerie aus kleinen geschwärzten Holzstäben, die rund herum das Haus umgibt, damit man bei Regen und Hagel die Läden schließen kann, ohne selbst naß zu werden. Hinter ihr erhebt sich ein duftender Faulbaum und eine lange Reihe niedriger Obstbäume, die im Purpurrot der Kirschen und im saphirblauen Meer der mattbereiften Pflaumen ertrinken. Dort steht ein langgestreckter Ahorn, in dessen Schatten ein ausgebreiteter Teppich zur Ruhe einladet, vor dem Hause befindet sich ein geräumiger Hof, der von frischem kurzem Gras bedeckt ist, in welchem emsige Füße von dem Speicher bis zur Küche und von der Küche bis zu den Herrschaftszimmern einen schmalen Weg ausgetreten haben. Eine langhalsige Gans steht umringt von jungen, flaumigen Kücheln und trinkt Wasser; der Staketenzaun ist mit Bündeln von getrockneten Äpfeln, Birnen und Teppichen behängt, die hier ausgelüftet werden; eine Fuhre mit Melonen steht neben dem Speicher, und der ausgespannte Stier ruht träge daneben aus. Das alles hat für mich einen unerklärlichen Zauber, vielleicht weil ich es nun nicht mehr sehe und weil uns alles so teuer ist, von dem wir getrennt sind. Gleichviel warum, jedenfalls zog auch schon damals eine wunderbare angenehme Ruhe durch meine Seele, wenn sich mein Wagen dem Häuschen näherte; fröhlich trabten die Pferde auf die Freitreppe zu, und der Kutscher stieg behaglich vom Bock und zündete sich ein Pfeifchen an, als käme er zu sich nach Hause – ja selbst das Gebell, das die phlegmatischen, schwarzen und braunen Köter anstimmten, war meinen Ohren angenehm.
Am meisten aber gefielen mir die Besitzer dieser bescheidenen Nester, die alten Männer und Frauen, die einem geschäftig entgegenkamen und einen so freundlich begrüßten. Heut noch im Lärm und Trubel des Lebens, inmitten moderner Fräcke meine ich manchmal ihre Gesichter zu sehen: und im Halbschlummer steigt dann die Vergangenheit vor mir auf. In ihren Zügen liegt immer soviel Güte, soviel Treuherzigkeit und Herzensreinheit – daß man unwillkürlich, wenn auch nur für kurze Zeit, seine vermessenen Pläne und Absichten vergißt und unbewußt mit allen Fühlern in dies schlichte und idyllische Leben hinabtaucht. Bis heute kann ich zwei von diesen alten Leuten aus dem vorigen Jahrhundert nicht vergessen, die längst nicht mehr unter den Lebenden weilen: aber auch heut noch ist meine Seele von Trauer erfüllt, und mein Herz zieht sich bei dem Gedanken seltsam zusammen, daß ich wieder einmal an ihrer einstigen nun verödeten Wohnung vorbeikommen könnte, und dort, wo einst ihr niedriges Häuschen stand, nur einen Haufen verfallener Hütten, einen moosüberzogenen Teich, den verwilderten Garten finden könnte – und weiter nichts. Es wird einem so traurig dabei zumute! Wie traurig ist schon der bloße Gedanke daran. Aber wenden wir uns unserer Erzählung zu.
Afanassji Iwanowitsch Towstogub und Pulcheria Iwanowna „Towstogubicha“, (wie die Bauern aus der Umgegend sie zu nennen pflegten), so hießen jene alten Leute, von denen ich zu erzählen begonnen habe. Wenn ich ein Maler wäre und das Bild von Philemon und Baucis auf der Leinwand darstellen wollte: ich würde mir nie ein anderes Modell wählen, als diese beiden. Afanassji Iwanowitsch war 60 Jahre alt, Pulcheria Iwanowna 55. Afanassji Iwanowitsch war groß von Wuchs, trug beständig einen mit Kamelot überzogenen Schafpelz, saß gebeugt da und lächelte immer, sei es nun daß er selbst sprach und erzählte oder daß er einfach zuhörte. Pulcheria Iwanowna dagegen war stets ernst und lächelte fast nie: in ihren Zügen und in ihren Augen lag soviel Güte, und soviel Bereitwilligkeit, Sie mit dem Besten zu bewirten, was sie besaß, daß Sie ein Lächeln auf diesen guten Zügen sicher als süßlich empfunden hätten. Die feinen Runzeln auf ihren Gesichtern hatten etwas so Angenehmes und Liebenswürdiges, daß ein Maler sie sich sicher gemerkt und bei Gelegenheit verwertet hätte. Es schien als konnte man die ganze Geschichte ihres Lebens von ihnen ablesen: dieses lauteren, ruhigen Lebens, wie es die alten bodenständigen, braven und wohlhabenden Familien führen, die so sehr von jenen gewöhnlichen Kleinrussen abstechen, welche aus den Kreisen von Teerbrennern und Krämern hervorgehen. Diese erfüllen alle Staatsbehörden und Kanzleien wie die Heuschrecken, ziehen ihren eigenen Landsleuten die letzten Groschen aus der Tasche, überschwemmen Petersburg mit ihrem Klatsch, erwerben sich endlich ein Vermögen und hängen dann ihrem Familiennamen, der immer auf o endet, breitspurig noch ein w an. Nein, unsere alten Leute hatten keine Ähnlichkeit mit diesen verächtlichen, traurigen Geschöpfen, ebensowenig wie die wurzelechten kleinrussischen Familien. Man konnte nicht gleichgültig bleiben, wenn man sah, wie innig sie einander liebten; obwohl sie sich nicht duzten sondern sich stets mit Sie anredeten: Sie, Afanassji Iwanowitsch! Sie! Pulcheria Iwanowna!
„Afanassji Iwanowitsch, haben Sie den Stuhl durchgesessen?“
„Jawohl, Pulcheria Iwanowna, seien Sie mir deshalb nicht böse!“
Sie hatten nie Kinder gehabt, und daher konzentrierte sich all ihre Liebe aufeinander. Früher einmal, in seiner Jugend, hatte Afanassji Iwanowitsch gedient, und hatte es sogar bis zum Sekonde-Major gebracht – aber das war schon lange her und längst vorbei – Afanassji Iwanowitsch dachte selbst fast nie mehr an diese Zeit. Mit dreißig Jahren hatte er geheiratet; er war damals ein forscher Kerl, trug ein gesticktes Kamisol; und hatte es sogar sehr gescheit angefangen, Pulcheria Iwanowna zu entführen, deren Verwandte gegen die Heirat waren, aber auch dies schien seinem Gedächtnis entschwunden zu sein, jedenfalls sprach er nie davon. All diese längst vergangenen und außerordentlichen Ereignisse waren verdrängt durch das ruhige, einsame Leben, und verwischt durch jene einschläfernden und doch wieder harmonischen Träumereien, die Sie überfallen, wenn Sie auf der Veranda sitzen und in den Garten schauen, wo ein herrlicher Regen niedergeht; klatschend fällt er auf das Laub der Bäume nieder, läuft in rieselnden Bächlein ab und träufelt einen süßen Schlummer in Ihre Glieder: unterdessen aber steigt langsam ein Regenbogen hinter den Bäumen auf und leuchtet wie ein halbzerstörtes Tor in seinen blassen sieben Farben am Himmel auf, … oder wenn Sie sanft hin- und hergewiegt in Ihrem Wagen zwischen grünen Sträuchern hindurchfahren, wenn die Steppenwachtel schlägt, und duftendes Gras, Kornähren und Feldblumen durch die Türen Ihres Wagens dringen und Ihnen liebkosend Gesicht und Hände streicheln.
Er hörte seinen Gästen, die zu ihm zu Besuch kamen, immer freundlich lächelnd zu; manchmal sagte er auch selbst wohl ein Wort, aber größtenteils fragte er sie bloß aus. Er gehörte nicht zu jenen Greisen, die allen Leuten durch ihr unaufhörliches Preisen der alten Zeit und durch das Schmähen des Neuen lästig fallen: im Gegenteil, er erkundigte sich stets nach allem und zeigte großes Interesse und lebhafte Teilnahme für Ihre Lebensverhältnisse, Ihre Erfolge und Mißerfolge – gewöhnlich interessieren sich ja alle guten alten Leute dafür, obwohl ihre Teilnahme uns an die Neugierde eines Kindes erinnert, das mit Ihnen spricht und dabei eingehend das Zifferblatt Ihrer Uhr mustert. Man kann wohl sagen, daß sein Gesicht in solchen Augenblicken vor Güte strahlte.
Die Zimmer des Häuschens, in dem unsere Alten lebten, waren klein und niedrig, wie wir sie gewöhnlich bei Leuten aus der guten alten Zeit antreffen. Jede Stube war mit einem riesigen Ofen versehen, der fast den dritten Teil des Raumes einnahm. In diesen Zimmern war es immer furchtbar warm, weil Afanassji Iwanowitsch und Pulcheria Iwanowna beide die Wärme sehr liebten. Das gesamte Heizmaterial war im Flur aufgestapelt, der fast bis zur Decke mit Stroh angefüllt war, welches in Kleinrußland gewöhnlich statt des Holzes verwendet wird. Das Knistern und die Farbe des brennenden Strohs geben dem Flur an den Winterabenden etwas besonders Anziehendes, wenn die ausgelassene Jugend, die wohl draußen einer braunen Schönen nachjagte, plötzlich ganz erfroren hereinstürmt und sich lachend die Hände wärmt. Die Zimmerwände waren mit Bildern und Bildchen in alten, schmalen Rahmen geschmückt: ich bin überzeugt, daß die Sujets dieser Bilder selbst von den Wirten längst vergessen waren, und wenn man ein paar davon entfernt hätte, wäre es den Alten sicherlich nicht aufgefallen. Zwei dieser Bilder waren größer und in Öl gemalt: das eine stellte einen Bischof dar, das andre Peter III. Aus einem schmalen Rahmen blickte das ganz von Fliegen beschmutzte Gesicht der Herzogin von La Vallière hervor. Um die Fensterrahmen herum und über den Türen hing eine Menge kleinerer Bilder, die man unwillkürlich für Flecke an der Wand hält und daher nicht näher betrachtet. Der Fußboden bestand fast in allen Zimmern aus Lehm; aber er war so schön gepflegt und so sauber gehalten, wie kaum ein Parkett in einem vornehmen Hause, welches von faulen, schläfrigen Livreedienern gefegt wird.
Pulcheria Iwanownas Zimmer war ganz mit Kisten und Kasten, Kistchen und Kästchen verstellt. An den Wänden hingen unzählige Bündelchen und Säckchen mit Blumen-, Gemüse- und Wassermelonensamen. In den Ecken standen mehrere Koffer; in diesen und zwischen diesen wurden viele Knäule buntfarbiger Wolle, sowie Stoffreste von altmodischen Kleidern, die vor einem halben Jahrhundert genäht waren, aufbewahrt. Pulcheria Iwanowna war eine sorgsame Hausfrau und hob alles auf, obschon sie selbst nicht wußte, warum.
Aber das allerbemerkenswerteste im Hause waren die singenden Türen. Sobald der Morgen graute, hörte man den Gesang der Türen durchs ganze Haus erschallen. Ich weiß nicht, warum sie eigentlich sangen. Vielleicht waren die verrosteten Angeln schuld daran, vielleicht aber hatte auch der Mechaniker, der sie gebaut, ein Geheimnis in sie hineingelegt. Was jedoch am meisten auffiel war dies, daß jede Tür ihre eigene Stimme hatte. Die Schlafzimmertür sang im höchsten Sopran, die des Speisezimmers krächzte im Baß, dafür gab die Flurtür einen ganz seltsamen, dröhnenden und ächzenden Laut von sich, so daß man bei längerem Hinhören deutlich die Worte „Väterchen, mich friert!“ zu vernehmen glaubte. Ich weiß wohl, daß vielen dieses Geräusch nicht gefällt, aber ich liebe es sehr, und wenn ich es zufällig höre, steigt sofort das Dorf vor meinem Geiste auf: das niedrige, nur schwach vom Licht altmodischer Leuchter erhellte Zimmerchen, der Tisch mit dem Abendessen, die dunkle Mainacht, die durch das geöffnete Fenster über den gedeckten Tisch fällt, die Nachtigall, welche Garten und Haus und den Fluß in der Ferne mit ihrem Gesang erfüllt, das Raunen und Flüstern der Zweige … Herrgott, welch eine unabsehbare Kette von Erinnerungen zieht dann an mir vorüber!
Die hölzernen Stühle im Zimmer waren, wie das in der alten Zeit üblich war, alle massiv; sie hatten hohe, geschnitzte Lehnen, in der Naturfarbe, ohne Lack und Anstrich; ja sie waren nicht einmal mit Stoff bezogen und erinnerten einigermaßen an die Stühle, auf welchen auch in unserer Zeit noch die Bischöfe zu sitzen pflegen. In den Ecken standen dreieckige und vor dem Sopha und dem Spiegel mit dem schmalen, goldenen Rahmen – dessen geschnitzte Blätter die Fliegen mit schwarzen Punkten übersät hatten – viereckige Tische; vor dem Sopha war ein Teppich mit Vögeln, die wie Blumen, und mit Blumen, die wie Vögel aussahen, ausgebreitet; das war so ziemlich die gesamte Ausstattung des anspruchslosen Häuschens, in dem unsere alten Leutchen lebten.
Das Mädchenzimmer war von jungen und alten Mädchen in gestreiften Leinwandröcken erfüllt; dann und wann gab Pulcheria Iwanowna ihnen etwas zu nähen, oder sie ließ sie Beeren aussuchen, gewöhnlich aber liefen sie in der Küche umher, oder sie schliefen. Pulcheria Iwanowna hielt es für nötig, sie im Hause zu halten und wachte streng über ihr Betragen; aber zu ihrem großen Erstaunen verging kaum ein Monat, ohne daß der Umfang des einen oder des andern Mädchens in ganz ungewöhnlicher Weise zunahm. Dies war um so merkwürdiger, als es im ganzen Hause keinen Junggesellen gab, ausgenommen den Zimmerburschen, der barfuß, in einem kurzen grauen Frack umherlief und entweder aß, oder wenn er nicht damit beschäftigt war, ganz sicher schlief. Pulcheria Iwanowna schalt die Schuldige gewöhnlich aus und bestrafte sie streng, um in Zukunft einem Wiederholungsfall vorzubeugen. An den Scheiben der Fenster summten unzählige Fliegen, übertönt von dem tiefen Baß einer Hummel, der mitunter noch von dem grellen Summen der Wespen unterstützt wurde; sobald man jedoch ein Licht hineintrug, suchte die ganze Gesellschaft ihr Nachtlager auf, und eine schwarze Wolke bedeckte die ganze Zimmerdecke.
Afanassji Iwanowitsch kümmerte sich sehr wenig um die Wirtschaft, obgleich er manchmal zu den Mähern und Schnittern hinausfuhr und dann ohne Unterlaß zusehen konnte, wie sie arbeiteten; die ganze Last der Verwaltung lag auf den Schultern Pulcheria Iwanownas. Die wirtschaftliche Leitung Pulcheria Iwanownas bestand in einem unablässigen Öffnen und Schließen der Vorratskammern und im Salzen, Trocknen und Einkochen einer unzähligen Menge von Früchten und Gemüsen. Ihr Reich sah auf ein Haar einem chemischen Laboratorium ähnlich. Unter dem Apfelbaum flackerte beständig ein Feuer und der Kessel oder das Kupferbecken standen fast immer auf dem eisernen Dreifuß: dort kochte sie ihr Eingemachtes, ihre Gelées und Marmeladen aus Honig, Zucker und weiß Gott woraus sonst noch. Unter dem andern Baum vor einem kupfernen Kessel stand der Kutscher, der beständig Spiritus auf Pfirsichblätter – Faulbaumblüten – Tausendgüldenkraut – Kirschkerne usw. destillierte. Am Schluß dieses Verfahrens war er natürlich nie imstande ein vernünftiges Wort zu reden, sprach einen solchen Unsinn zusammen, daß Pulcheria Iwanowna nichts verstehen konnte, und ging endlich in die Küche, um sich schlafen zu legen. Von all diesem unnützen Zeug wurde so unendlich viel gekocht, getrocknet, eingesalzen usw., daß es wahrscheinlich den ganzen Hof überschwemmt hätte (Pulcheria Iwanowna liebte es, sich über ihren Bedarf hinaus noch einen Reservevorrat anzulegen; wenn nur nicht die größere Hälfte all dieser schönen Dinge von den Dienstmädchen verzehrt worden wäre. Sie schlichen sich in die Vorratskammern und aßen sich dort so voll, daß sie danach den ganzen Tag lang stöhnten und über Leibweh klagten.)
In den Ackerbau und die andern wirtschaftlichen Ressorts hatte Pulcheria Iwanowna nur einen geringen Einblick. Der Verwalter und der Dorfälteste bestahlen sie gemeinsam ganz unbarmherzig. Diese beiden hatten die Gewohnheit angenommen, im herrschaftlichen Walde ganz wie in ihrem eigenen zu schalten: sie ließen eine Menge von Schlitten herstellen und verkauften sie dann auf dem nächsten Markte; außerdem verkauften sie den benachbarten Kosaken, welche Balken für ihre Mühlen brauchten, die dicken Eichenstämme. Einmal wollte Pulcheria Iwanowna ihren Wald inspizieren. Es wurde auch eine Kutsche mit einer riesigen Schutzdecke angespannt, als jedoch der Kutscher die Leinen anzog und die Pferde, die noch in der Miliz gedient hatten, davontrabten, da erfüllte die Kutsche die Luft mit ganz merkwürdigen Tönen, sodaß man plötzlich Flöten, Schellen und Trommeln zu hören glaubte: jeder Nagel, jede eiserne Klammer stöhnte so laut, daß man es sogar bei den über zwei Werst entfernten Mühlen hören konnte, wie die Herrschaften ausfuhren. Die furchtbare Verwüstung im Walde konnte Pulcheria Iwanowna natürlich nicht entgehen: sie sah daß viele Eichen fehlten, die ihr schon in ihrer Jugend als hundertjährige Bäume bekannt gewesen waren. Sie wandte sich daher an den anwesenden Verwalter, und fragte: „Nitschipor, wie kommt es, daß so wenig Eichen da sind? Paß mal auf, daß dir die Haare auf deinem Kopf nicht ausgehen!“
„Warum?“ antwortete der Verwalter wie gewöhnlich, „sie sind verschwunden, glatt verschwunden. Der Blitz hat sie getroffen, die Würmer haben sie gefressen – sie sind verschwunden, gnädige Frau, – ganz verschwunden.“
Pulcheria Iwanowna begnügte sich vollkommen mit dieser Antwort. Als sie jedoch nach Hause kam, befahl sie, die Zahl der Wächter bei den spanischen Kirschen und bei den großen Winterbirnen zu verdoppeln.
Diese würdigen Herren, der Verwalter und der Dorfälteste, hielten es auch für ganz überflüssig, dem herrschaftlichen Speicher alles Mehl zukommen zu lassen, und meinten, daß die Herrschaft schon an der Hälfte genug hätte: zu guter Letzt bestand diese Hälfte gar nur aus allerhand verschimmelten und feuchten Resten, die auf den Märkten nicht verkauft worden waren. Gewiß stahlen der Verwalter und Dorfälteste außerordentlich viel, und das Gesinde, von der Wirtschafterin abwärts bis hinab zu den Schweinen, vertilgten eine schreckliche Menge von Äpfeln und Pflaumen – diese Tiere stießen nämlich mit ihren Rüsseln oft gegen die Bäume, um sich einen ganzen Fruchtregen herabzuschütteln – gewiß pickten die Sperlinge und Krähen sehr viel an – gewiß beschenkten die Knechte und Mägde ihren Verwandten in den andern Dörfern auf das reichlichste (sie holten sogar ganze Stücke Leinwand und alter Hausgewebe aus dem Speicher). Auch fand außerordentlich viel den Weg ins allgemeine Reservoir d. h. zum Gastwirt, und auch die Gäste, die phlegmatischen Kutscher und Diener mochten nicht wenig wegstehlen: jedoch die fruchtbare Erde brachte alles in solcher Überfülle hervor, und Afanassji Iwanowitsch und Pulcheria Iwanowna hatten so wenig Bedürfnisse, daß diese verheerenden Räubereien in der Wirtschaft vollkommen unbemerkt blieben.
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