Die literaturgeschichtliche Reihe repräsentiert nach Ėjchenbaum und Šklovskij die „literarische[] Evolution“, die aus der „Dynamik der Gattungen“ hervorgeht, die sich in einem Prozess von Kanonisierung und Entkanonisierung unausgesetzt dialektisch neu erzeugen [vgl. Ėjchenbaum 1965, 47]. Was sich zunächst so phänomenologisch ausnimmt, ist aber im Kern holistisch gemeint: „Uns kommt es darauf an, in der Evolution Anzeichen für eine geschichtliche Gesetzmäßigkeit aufzuspüren“; es geht um „das Problem der Evolution außerhalb der Person, [um] die Bestimmung der Literatur als eines eigentümlichen Sozialphänomens“ [Ėjchenbaum 1965: 48]. Und so greift die neue Literaturwissenschaft doch wieder in das große Ganze der Menschheitsgeschichte aus.
Innerhalb dieser Evolutionsgeschichte literarischer Formen kennt Ėjchenbaum auch ‚Revolutionen‘: „Jede neue Schule in der Literatur ist eine Art Revolution, so etwas wie das Auftreten einer neuen Klasse.“ [Ibid.: 47] In seinem Aufsatz „Die russische Literatur im Jahre 1912“ (von 1923) konkretisiert er das anhand der Überwindung des Symbolismus:
Es galt, das Verhältnis zur poetischen Sprache umzuwälzen, die zu einem toten Dialekt ohne lebendige Entwicklung und lebendige Phantasie degeneriert war. Man mußte entweder eine neue wilde Redeweise erfinden oder aber die überlieferte poetische Sprache von den Fesseln des Symbolismus befreien. Die Frage lautete: Revolution oder Evolution [Ėjchenbaum 1965: 155].
Für die Revolution stehen bekanntlich die Futuristen, für die Evolution die Akmeisten, und beide kämpfen um die Dominanz im literarischen Feld, um eine neue Kanonisierung.
„Revolution oder Evolution“? – Ėjchenbaum nutzt beide Begriffe zur Beschreibung der literaturgeschichtlichen Reihe und unterstellt so beide derselben „geschichtliche[n] Gesetzmäßigkeit“. Gesetzmäßig verlaufende Prozesse kennen aber keine ‚Revolutionen‘ im radikalen Sinne des oben beschriebenen Leerstellenbegriffs, sie kennen keinen Bruch in der gesetzmäßigen Evolution und auch kein Herausfallen aus der Herrschaft des Evolutionsgesetzes. So gesehen depotenziert Ėjchenbaum den ‚Revolutions‘-Begriff erheblich, indem er ihn zu einer Sonderform evolutionärer Entwicklung macht, die sich allein durch ihre radikale Beschleunigung („Schroffe historische Umbrüche“ [Ėjchenbaum 1965: 155]) von anderen unterscheidet. In diesem Sinne ist ‚Revolution‘ nicht das Andere einer als gültig vorausgesetzten Ordnungsstruktur, sondern dessen Teil, eben nur eine besondere Erscheinungsform von Evolution.
Dieser Befund gilt überall, wo der Begriff ‚Revolution‘ unter der Herrschaft eines übergeordneten holistischen Konzepts von Gesetzmä-ßigkeit und Evolution steht. Und das gilt selbst für den Marxismus. In seiner Schrift Das Elend der Philosophie formuliert Marx:
Nur bei einer Ordnung der Dinge, wo es keine Klassen und keinen Klassengegensatz gibt, werden die gesellschaftlichen Evolutionen aufhören, politische Revolutionen zu sein [MEW IV, 182].
Die „Ordnung der Dinge“, die Ordnung des Seins aber ist im Historischen Materialismus nicht nur für das Enden von Revolutionen verantwortlich, sondern auch für deren notwendiges Auftreten in vorkommunistischen Gesellschaftsformationen. ‚Revolution‘ aus historischer Notwendigkeit aber meint den depotenzierten Revolutions-Begriff, meint eben nicht eine Leerstelle im universalen Deutungsentwurf der Geschichte, sondern im Gegenteil eine Sondererscheinung der historischen Evolution, die sich nur durch Radikalität und Tempo unterscheidet.
Fragen wir abschließend nochmals: Revolution oder Evolution? Welcher Begriff ist für uns ach so Moderne der relevantere? Ich meine, wir haben einen Sieger nach Punkten: Zwar bekennen wir uns, dekonstruktionsfreudig wie wir sind, konsequent zu metaphysikfreien Leerstellenbegriffen wie ‚Revolution‘, doch mögen wir in dieser geistigen Leere, Kälte und Einsamkeit nicht leben und finden keine verbildlichte Orientierung, weder für unser Denken noch für unser Handeln. Wir mögen übrigens so auch nicht unsere eigene Wissenschaft betreiben. Deshalb greifen wir begierig nach solchen Konzepten, die alte metaphysische Sinnzuweisungen in modernem Design reformulieren – und der ‚Evolutions‘-Begriff hat Konjunktur!
Beverley 1696 – Beverley, Thomas: A scheme of prophesy now to be fulfilled: or; A most humble appeal to the Lord God of the holy prophets, concerning the truth of what, hath been constantly declared, by the space of the last past twelve, and now this present thirteenth summer, of the kingdom of Christ entring into its succession in this following year, 1697. Together with a scheme of the great changes to be expected this present year, or in the very beginning of 1697, in preparation thereunto; and of the glorious revolution that shall be before the end of that year by that kingdom so entring its succession. [London: s.n. 1696].
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