Читать бесплатно книгу «Arena Eins: Die Sklaventreiber » Моргана Райс полностью онлайн — MyBook
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Es sieht aus, als wäre jahrelang niemand dort gewesen. Ich sehe mir den Waldboden genau an, aber das sind weder menschliche Fußspuren noch Spuren von Tieren. Ich erinnere mich, dass der Schnee schon seit Tagen fällt, und rechne nach: Hier kann seit mindestens drei Tagen niemand hinein- oder hinausgegangen sein.

Mein Herz pocht beim Gedanken daran, was in dem Häuschen sein könnte. Essen, Kleidung, Medizin, Waffen, Material – alles wäre ein Geschenk des Himmels.

Vorsichtig bewege ich mich über die freie Fläche, sehe über meine Schulter nach, um sicherzugehen, dass mir niemand folgt. Ich bewege mich schneller, hinterlasse große und auffällige Spuren im Schnee. Als ich an der Tür ankomme, drehe ich mich noch einmal um, dann lausche ich einige Sekunden lang. Ich greife nach meiner Axt und schlage mit ihrem Stiel fest gegen die Tür, ein lautes und nachhallendes Geräusch, als letzte Warnung an alle Tiere, die vielleicht drinnen sein könnte.

Keine Reaktion.

Schnell schiebe ich die Tür auf, drücke den Schnee zurück und trete ein.

Es ist dunkel hier drinnen, das einzige Licht ist der letzte Sonnenschein des Tages, der durch die kleinen Fenster eindringt, meine Augen brauchen einen Moment, um sich daran zu gewöhnen. Ich warte mit dem Rücken zur Tür, auf der Hut für den Fall, dass doch Tiere diesen Ort als Rückzugsraum nutzen. Aber nach einigen weiteren Sekunden haben meine Augen sich an das Schummerlicht gewöhnt und es ist klar, dass ich alleine bin.

Als erstes fällt mir auf, dass es warm ist. Vielleicht, weil es so klein ist und die Decke niedrig, und weil es direkt in den Bergstein gebaut ist. Oder vielleicht, weil vor dem Wind geschützt ist. Sogar, obwohl das Wetter durch die Fenster eindringt, sogar, obwohl die Tür nur angelehnt ist, muss es hier drinnen mindestens fünfzehn Grad wärmer sein – viel wärmer, als es im Haus meines Vaters jemals war, sogar mit brennendem Feuer. Das Haus meines Vaters war von Anfang an billig gebaut worden, mit papierdünnen Wänden und einer Plastikfassade, an der Ecke eines Hügels, der immer direkt in der Windrichtung zu liegen schien.

Aber dieser Ort hier ist anders. Die Steinwände sind so dick und gut gebaut, ich fühle mich sicher und gut aufgehoben hier. Ich kann mir nur zu gut vorstellen, wie warm es hier drin werden könnte, wenn ich die Tür schließen, die Fenster vernageln und ein Feuer machen würde – der Kamin scheint in Ordnung zu sein.

Das Innere besteht aus einem großen Raum, und ich versuche, die Dunkelheit weiter zu durchdringen, den Boden abzusuchen, nach irgendetwas, das ich gebrauchen kann. Der Raum sieht wirklich aus, als hätte ihn seit dem Krieg keiner mehr betreten. Alle anderen Häuser, die ich gesehen hatte, hatten zerschmetterte Fenster, Müll lag herum, und ganz offensichtlich war alles Brauchbare bereits mitgenommen worden, sogar die Verkabelungen. Aber nicht in diesem Haus. Es sieht unberührt und sauber und ordentlich aus, als wäre der Besitzer einfach eines Tages aufgestanden und gegangen. Ich frage mich, ob das noch vor dem Krieg war. Die Spinnwegen und die unglaubliche Lage, so gut versteckt hinter den Bäumen, lassen darauf schließen. Hier war seit Jahrzehnten niemand.

An der anderen Wand hinten kann ich die Konturen eines Gegenstandes erkennen, und ich mache mich auf den Weg dorthin. Ich halte die Hände vor mir, taste mich in die Dunkelheit. Als ich anfasse, stelle ich fest, dass es eine Kommode ist. Ich fahre mit meinen Fingern über die glatte Holzoberfläche und kann den Staub fühlen. Ich ertaste mit meinen Fingern kleine Knäufe, von Schubladen. Ich ziehe vorsichtig eine nach der anderen auf. Es ist zu dunkel, um zu sehen, also fasse ich mit der Hand in jede Schublade. In der ersten ist nichts. Auch nicht in der zweiten. Jetzt öffne ich die anderen schnell, meine Zuversicht schwindet. In der fünften Schublade jedoch kann ich hinten, auf der Rückseite, etwas erfühlen. Langsam ziehe ich es heraus.

Ich halte es ins Licht hoch, und zuerst kann ich es nicht erkennen. Aber ich kann die verräterische Aluminiumfolie fühlen und mir wird klar: Ein Schokoriegel. Einige Bissen fehlen, aber er ist noch in seiner Originalverpackung, und das Meiste ist noch da. Ich packe ihn nur ein bisschen aus, halte ihn an meine Nase und rieche daran. Ich kann es nicht glauben: Echte Schokolade. Wir hatten seit dem Krieg keine Schokolade mehr.

Der Geruch bringt meinen stechenden Hunger zurück und ich brauche all meine Willenskraft, um den Riegel nicht aufzureißen und zu verschlingen. Ich zwinge mich, stark zu bleiben, verpacke ihn wieder sorgfältig und verstaue ihn in meiner Tasche. Ich werde warten und ihn gemeinsam mit Bree genießen. Ich lächle und freue mich schon auf ihren Gesichtsausdruck, wenn sie ihren ersten Bissen nimmt. Er wird unbezahlbar sein.

Schnell durchsuche ich die restlichen Schubladen in der Hoffnung, noch weitere Schätze zu finden. Aber alle anderen sind leer. Ich gehe wieder durch das Zimmer, gehe es der Länge und der Breite nach ab, in alle vier Ecken, aber da scheint nichts zu sein.

Plötzlich trete ich auf etwas Weiches. Ich knie mich hin und halte es hoch, ins Licht. Ich bin verblüfft: Ein Teddybär. Ziemlich abgenutzt, und ein Auge fehlt, aber trotzdem, Bree liebt Teddybüren und vermisst ihren von früher. Sie wird sich unglaublich über diesen freuen. Sieht aus, als wäre heute ihr Glückstag.

Ich klemme den Teddy in meinen Gürtel, ertaste dann aber noch etwas Weiches auf dem Boden  Ich greife danach und halte es hoch, und bin begeistert: Es ist ein Schal. Er ist schwarz und voller Staub, aber als ich ihn an meinen Nacken und meine Brust halte, kann ich die Wärme schon spüren. Ich halte ihn aus dem Fenster und schüttele ihn durch, um den ganzen Staub abzubekommen. Ich besehe ihn mir im Licht, er ist lang und dick, nicht einmal Löcher hat er. Das ist pures Gold. Ich wickele ihn sofort um den Nacken und klemme ihn unter meinem Shirt fest, und mir ist gleich wärmer. Ich muss niesen.

Die Sonne senkt sich, und weil es aussieht, als hätte ich alles gefunden, was ich gesucht hätte, will ich mich auf den Weg machen. Auf dem Weg zu Fuß bleibe ich aber plötzlich mit meinem Fuß an etwas Hartem, Metallischem hängen. Ich knie mich hin, taste vorsichtig, falls es eine Waffe ist. Ist es nicht, es ist ein runder Eisenknauf, am Holzboden befestigt. Wie ein Klopfer. Oder ein Griff.

Ich ziehe nach links und rechts, nichts passiert. Ich versuche ihn zu drehen, wieder nichts. Dann gehe ich das Risiko ein und stelle mich ein Stück zur Seite und ziehe stark daran, geradeaus nach oben.

Eine Falltür öffnet sich und eine Staubwolke liegt in der Luft.

Ich sehe nach unten und entdecke einen Kriechkeller, vielleicht einen Meter und zwanzig Zentimeter hoch, mit einem Lehmboden. Mein Herz macht einen Sprung, was das für Möglichkeiten bietet. Wenn hier leben würden und es jemals ein Problem gäbe, könnte ich Bree hier unten verstecken. Dieses kleine Häuschen erscheint mir immer wertvoller.

Und nicht nur das. Als ich heruntersehe, sehe ich etwas glänzen. Ich schiebe die schwere Holztür ganz zurück und krieche schnell die Leiter hinunter. Es ist schwarz unten, und ich halte mir die Hände vors Gesicht, während ich mich vortaste. Als ich einen Schritt nach vorne mache, fühle ich etwas. Glas. In die Wand sind Regale eingebaut, und darauf stehen Glasgefäße. Und Steingefäße.

Ich ziehe eins heraus und ans Licht. Der Inhalt ist rot und weich. Es sieht nach Marmelade aus. Ich schraube schnell den Blechdeckel ab, halte ihn an meine Nase und rieche daran. Der durchdringende Geruch von Himbeeren schlägt mir entgegen. Ich stecke einen Finger hinein und halte ihn an meine Zunge. Ich kann es kaum glauben: Himbeermarmelade. Und sie schmeckt so frisch, als wäre sie gestern erst eingemacht worden.

Schnell verschließe ich das Glas wieder und eile zu den Regalen zurück, fasse hinein – da sind noch Dutzende Gläser mehr in der Dunkelheit. Ich greife nach dem nächsten, halte auch das ins Licht. Sieht aus wie Gurken.

Ich wünschte, ich könnte sie alle mitnehmen, aber meine Hände gefrieren. Ich habe nichts, womit ich die Gläser tragen könnte, und draußen wird es dunkel. Also packe ich die Gurken wieder zurück, klettere die Leiter hoch und schließe die Falltür fest hinter mir. Ich wünschte, ich hätte ein Schloss. Es macht mich nervös, all das hier ungeschützt liegen zu lassen. Aber dann erinnere ich mich selbst daran, dass hier jahrelang niemand war – und dass ich das Haus wahrscheinlich selbst nie bemerkt hätte, wäre der Baum nicht umgefallen.

Als ich gehe, schließe ich die Tür hinter mir, fühle mich schon, als wäre ich hier zu Hause.

Mit vollen Taschen eile ich wieder zum See zurück – erstarre aber plötzlich, als ich eine Bewegung spüre und ein Geräusch höre. Zuerst sorge ich mich, dass jemand mir gefolgt sein könnte, aber als ich mich langsam umdrehe, sehe ich etwas anderes: Ein Reh steht dort, drei Meter entfernt nur vielleicht, und starrt zurück. Das erste Reh, das ich seit Jahren gesehen habe. Seine großen, schwarzen Augen sehen mich direkt an, dann dreht es sich plötzlich um und läuft weg.

Ich bin sprachlos. Monatelang habe ich nach einem Reh gesucht, in der Hoffnung, ich käme nahe genug an eines heran, um mein Messer danach zu werfen. Aber ich konnte keins finden, nirgends. Vielleicht habe ich nicht weit genug oben gesucht. Vielleicht haben sie die ganze Zeit hier oben gelebt.

Ich beschließe, gleich morgen früh wiederzukommen und den ganzen Tag zu warten, wenn es nötig ist. Wenn das Reh einmal hier war, kommt es vielleicht wieder. Nächstes Mal werde ich es töten. Von diesem Reh könnten wir monatelang leben.

Voll neuer Hoffnung eile ich zum See zurück. Als ich näher komme, klopft mein Herz höher: Die Rute ist fast zur Hälfte heruntergebogen. Zitternd vor Aufregung rutsche und schlittere ich über das Eis. Ich greife die Schnur, die sich wild bewegt, und bete, dass sie hält.

Ich ziehe fest daran. Ich kann die Kraft eines großen Fisches spüren, der sich widersetzt, und bete, dass die Schnur nicht reißt, der Haken nicht bricht. Ein letztes Mal ziehe ich, und der Fisch fliegt aus dem Wasser. Ein riesiger Lachs, so groß wie mein Arm. Er landet auf dem Eis und zappelt, rutscht. Ich reiche herüber und will ihn greifen, aber er rutscht mir aus den Händen und fällt wieder aufs Eis. Meine Hände sind zu glitschig, um ihn festzuhalten, also ziehe ich meine Ärmel hoch, beuge mich hinunter und greife dieses Mal fester zu. Noch etwa dreißig Sekunden zappelt er in meinen Händen, dann schließlich stirbt er.

Ich bin verblüfft. Es ist mein erster Fang seit Monaten. Ekstatisch rutsche ich über das Eis und lege ihn am Ufer ab, verpacke ihn in Schnee, weil ich Angst habe, dass er irgendwie wieder zum Leben erwacht und in den See zurückspringt. Ich nehme die Angel und die Schnur in eine Hand, dann greife ich mit der anderen den Fisch. Ich kann das Marmeladengefäß in einer Tasche spüren und den Thermosbecher mit Saft in der anderen, zusammengepackt mit dem Schokoriegel, und den Teddy an meiner Taille. Bree wird heute Abend Reichtümer besitzen.

Nur eins muss ich noch mitnehmen. Ich gehe zu dem Stapel von trockenem Holz hinüber, balanciere die Rute in meinem Arm, und mit der freien Hand hebe ich so viele Holzstücke auf, wie ich halten kann. Ich lasse ein paar fallen, und kann nicht so viele nehmen, wie ich gerne möchte, aber ich kann mich nicht beschweren. Ich kann immer noch wiederkommen und den Rest holen.

Mit vollen Händen, Armen und Taschen rutsche und schlittere ich den steilen Berghang im letzten Tageslicht wieder hinunter, achtsam, nichts von meinem Schatz zu verlieren. Im Gehen kann ich das Häuschen nicht aus dem Kopf bekommen. Es ist perfekt, und mein Herz schlägt schneller beim Gedanken an die Möglichkeiten. Das ist genau das, was wir brauchen. Das Haus unseres Vaters ist zu auffällig, an einer Hauptstraße gebaut. Schon seit Monaten mache ich mir Sorgen, dass wir da zu verwundbar sind. Alles, was es bräuchte, wäre, dass zufällig ein Sklaventreiber vorbeikäme, und schon hätten wir ein Problem. Ich wollte schon lange, dass wir umziehen, aber ich hatte keine Ahnung, wohin. Hier oben gibt keine anderen Häuser.

Dieses kleine Häuschen, so weit oben und so weit weg von jeglicher Straße – im wahrsten Sinne in den Berg hineingebaut – ist so gut verborgen, fast, als wenn es für uns gebaut worden wäre. Keiner könnte uns hier jemals finden. Und selbst wenn, mit einem Fahrzeug würden sie nicht einmal in die Nähe kommen. Sie müssten zu Fuß kommen, aber von dort oben aus würde ich sie schon aus einem Kilometer Entfernung sehen.

Außerdem hat das Haus eine frische Wasserquelle, ein kleiner Bach direkt vor der Tür. Ich müsste Bree nicht mehr jedes Mal allein lassen müssen, um mich auf die Wanderung zu machen, um zu baden und unsere Kleidung zu waschen. Und ich müsste nicht mehr die Wassereimer einzeln vom See hochtragen, jedes Mal, wenn ich koche. Ganz zu schweigen davon, dass wir durch dieses riesige Baumzelt verborgen genug wären, um jeden Abend Feuer im Kamin zu machen. Wir wären sicherer, uns wäre wärmer, und das an einem Ort, wo es Fische und Wild gibt – und einen Keller voller Essen. Ich habe einen Plan: Ich bringe uns morgen schon dort hin.

Eine Last fällt von meinen Schultern. Ich fühle mich wie neugeboren. Zum ersten Mal, so lange ich mich erinnern kann, habe ich nicht mehr das Gefühl, dass der Hunger an mir nagt und die Kälte in meine Fingerspitzen sticht. Sogar der Wind scheint in meinem Rücken zu sein, als ich herunterklettere, mir zu helfen, und ich weiß, dass die Dinge sich endlich gewendet haben. Zum ersten Mal, so lange ich mich erinnern kann, weiß ich heute, dass wir es schaffen können.

Jetzt können wir überleben.

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