Prinzessin Lenore konnte kaum glauben, wie schön das Schloss war, als die Diener es zur Vorbereitung ihrer Hochzeit umgestalteten. Es verwandelte sich von einem Ding aus grauem Stein zu etwas, das mit blauer Seide und eleganten Wandteppichen überzogen war, Ketten von gewebten Versprechungen und baumelnden Schmuckstücken. Um sie herum beschäftigten sich ein Dutzend Dienstmädchen mit Kleidungs- und Dekorationselementen und sie schwirrten wie ein Schwarm von Arbeiterbienen um sie herum.
Sie taten es für sie und Lenore war wirklich dankbar dafür, auch wenn sie wusste, dass sie es als Prinzessin erwarten sollte. Lenore fand es immer erstaunlich, dass andere bereit waren, so viel für sie zu tun, nur weil sie es war. Sie schätzte Schönheit fast mehr als alles andere, und hier waren sie so fleißig dabei, gestalteten so viel mit Seide und Spitze, um das Schloss einfach wunderbar zu machen …
„Du siehst perfekt aus“, sagte ihre Mutter. Königin Aethe, ganz in dunklen Samt und glänzende Juwelen gehüllt, gab vom Zentrum dieser ganzen Geschäftigkeit aus ihre Anweisungen und sah dabei prächtig aus.
„Glaubt Ihr das?“, fragte Lenore.
Ihre Mutter führte sie vor den großen Spiegel, den ihre Dienstmädchen arrangiert hatten. Darin konnte Lenore die Ähnlichkeiten zwischen ihnen erkennen, von den fast schwarzen Haaren bis zu dem großen, schlanken Körper. Mit Ausnahme von Greave schlugen alle ihre Geschwister nach ihrem Vater, aber Lenore war definitiv die Tochter ihrer Mutter.
Dank der Bemühungen ihrer Zofen strahlte sie in Seide und Diamanten, ihr Haar war mit blauem Faden geflochten und ihr Kleid mit Silber bestickt. Ihre Mutter nahm geschickt noch die winzigsten Änderungen vor und küsste sie dann auf die Wange.
„Du siehst perfekt aus, genau wie eine Prinzessin es sollte.“
Von ihrer Mutter war dies das größte Kompliment, das sie bekommen konnte. Sie hatte Lenore immer gesagt, dass es ihre Pflicht als älteste Schwester war, die Prinzessin zu sein, die das Reich brauchte, und jederzeit so auszusehen und so zu agieren. Lenore tat ihr Bestes und hoffte, dass es genug sein würde. Und auch wenn es nie so schien, so versuchte Lenore dennoch, allen Erwartungen an sie gerecht zu werden.
Das erlaubte natürlich auch ihren kleinen Schwestern … andere Dinge zu sein. Lenore wünschte, Nerra und Erin wären auch da. Oh, Erin würde sich darüber beschweren, ein Kleid anprobieren zu müssen, und Nerra würde wahrscheinlich auf halbem Weg aufgeben müssen, weil sie sich unwohl fühlte, aber Lenore konnte sich niemanden vorstellen, den sie lieber hier haben wollte.
Nun, da war eine Person.
„Wann wird er hier sein?“, fragte Lenore ihre Mutter.
„Sie sagen, das Gefolge von Herzog Viris sei heute Morgen in der Stadt angekommen“, sagte ihre Mutter. „Sein Sohn sollte dabei sein.“
„Ist das so?“ Sofort rannte Lenore zum Fenster und hinaus zum Balkon, sie beugte sich darüber, als könnte sie, wenn sie sich etwas näher zur Stadt hinauslehnte, sehen, wie ihr Verlobter ankam. Sie blickte auf die durch Brücken verbundenen Inseln, die Royalsport ausmachten, aber aus dieser Höhe war es nicht möglich, Individuen zu erkennen, nur die konzentrischen Wasserringe zwischen den Inseln und die Gebäude, die dazwischen standen. Sie konnte die Wachbaracken sehen, in denen bei Ebbe Männer umherliefen, um den Verkehr über die Flüsse zu regeln, und die Häuser – mit Waffen und Seufzern, Wissen und Kaufleuten –, die jeweils im Herzen ihres Bezirks standen. Es gab die Häuser der ärmeren Leute auf den Inseln am Rande der Stadt und die großen Häuser der Reichen in der Nähe, einige sogar auf ihren eigenen kleinen Inseln. Das Schloss überragte selbstverständlich alles, aber das bedeutete nicht, dass Lenore den Mann finden konnte, den sie heiraten würde.
„Er wird hier sein“, versprach ihre Mutter. „Dein Vater hat morgen im Rahmen der Feierlichkeiten eine Jagd arrangiert, und der Herzog wird es nicht riskieren, sie zu verpassen.“
„Sein Sohn wird zu Vaters Jagd kommen, aber nicht, um mich zu sehen?“, fragte Lenore. Für einen Moment fühlte sie sich so nervös wie ein Mädchen, keine Frau von achtzehn vollen Sommern. Es war nur zu leicht vorstellbar, dass er sie nicht wollte, nicht liebte, in einer auf diese Weise arrangierten Ehe.
„Er wird Dich sehen und er wird Dich lieben“, versprach ihre Mutter. „Wie könnte jemand das nicht tun?“
„Ich weiß nicht, Mutter … er hat mich noch nicht einmal kennengelernt“, sagte Lenore und spürte wie ihre Nerven drohten, sie zu überwältigen.
„Er wird es bald tun, und …“ Ihre Mutter hielt inne, als ein Klopfen an der Tür zur Kammer zu hören war. „Komm herein.“
Ein anderes Dienstmädchen trat ein, sie war weniger reich gekleidet als die anderen, sie war eine Dienerin für die Burg, nicht für die Prinzessin.
„Eure Majestät, Eure Hoheit,“ begann sie mit einem Knicks. „Ich wurde geschickt, um Euch mitzuteilen, dass Finnal, der Sohn von Herzog Viris, angekommen ist und im Vorzimmer wartet, wenn Ihr Zeit habt, ihn vor dem Festmahl zu empfangen.“
Ah, das Festmahl. Ihr Vater hatte ein Festmahl für eine ganze Woche und mehr angekündigt, voller Unterhaltung und offen für jedermann.
„Wenn ich Zeit habe?“, fragte Lenore und erinnerte sich dann daran, wie die Dinge am Hof gehandhabt wurden. Schließlich war sie eine Prinzessin. „Natürlich. Bitte sagt Finnal, dass ich direkt nach unten komme werde.“
Sie drehte sich zu ihrer Mutter um. „Kann es sich Vater leisten, beim Festmahl so großzügig zu sein?“, fragte sie. „Ich bin nicht … ich verdiene keine ganze Woche und mehr und sicher reißt es ein großes Loch in unsere Finanzen und unsere Vorräte.“
„Dein Vater will großzügig sein“, sagte Lenores Mutter. „Er sagt, dass die Jagd morgen genug Beute bringen würde, um dafür wieder gutzumachen.“ Sie lachte. „Mein Mann hält sich immer noch für den großen Jäger.“
„Und es ist eine gute Gelegenheit, Dinge zu organisieren, während die Leute mit dem Schlemmen beschäftigt sind“, vermutete Lenore.
„Das auch“, sagte ihre Mutter. „Nun, wenn es ein Fest geben soll, sollten wir sicherstellen, dass Du dafür gut aussiehst, Lenore.“
Sie friemelte noch ein paar Augenblicke an Lenore herum, und Lenore hoffte, dass sie gut genug aussah.
„Gehen wir jetzt zu deinem zukünftigen Ehemann?“
Lenore nickte, es war ihr nicht möglich, die Aufregung zu dämpfen, die aus ihrer Brust quoll. Sie ging mit ihrer Mutter und ihren Dienstmädchen durch das Schloss und zu dem Vorzimmer, das in den großen Saal führte.
Es waren so viele Leute im Schloss, die alle an den Vorbereitungen für die Hochzeit arbeiteten, viele von ihnen gingen auch in Richtung des großen Saals. Die Burg war ein Ort verwinkelter Ecken und Räume, die ineinander übergingen. Die gesamte Anordnung war in ähnlicher Weise gewunden, wie die der Stadt, sodass sich jeder Angreifer Schicht für Schicht der Verteidigung stellen musste. Ihre Vorfahren hatten jedoch mehr daraus gemacht, als nur eine Verteidigungsanlage aus grauem Stein. Jedes Zimmer war in so strahlenden Farben gestrichen, dass es die Außenwelt hereinzubringen schien. Nun, vielleicht nicht die Welt aus dieser Stadt; vieles davon war durch Regen, Schlamm, Rauch und erstickende Dämpfe viel zu trübe geworden.
Lenore schritt durch eine Promenadengalerie, in der an einer Wand Gemälde ihrer Vorfahren zu sehen waren, von denen jeder stärker und raffinierter aussah als der vorherige. Von dort nahm sie eine Wendeltreppe, die durch eine Reihe von Empfangsräumen zu einem Ort führte, in dem sich ein Vorraum vor der großen Halle befand. Sie stand mit ihrer Mutter vor der Tür und wartete, bis die Diener sie öffneten und sie ankündigten.
„Prinzessin Lenore des Nordreichs und ihre Mutter, Königin Aethe.“
Sie traten ein und da war er.
Er war … perfekt. Sie fand kein anderes Wort dafür, als er sich zu Lenore umdrehte, mit der anmutigsten Verbeugung, die sie seit langer Zeit gesehen hatte. Sein dunkles Haar fiel in sanften Locken auf seine Schultern und umrahmte seine edlen, fast wunderschönen Gesichtszüge. Sein Körper, sowohl schlank als auch athletisch, war in ein rotes, geschlitztes Wams und eine graue Hose gekleidet. Er wirkte vielleicht ein oder zwei Jahre älter als Lenore, doch das war eher aufregend als beängstigend.
„Majestät“, sagte er mit einem Blick auf Lenores Mutter. „Prinzessin Lenore. Ich bin Finnal aus dem Haus Viris. Ich kann Euch kaum sagen, wie lange ich mich auf diesen Moment gefreut habe. Ihr seid noch schöner, als ich es mir vorgestellt hatte.“
Lenore errötete auf eine subtile, unmerkliche Weise. Ihre Mutter hatte ihr immer gesagt, dass das Erröten für eine Prinzessin unpassend sei. Als Finnal seine Hand ausstreckte, nahm sie sie so anmutig wie möglich, spürte die Kraft in diesen Händen und stellte sich vor, wie es für sie wäre, ihn an sich zu ziehen, damit sie sich küssen könnten oder mehr als nur küssen …
„Neben Euch fühle ich mich kaum wie die Schöne“, sagte sie.
„Wenn ich strahle, dann nur, weil ich Euer Licht reflektiere“, antwortete er. So gutaussehend und er konnte auch ein so poetisches Kompliment machen?
„Es ist schwer zu glauben, dass wir in nur einer Woche verheiratet sein werden“, sagte Lenore.
„Ich denke, das könnte daran liegen, dass wir nicht diejenigen sind, die monatelange Arbeit in die Aushandlung der Ehe stecken mussten“, antwortete Finnal. Er lächelte ein schönes Lächeln. „Aber ich bin froh, dass es unsere Eltern getan haben.“ Er sah sich im Zimmer um, blickte zu ihrer Mutter und den Dienstmädchen. „Es ist fast schade, dass ich Euch nicht für mich alleine haben kann, Prinzessin, aber vielleicht ist es auch gut. Ich fürchte, ich könnte mich beim Blick in Eure Augen verlieren und dann wäre Euer Vater verärgert, weil ich so viel von seinem Festmahl verpasst habe.“
„Gebt Ihr immer so schöne Komplimente?“, fragte Lenore.
„Nur wenn sie gerechtfertigt sind“, antwortete er.
Seine Nähe wühlte Lenore auf, als sie neben ihm an der Tür stand, die vom Vorzimmer in die große Halle führte. Als die Diener sie öffneten, konnte sie das Fest in vollem Gange sehen; konnte die Musik von Minnesängern hören und die Akrobaten sehen, die weiter unten im Flur, wo das Volk saß, Unterhaltung boten.
„Wir sollten hineingehen“, sagte ihre Mutter. „Dein Vater wird zweifellos seine Zustimmung zu dieser Ehe zeigen wollen, und ich bin sicher, dass er sehen möchte, wie glücklich Du bist. Bist Du glücklich, Lenore?“
Lenore sah ihrem Verlobten in die Augen und konnte nur nicken.
„Ja“, sagte sie.
„Und ich werde mich bemühen, dass es so bleibt“, sagte Finnal. Er nahm ihre Hand und hob sie an seine Lippen, und die Hitze dieses Kontakts schoss durch Lenore. Sie stellte sich alle anderen Orte vor, die er küssen könnte, und Finnal lächelte wieder, als wüsste er, welche Wirkung er hatte. „Bald, meine Liebe.“
Seine Liebe? Liebte Lenore ihn so kurz, nachdem sie ihn getroffen hatte? Konnte sie ihn lieben, wenn es nur diesen kurzen Moment des Kontakts gegeben hatte? Lenore wusste, dass es Unsinn war zu glauben, dass sie es könnte, dies war Material für die Lieder eines Barden, aber in diesem Moment tat sie es. Oh, wie sie es tat.
Lächelnd trat sie vor, ihr Schritt in perfektem Einklang mit Finnal, und sie wusste, dass sie für jene, die zusahen, wirkten, wie etwas aus einem Märchen, sie bewegten sich wie eine perfekte Einheit, verbunden in Ewigkeit. Bald würden sie das sein, und mehr wollte Lenore in diesem Moment, als sie den Festsaal betrat, nicht.
Nichts, dachte sie, könnte diesen Moment ruinieren.
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