Читать бесплатно книгу «Anna Karenina, 1. Band» Льва Толстого полностью онлайн — MyBook
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20

Den ganzen Tag verbrachte Anna zu Hause, das heißt, bei den Oblonskiy. Sie empfing niemanden, obwohl schon mehrere ihrer Bekannten, die von ihrer Ankunft Kunde erhalten hatten, kamen, um sie bereits am nämlichen Tage zu besuchen.

Anna verbrachte den ganzen Morgen mit Dolly und den Kindern. Sie schrieb nur eine kurze Mitteilung an ihren Bruder, daß er jedenfalls daheim zu Mittag speisen möchte. „Komm, Gott hat geholfen!“ schrieb sie ihm.

Oblonskiy speiste denn auch daheim; das Gespräch drehte sich um Allgemeinheiten, sein Weib sprach mit ihm, indem sie ihn wieder mit du anredete, was vorher nicht der Fall gewesen war.

In dem Verhältnis des Gatten zu der Gattin herrschte noch die nämliche Entfremdung, aber es war doch schon keine Rede mehr von einer Trennung, und Stefan Arkadjewitsch erkannte, daß die Möglichkeit einer Auseinandersetzung und Aussöhnung jetzt vorhanden sei.

Sogleich nach dem Essen erschien Kity. Sie kannte Anna Arkadjewna, aber nur sehr entfernt, und kam jetzt zu der Schwester nicht ohne die Besorgnis darüber, wie sie von dieser Petersburger Weltdame aufgenommen werden möchte, von der man allgemein so entzückt war. Sie hatte der Anna Arkadjewna indessen gefallen – dies erkannte sie sofort.

Anna interessierte sich augenscheinlich für Kitys Schönheit und Jugend und kaum war Kity selbst zur Besinnung gekommen, da fühlte sie sich nicht nur schon unter deren Einfluß, sie fühlte sich vielmehr verliebt in Anna, wie überhaupt die jungen Mädchen sehr geneigt sind, sich in verheiratete und ältere Damen zu verlieben.

Anna ähnelte durchaus nicht einer Weltdame oder der Mutter eines achtjährigen Knaben; sie hätte eher einem zwanzigjährigen Mädchen geglichen nach der Geschmeidigkeit ihrer Bewegungen, nach der Frische und der Beweglichkeit, die auf ihren Mienen lag, und die bald in einem Lächeln, bald in ihrem Blicke zum Ausdruck kam, wenn sie nicht gerade ernst dreinschaute. Bisweilen war es auch ein trauernder Ausdruck ihrer Augen, welcher Kity überraschte und anzog. Diese empfand, daß Anna vollständig offen sei und nichts verberge, aber sie empfand auch, daß in ihr eine andere höhere Welt lebe voll Interessen, die ihr selbst unzugänglich waren, und eine in sich abgeschlossene, poetische Natur besaßen.

Nach dem Essen, als Dolly nach ihrem Zimmer gegangen war, erhob sich Anna schnell und trat zu ihrem Bruder, der eine Cigarre rauchte.

„Stefan,“ hub sie an, schelmisch blinzelnd und ihn bekreuzend, mit den Augen nach der Thür winkend. „Gehe jetzt und möge dir Gott beistehen.“

Er legte die Cigarre fort, Anna verstehend, und ging zur Thür hinaus.

Als Stefan Arkadjewitsch verschwunden war, wandte sich Anna nach dem Diwan, auf welchem sie sich, von den Kindern umringt niederließ. War es, weil die Kinder gesehen hatten, daß Mama gut mit Tante war, oder war es, daß sie selbst an ihr einen eigentümlichen Reiz verspürten; genug, die beiden ältesten, und nach ihnen die jüngeren, hatten sich wie das gewöhnlich bei Kindern der Fall zu sein pflegt, schon bis zur Mittagstafel hin an die neue Tante gemacht und wichen nicht von ihrer Seite.

Es hatte sich eine Art Spiel unter ihnen arrangiert, welches darin bestand, daß man sich so eng als möglich neben die Tante zu setzen suchte, sich an sie anschmiegte, ihre kleine Hand festhielt, sie küßte, mit ihrem Ringe spielte oder doch wenigstens die Fransen ihres Kleides zu berühren strebte.

„Jetzt wollen wir wieder sitzen, wie vorher,“ sagte Anna Arkadjewna, sich auf ihren Platz niederlassend.

Grischa steckte wiederum seinen Kopf unter ihre Hand, schmiegte sich in die Falten ihres Kleides und strahlte vor Stolz und Glück.

„Also jetzt hat man hier wohl einen Ball?“ wandte sich Anna an Kity.

„In nächster Woche. Es wird ein schöner Ball werden; einer von jenen auf denen es stets recht lustig ist.“

„Giebt es denn solche, auf denen es stets lustig ist?“ frug Anna mit feinem Lächeln.

„Die Frage ist eigentümlich. Gewiß! Bei den Bobwischtscheff ist es stets lustig, bei den Nikitin auch, allerdings bei den Meschkowy ist es immer langweilig. Habt Ihr dies denn noch nicht bemerkt?“

„Nein, mein Kind, für mich giebt es keine solchen Bälle mehr, auf denen es stets lustig ist,“ antwortete Anna; Kity gewahrte in ihren Augen wieder jene sonderbare Welt, die ihr nicht zugänglich war.

„Für mich giebt es nur solche, auf denen es zum mindesten langweilig ist.“

„Wie ist das möglich, daß Ihr gar es auf einem Balle langweilig findet?“

„Warum sollte es unmöglich sein, daß gerade ich den Ball langweilig finde?“ frug Anna.

Kity merkte, daß Anna recht wohl wußte, welche Antwort kommen müsse.

„Nun deswegen, weil Ihr doch stets die Schönste von allen dabei sein würdet!“

Anna besaß die Fähigkeit, erröten zu können. Sie errötete daher und sagte:

„Das ist zunächst nicht der Fall, und dann, selbst wenn dem so wäre, warum?“

„Ihr werdet doch auf den Ball fahren?“ frug Kity.

„Ich denke, es wird nicht zu umgehen sein. – Da nimm ihn,“ sagte sie zu Tanja, welche ihr den leicht von ihrem weißen Finger herabgehenden Ring abgezogen hatte.

„Ich werde mich sehr freuen, wenn Ihr mitkommt, denn ich möchte Euch gar zu gern auf dem Balle sehen.“

„Nun, wenn denn einmal gefahren sein muß, so werde ich mich mit dem Gedanken trösten, daß dies eben Euch Vergnügen macht. Grischa, zerr' nicht so, bitte; sie haben mich schon ganz derangiert,“ sprach sie, eine in Unordnung geratene Haarflechte, mit der Grischa gespielt hatte wieder zurechtsteckend.

„Ich denke mir Euch auf dem Ball in Lila.“

„Weshalb gerade in Lila?“ lächelte Anna. „Kinder geht jetzt, geht! Hört ihr? Miß Goul ruft euch zum Thee,“ fuhr sie fort, die Kinder von sich losmachend und sie nach dem Speisesalon dirigierend. „Ich weiß übrigens, weshalb Ihr mich zu der Teilnahme am Balle einladet. Ihr versprecht Euch viel von demselben und wünscht, daß jedermann dort und Teilhaber dabei sein möchte.“

„Woher wißt Ihr das? Allerdings.“

„O, wie schön ist doch Euer Alter,“ fuhr Anna fort, „ich entsinne mich noch jenes blauen Nebels, ähnlich dem, der sich über die Berge der Schweiz lagert, jenes Nebels, der alles in dieser glückseligen Zeit überdeckt, da die Kindheit für uns aufgehört hat und aus ihrem grenzenlosen Kreise des Glückes und der Lust ein Weg, enger und enger werdend, in Heiterkeit und Scherz in diese Enfilade hineinführt, obwohl er hell und angenehm erscheint. Wer hätte diesen Weg nicht durchschritten?

Kity lächelte schweigend, „sie hat ihn gewiß zurückgelegt, was gäbe ich nicht darum, könnte ich ihren ganzen Roman in Erfahrung bringen,“ dachte sie und vergegenwärtigte sich dabei das unpoetische Äußere Aleksey Aleksandrowitschs, ihres Gatten.

„Ich bin schon in einigem unterrichtet, Stefan erzählte mir davon; ich gratuliere; er gefällt mir sehr,“ fuhr Anna fort, „ich traf mit Wronskiy auf der Eisenbahn zusammen.“

„Ah; er war dort?“ frug Kity errötend, „was hat Euch Stefan erzählt?“

„Er hat mit mir nur leichthin geplaudert; ich wäre sehr froh gewesen – Gestern bin ich mit der Mutter Wronskiys hierher gereist,“ fuhr sie fort, „und diese hat mir in einem fort von ihm erzählt, er ist ihr Liebling. Ich weiß, wie leidenschaftlich Mütter für ihre Kinder eingenommen sein können, aber“ —

„Was hat Euch denn seine Mutter erzählt?“

„O, viel! Ich weiß wohl, daß er ihr Liebling ist, aber es ist trotzdem auch sichtbar, daß er auch der vollendete Kavalier ist. Nun, zum Beispiel hat sie mir erzählt, daß er sein ganzes Besitztum seinem Bruder überlassen wollte, daß er bereits in seiner Jugend eine ungewöhnliche That vollbracht habe, indem er ein Weib aus dem Wasser errettete. Mit einem Worte, er ist ein Heros,“ sagte Anna lächelnd, und sich dabei der zweihundert Rubel erinnernd, die er auf der Station geschenkt hatte.

Doch von diesen erzählte sie nichts, weil es ihr unangenehm war, an das Vorkommnis zurückzudenken. Sie empfand, daß in der Sache etwas auf sie selbst Weisendes gelegen hatte, etwas, das nicht hätte sein dürfen.

„Sie hat mich lebhaft gebeten, zu ihr zu kommen,“ fuhr Anna fort, „und ich werde mich freuen, die liebe alte Dame wiedersehen zu können. Morgen gedenke ich daher zu ihr zu fahren. Indessen – Gott sei gedankt – Stefan bleibt lange bei Dolly im Kabinett,“ fügte sie alsdann hinzu, das Thema wechselnd und sich erhebend; wie es Kity schien, mochte sie mit irgend etwas unzufrieden sein.

„Nein, ich will zuerst zur Tante! Nein ich! Nein ich!“ schrieen jetzt die Kinder, welche mit Theetrinken fertig waren und wieder zur Tante Anna geeilt kamen.

„Alle zusammen sollen bei mir sein!“ rief diese, ihnen lachend entgegenlaufend und sie umarmend, worauf sie die ganze Schar der sich tummelnden und vor Lust laut hinausschreienden Kinder über den Haufen warf.

21

Zur Theestunde für die Erwachsenen erschien Dolly aus ihrem Zimmer; Stefan Arkadjewitsch kam nicht mit. Er mochte wohl, das Gemach der Gattin verlassend, einen Ausgang nach hinten benutzt haben.

„Ich fürchte, es wird dir oben zu kalt werden,“ wandte sich Dolly zu Anna, „und wünschte recht sehr, dich mehr nach unten zu placieren; wir sind uns dann auch näher.“

„O, meinetwegen beunruhige dich nicht,“ antwortete Anna, in das Gesicht Dollys blickend und sich bemühend aus ihm herauszulesen, ob die Aussöhnung zustande gekommen sei oder nicht.

„Es wird dir hier zu hell sein,“ versetzte die Schwägerin.

„Ich sage dir, daß ich überall schlafen kann und stets wie ein Murmeltier schnarche.“

„Wovon sprecht ihr denn?“ frug Stefan Arkadjewitsch, aus dem Kabinett hereintretend und sich an seine Frau wendend.

An seinem Tone erkannten Anna und Kity sofort, daß die Aussöhnung zustande gekommen war.

„Ich will Anna tiefer einlogieren, es müssen aber die Gardinen anders gesteckt werden. Niemand versteht dies jedoch richtig zu machen, ich muß es daher selbst thun,“ antwortete Dolly, sich an ihren Gatten wendend.

„Wer weiß ob die schon vollkommen ausgesöhnt sind,“ dachte Anna, als sie den kalten ruhigen Ton der Stimme Dollys vernahm.

„O, es ist genug so, Dolly, mach dir nicht zu viel Umstände,“ sagte Stefan Arkadjewitsch, „wenn du aber willst, so werde ich selbst alles thun.“

„Aha, es muß wohl so sein; sie sind versöhnt,“ dachte Anna.

„Ich weiß schon, wie du alles thust,“ erwiderte Dolly, „du sagst dem Mattwey, er möge thun, was sich gar nicht ausführen läßt, fährst dann fort von hier und er bringt alles durcheinander;“ das gewohnte spöttische Lächeln verzog die Mundwinkel Dollys bei diesen Worten.

„Die Versöhnung ist vollständig, vollständig,“ dachte Anna, „Gott sei gedankt!“ und in der Freude darüber, daß sie die Ursache derselben war, trat sie zu Dolly hin und küßte dieselbe.

„Es ist ganz und gar kein Grund vorhanden, wegen dessen du mich und den Mattwey so über die Achsel ansehen könntest,“ sagte Stefan Arkadjewitsch, mit kaum merkbarem Lächeln sich zu seinem Weibe wendend.

Den ganzen Abend hindurch war Dolly, wie stets, ein wenig zu einem gewissen leichten Spotte gegen ihren Gatten gestimmt, doch dieser selbst befand sich in sehr zufriedener und heiterer Stimmung, gleichwohl aber nicht so weit, daß er damit gezeigt hätte, er habe nach erlangter Verzeihung seinen Fehltritt schon vergessen.

Um halb zehn Uhr abends wurde jedoch die ausnehmend lustige und angenehme Unterhaltung im Familienkreis beim Theetisch der Oblonskiy durch ein dem Anschein nach höchst harmloses Ereignis plötzlich gestört; dieses harmlose Ereignis erschien indessen allen aus einem unbekannten Grunde seltsam.

Als man von den allgemeinen Petersburger Verhältnissen sprach, stand Anna Karenina plötzlich schnell auf.

„Sie befindet sich in meinem Album,“ sagte sie, „und ich werde sogleich auch meinen Sergey zeigen,“ fügte sie mit dem stolzen Lächeln der Mutter hinzu.

Um die zehnte Stunde, wo sie für gewöhnlich von ihrem Söhnchen Abschied nahm und ihn sogar oft selbst, bevor sie etwa auf einen Ball fuhr, zu Bett brachte, befiel sie Traurigkeit darüber, daß sie jetzt so weit von ihm entfernt sei. Wovon man auch sprechen mochte, sie blieb unzugänglich und ihre Gedanken schweiften fortwährend zu ihrem lockigen Sergey zurück. Jetzt wollte sie wenigstens sein Bildnis betrachten und von ihm reden. Unter dem ersten besten Vorwand der sich bot, erhob sie sich und ging mit ihrem elastischen energischen Gang nach dem Album. Die Treppe nach oben führte auf einen kleinen Vorsaal und ging dann als geheizte Zwischentreppe nach ihrem Zimmer.

Gerade zur Zeit, als sie den Salon verließ, wurde im Vorzimmer die Glocke laut.

„Wer mag das sein?“ frug Dolly. „Nach mir wäre es noch zu zeitig, es wird erst später jemand kommen,“ setzte sie bemerkend hinzu.

„Wahrscheinlich ist es ein Beamter mit Akten,“ meinte Stefan Arkadjewitsch. Als Anna an der Treppe vorüberschritt, kam soeben der Diener herauf, um den Ankömmling zu melden; dieser selbst stand aber bereits bei der Hauslampe.

Anna erkannte sofort beim Hinabschauen Wronskiy, und ein seltsames Gefühl der Freude gemischt mit dem des Schmerzes regte sich plötzlich in ihrem Herzen.

Er stand, ohne den Überrock abzulegen und zog etwas aus der Tasche. In diesem Augenblick, als sie soeben die Mitteltreppe erreicht hatte, hob er die Augen, erkannte sie und auf seinen Zügen malte sich ein Ausdruck von Verlegenheit und Erschrecken.

Sie ging, das Haupt leicht geneigt weiter; hinter sich aber vernahm sie die laute Stimme Stefan Arkadjewitschs, der Wronskiy bat, einzutreten, und die halblaute, geschmeidige und ruhige Stimme Wronskiys, welcher ablehnte.

Als Anna mit dem Album zurückkam, war er schon wieder gegangen, und Stefan Arkadjewitsch erzählte, er sei gekommen, um sich bezüglich eines Diners zu erkundigen, welches am folgenden Tage einer anreisenden Standesperson gegeben werden sollte.

„Er wollte um keinen Preis eintreten, und ist überhaupt ein wenig Sonderling,“ äußerte Stefan Arkadjewitsch.

Kity wurde rot; sie dachte daran, daß sie allein wisse, weshalb er gekommen sei und nicht habe eintreten wollen.

„Er wird bei uns gewesen sein,“ dachte sie, „und, mich daselbst nicht antreffend, vermutet haben, daß ich hier sei. Er wird nicht eingetreten sein weil er zu spät sich erinnert hat, daß auch Anna anwesend ist.“

Man blickte sich gegenseitig an, ohne weiter zu sprechen und beschäftigte sich alsdann mit dem Betrachten des Albums.

Es lag zwar nichts Ungewöhnliches oder Besonderes darin, daß jemand zu seinem Freunde kam um halb zehn Uhr abends, um einige Details über ein geplantes Essen einzuholen, dabei aber nicht in das Zimmer trat; indessen gleichwohl erschien dies allen seltsam, und am meisten von allen seltsam und von übeler Vorbedeutung erschien es Anna Karenina.

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