Afremow: Fedja, schläfst du?
Fedja (richtet sich auf): Schwatzt nicht! Jetzt: „Nicht der Abendstern”!
Ein Zigeuner: Das geht nicht, Fjodor Wasiljewitsch. Jetzt soll Mascha erst allein singen.
Fedja: Na, gut! Aber dann: „Nicht der Abendstern”! (Er legt sich wieder hin.)
Der Offizier: „Die Schicksalsstunde”!
Der Zigeuner: Einverstanden?
Afremow: Meinetwegen.
Der Offizier (zu dem Musiker): Nun, haben Sie es sich aufgeschrieben?
Der Musiker: Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Jedesmal klingt es anders. Und was ist das manchmal für eine Tonart! So gleich dieses hier. (Er ruft eine Zigeunerin herbei und fragt sie.) Stimmt das so? (Er singt.)
Die Zigeunerin: Ja, ganz richtig. Wundervoll.
Fedja (sich aufrichtend): Er wird es nicht aufschreiben können, und wenn er es aufschreibt und in einer Oper anbringt, so wird er alles verhunzen. Na, Mascha, dann mal los mit der „Schicksalsstunde”! Nimm die Gitarre! (Er steht auf, setzt sich vor sie hin und sieht ihr in die Augen.)
Mascha (singt).
Fedja: Gut gemacht! Bravo, Mascha! Na, aber jetzt: „Nicht der Abendstern”!
Afremow: Nein, warte mal! Erst mein Lied, mein Begräbnislied!
Der Offizier: Wieso denn Begräbnislied?
Afremow: Deswegen: wenn ich sterbe … du verstehst, ich werde sterben und im Sarge liegen, und dann werden die Zigeuner kommen … verstehst du? Das werde ich vorher meiner Frau zur Pflicht machen. Und wenn sie dann anstimmen: „Komm, mein Freund”, dann werde ich aus dem Sarge herausspringen, – verstehst du?! (Zu dem Musiker:) Das schreib einmal auf! Na, nun vorwärts! (Die Zigeuner singen.)
Afremow: Nun, was sagt ihr dazu? Jetzt: „Ihr meine braven Burschen”! (Die Zigeuner singen.)
Afremow (steht auf und macht ein paar Fechterbewegungen). (Die Zigeuner applaudieren ihm lächelnd und fahren fort zu singen.)
Afremow (setzt sich hin). (Das Lied ist zu Ende.)
Die Zigeuner: Bravo, Michail Andrejewitsch! Sie sind ein echter Zigeuner!
Fedja: Na, jetzt aber: „Nicht der Abendstern”! (Die Zigeuner singen.)
Fedja: Das ist mal ein Lied! Das ist mal ein Lied! Wundervoll! An das, was hier ausgesprochen wird, reicht keine Wirklichkeit heran! Ach, wie schön! Und warum kann der Mensch in ein solches Entzücken geraten, wenn es ihm doch nicht möglich ist, in diesem Zustande zu verharren?
Der Musiker (macht sich Notizen): Ja, es ist sehr originell.
Fedja: Nicht originell, sondern echt.
Afremow: Na … nun erholt euch! (Er nimmt die Gitarre und setzt sich zu Katja.)
Der Musiker: Im Grunde ist alles ganz einfach; nur der Rhythmus, der Rhythmus!
Fedja (macht ihm eine geringschätzige Handbewegung, geht zu Mascha und setzt sich neben sie auf das Sofa): Ach Mascha, Mascha, wie du mein ganzes Inneres umkehrst!
Mascha: Nun, und um was habe ich Sie gebeten?
Fedja: Um was? Um Geld? (Er nimmt welches aus der Hosentasche.) Na, schön; da, nimm!
Mascha (lacht, nimmt das Geld und steckt es in den Busen).
Fedja (zu den Zigeunern): Da soll ein Mensch daraus klug werden! Mir schließt sie den Himmel auf, und sie selbst bittet um ein Trinkgeld. Du verstehst ja nicht das geringste von dem, was du selbst tust.
Mascha: Wie sollte ich es nicht verstehen? Ich verstehe, daß ich, wenn ich jemanden liebe, mir für ihn mehr Mühe gebe und besser singe.
Fedja: Und mich liebst du?
Mascha: Gewiß tue ich das.
Fedja: Das ist herrlich! (Er küßt sie.) (Die Zigeuner und Zigeunerinnen gehen hinaus. Es bleiben nur die Paare zurück.)
Fedja: Ich bin ja aber verheiratet. Und dir wird es der Chor nicht erlauben.
Mascha: Der Chor ist eine gute Sache; aber das Herz bleibt doch immer das Herz. Wenn ich einen liebe, so liebe ich ihn, und wenn mir einer zuwider ist, dann ist er mir zuwider.
Fedja: Ach mir ist so wohl! Ist dir auch wohl?
Mascha: Natürlich ist mir wohl. Wenn wir nette Gäste hier haben, sind auch wir vergnügt.
Der Zigeuner (zu Fedja): Ein Herr fragt nach Ihnen.
Fedja: Was für ein Herr?
Der Zigeuner: Ich kenne ihn nicht. Er ist gut gekleidet. Trägt einen Zobelpelz.
Fedja: Ein vornehmer Herr? Na, gut, ruf ihn her!
Afremow: Wer mag dich denn hier aufsuchen?
Fedja: Weiß der Teufel! Wer kann etwas von mir wollen?
Fedja: Ah, Viktor! Na, dich hätte ich hier nicht zu sehen erwartet! Leg ab! Welcher Wind hat dich hierher geweht? Na, setz dich! Hör mal das Lied „Nicht der Abendstern” mit an.
Karenin: Je voudrais vous parler sans témoins.
Fedja: Worüber?
Karenin: Je viens des chez vous. Votre femme m'a chargé de cette lettre, et puis …
Fedja (nimmt den Brief hin, liest ihn und macht ein finsteres Gesicht; dann lächelt er wieder freundlich): Hör mal, Karenin, du weißt gewiß, was in diesem Briefe steht?..
Karenin: Ja; und ich möchte dir sagen …
Fedja: Warte mal, warte mal! Bitte, glaube nicht, daß ich betrunken bin und meine Worte unzurechnungsfähig sind, ich will sagen, daß ich nicht zurechnungsfähig bin. Ich bin betrunken; aber in dieser Sache sehe ich ganz klar. Nun also, was ist dir aufgetragen zu sagen?
Karenin: Es ist mir aufgetragen, dich aufzusuchen und dir zu sagen, daß … sie … dich erwartet. Sie bittet dich, alles zu vergessen und zurückzukehren.
Fedja (hört schweigend zu und sieht ihm in die Augen): Ich verstehe aber nicht, warum gerade du …?
Karenin: Jelisaweta Andrejewna ließ mich rufen und bat mich …
Fedja: So …
Karenin: Aber ich bitte dich nicht sowohl im Namen deiner Frau als in meinem eigenen Namen: komm mit nach Hause!
Fedja: Du bist besser als ich. Was rede ich da für Unsinn! Besser als ich zu sein, das ist nicht schwer. Ich bin ein Taugenichts; aber du bist ein guter, ein sehr guter Mensch. Und gerade deswegen werde ich meinen Entschluß nicht ändern. Und nicht allein deswegen. Ich kann es einfach nicht und will es nicht … Na, sag selbst: wie könnte ich so hinfahren?
Karenin: Komm jetzt mit mir in meine Wohnung. Ich werde ihr sagen, daß du zurückkehren wirst, und morgen …
Fedja: Und morgen was? Ich werde immer ich bleiben, und sie immer sie. (Er tritt an den Tisch und trinkt.) Das Beste ist, den Zahn mit einem Male auszuziehen. Ich habe ihr ja gesagt, wenn ich wieder mein Wort nicht hielte, dann solle sie sich von mir lossagen. Ich habe mein Wort nicht gehalten, und nun ist alles zu Ende.
Karenin: Für dich, aber nicht für sie.
Fedja: Es ist erstaunlich, wieviel Mühe du dir gibst, daß unsere Ehe nicht zerstört werde.
Karenin (will etwas erwidern. Mascha tritt hinzu).
Fedja (läßt ihn nicht zu Worte kommen): Hör mal zu, wie sie das „Flachslied” singt. Mascha! (Die Zigeuner sammeln sich.)
Mascha (flüsternd): Wie redet man ihn an?
Fedja (lacht): Sage zu ihm: Herr Viktor Michailowitsch. (Die Zigeuner singen.)
Karenin (hört zerstreut zu; dann erkundigt er sich, wieviel er geben soll).
Fedja: Na, gib fünfundzwanzig Rubel!
Karenin (gibt das Geld).
Fedja: Das war wundervoll. Jetzt das „Flachslied”. (Die Zigeuner singen.)
Fedja (blickt sich um): Karenin hat sich davongemacht. Na, hol ihn der Teufel! (Die Zigeuner zerstreuen sich.)
Fedja (setzt sich mit Mascha hin): Weißt du, wer das ist?
Mascha: Ich habe seinen Namen gehört.
Fedja: Das ist ein vortrefflicher Mensch. Er ist hergekommen, um mich nach Hause zu holen, zu meiner Frau. Sie liebt mich Dummkopf, und ich führe mich hier so auf.
Mascha: Nun, das ist nicht hübsch von Ihnen. Sie müssen zu ihr zurückkehren, mit ihr Mitleid haben.
Fedja: Meinst du, daß ich das muß? Aber ich meine, nein.
Mascha: Freilich, wenn Sie sie nicht lieben, dann kehren Sie nicht zurück! Nur die Liebe hat Wert.
Fedja: Aber du, woher weißt du das?
Mascha: Natürlich weiß ich das.
Fedja: Na, gib mir einen Kuß! Ihr Zigeuner! Noch einmal das „Flachslied” – und dann Schluß! (Die Zigeuner beginnen zu singen.)
Fedja: Ach, wie wohl mir ist! Wenn man nur nie wieder erwachte!.. So möchte ich sterben!..
Karenin: Nun, wie steht es?
Sascha: Der Arzt hat gesagt, es sei jetzt keine Gefahr mehr vorhanden. Nur dürfe er sich nicht erkälten.
Anna Pawlowna: Na, aber Lisa ist dabei ganz heruntergekommen.
Sascha: Er sagt, es sei unechter Krupp in gelinder Form. Was ist das? (Sie zeigt auf ein Körbchen.)
Anna Pawlowna: Viktor hat Weintrauben mitgebracht.
Karenin: Mögen Sie nicht zulangen?
Sascha: Ja, die ißt sie gern. Sie ist sehr nervös geworden.
Karenin: Wenn sie auch zwei Tage lang nichts gegessen, zwei Nächte nicht geschlafen hat.
Sascha (lächelnd): Sie selbst haben es doch ebenso gemacht.
Karenin: Mit mir ist das etwas anderes.
Der Arzt (nachdrücklich): Also so: wechseln Sie alle halbe Stunde den Umschlag, wenn er nicht schläft. Wenn er schläft, stören Sie ihn nicht! Den Rachen zu pinseln ist nicht nötig. Die Zimmertemperatur halten Sie auf gleichmäßiger Höhe!..
Lisa: Aber wenn er wieder Atemnot bekommt?
Der Arzt: Das ist nicht wahrscheinlich. Sollte es aber eintreten, so wenden Sie den Zerstäuber an! Außerdem geben Sie ihm Pulver, morgens eines und abends eines! Ich werde sie sogleich verschreiben.
Anna Pawlowna: Mögen Sie nicht ein Glas Tee trinken, Doktor?
Der Arzt: Nein, ich danke; meine Kranken warten. (Er setzt sich an den Tisch, Sascha bringt Papier, Tinte und Feder.)
Lisa: Also es ist bestimmt nicht Krupp?
Der Arzt (lächelnd): Ganz bestimmt nicht. (Er schreibt.)
Karenin (zu Lisa): Nun, jetzt trinken Sie aber ein Glas Tee, oder, noch besser, gehen Sie hin und ruhen Sie sich aus; sehen Sie nur, wie entstellt Sie aussehen!
Lisa: Jetzt fühle ich mich neu belebt. Ich danke Ihnen. Sie sind ein wahrer Freund. (Sie drückt ihm die Hand. Sascha geht ärgerlich zur Seite.)
Lisa: Ich bin Ihnen herzlich dankbar. Da sieht man, wo …
Karenin: Was habe ich denn getan? Zum Danken ist gar kein Anlaß.
Lisa: Aber wer hat die Nächte über nicht geschlafen? Wer hat uns diese Zelebrität ins Haus geholt?
Karenin: Ich bin schon dadurch hinlänglich belohnt, daß Mischa außer Gefahr ist, und besonders durch Ihre Güte.
Lisa (drückt ihm wieder die Hand und zeigt ihm lachend ein Goldstück, das sie in der Hand hält): Das ist für den Arzt. Nur weiß ich nicht, wie ich es ihm geben soll.
Karenin: Ja, ich verstehe mich auch nicht darauf.
Anna Pawlowna: Worauf verstehen Sie sich nicht?
Lisa: Dem Arzte das Geld zu geben. Er hat mir mehr als das Leben gerettet, und ich gebe ihm Geld! Das ist eine peinliche Empfindung.
Anna Pawlowna: Gib her; ich werde es ihm geben. Ich verstehe, wie man das macht. Es ist ganz einfach.
Der Arzt (steht auf und reicht das Rezept hin): Also diese Pulver rühren Sie in einem Eßlöffel voll abgekochten Wassers gut um und (er spricht weiter) … (Karenin trinkt am Tische Tee; Anna Pawlowna und Sascha gehen nach vorn.)
Sascha: Ich kann das Benehmen der beiden gar nicht mehr mit ansehen. Sie ist ordentlich verliebt in ihn.
Anna Pawlowna: Was ist daran Verwunderliches?
Sascha: Es ist widerwärtig!
Der Arzt (empfiehlt sich allen und geht weg. Anna Pawlowna begleitet ihn hinaus).
Lisa (zu Karenin): Er ist jetzt so lieb und nett. Sowie ihm besser wurde, fing er sogleich an zu lächeln und zu plaudern. Ich will zu ihm gehen. Aber auch von Ihnen fortzugehen wird mir schwer.
Karenin: Sie sollten ein Glas Tee trinken und etwas essen.
Lisa: Ich brauche jetzt nichts. Es ist mir so wohl zumute nach all diesen Beängstigungen. (Sie fängt an zu schluchzen.)
Karenin: Da sehen Sie, wie schwach Sie sind.
Lisa: Ich bin so glücklich. Wollen Sie ihn sich ansehen?
Karenin: Natürlich.
Lisa: So kommen Sie mit! (Sie gehen hinaus.)
Anna Pawlowna: Warum machst du denn ein so finsteres Gesicht? Ich habe ihm das Geld in sehr schöner Form gegeben, und er hat es ebenso genommen.
Sascha: Es ist geradezu empörend! Sie hat ihn mit in das Kinderzimmer genommen. Gerade als ob er ihr Bräutigam oder ihr Mann wäre.
Anna Pawlowna: Aber was geht es dich an? Weshalb wirst du so hitzig? Oder hast du vielleicht darauf spekuliert, ihn zu heiraten?
Sascha: Ich?! Diesen langen Tölpel?! Da würde ich lieber ich weiß nicht wen heiraten, aber nicht ihn. Das ist mir überhaupt nie in den Kopf gekommen. Es ist mir nur zuwider, daß Lisa nach ihrem Zusammenleben mit Fedja es fertigbekommt, einem fremden Menschen in dieser Weise näher zu treten.
Anna Pawlowna: Wie kannst du ihn einen fremden Menschen nennen? Er ist ihr Jugendfreund.
Sascha: Aber ich sehe ja an dem Lächeln, an den Augen der beiden, daß sie ineinander verliebt sind.
Anna Pawlowna: Was ist denn daran Verwunderliches? Er hat ihr während der Krankheit des Kindes soviel Teilnahme bewiesen und ihr geholfen; dafür ist sie ihm dankbar. Und außerdem: warum sollte sie sich nicht in Viktor verlieben und ihn heiraten?
Sascha: Das wäre schrecklich, empörend! Empörend!
Karenin (empfiehlt sich schweigend).
Sascha (geht ärgerlich hinaus).
Lisa (zu ihrer Mutter): Was hat sie nur?
Anna Pawlowna: Ich weiß es wirklich nicht.
Lisa (seufzt schweigend).
Бесплатно
Установите приложение, чтобы читать эту книгу бесплатно
О проекте
О подписке