Читать книгу «Mephisto / Мефистофель. Книга для чтения на немецком языке» онлайн полностью📖 — Клауса Манна — MyBook.

Dass ein Mann dieses Namens und dieses Berufes ihr Vater gewesen war, schien festzustehen oder wurde doch von niemandem bestritten. Übrigens war Martens seit Jahren tot. Der arbeitsreiche Aufenthalt im Inneren Afrikas war ihm nicht bekommen. Geschwächt vom Malariafieber, das Herz ruiniert von Chininspritzen und von alkoholischen Exzessen, war er nach Hamburg zurückgekehrt, um dort, eilig und ohne viel Aufsehen zu erregen, zu sterben. Das Negermädchen, das seine Geliebte gewesen war, ließ er am Kongo; ebenso das dunkelhäutige kleine Geschöpf, dessen Vater er sein mochte. Die Nachricht vom Tode des Ingenieurs drang nicht bis nach Afrika. Nach geraumer Zeit verlor Juliette auch noch die Mutter; nun machte sie sich auf in das sehr ferne, sicherlich sehr wundervolle Deutschland. Sie hoffte, dort von der väterlichen Liebe lanciert zu werden. Indessen konnte man ihr nicht einmal das Grab des Ingenieurs zeigen; die Gebeine ihres armen Vaters waren verlorengegangen wie sein Andenken.

Ein Glück für die junge Juliette, dass sie leidlich Steptanzen konnte: sie hatte es noch bei den Ihren gelernt. So gelang es ihr, bald eine Anstellung in einem der besten Etablissements von St. Pauli zu finden. Dort hätte sie sich sicherlich halten können, und vielleicht wäre der gescheiten und energischen Person ein ehrenvoller Aufstieg beschieden gewesen – hätten nur ihr heftiges Temperament und eine unbeherrschbare Neigung für starke Getränke ihr nicht den allerfatalsten Strich durch die Rechnung gemacht. Sie liebte es und konnte es gar nicht lassen, mit der Reitpeitsche auf diejenigen ihrer Bekannten und Kollegen loszugehen, mit denen sie gerade nicht in allen Stücken der gleichen Meinung oder Stimmung war: eine Angewohnheit, über die man in St.-Pauli-Kreisen sich zunächst wie über eine humoristische und niedliche Nuance ergötzte, die aber auf die Dauer gar zu originell und übrigens einfach störend wurde.

Juliette bekam ihre Entlassung und erlebte nun, in unbesorgt geschwindem Tempo, das, was man gemeinhin „von Stufe zu Stufe sinken“ nennt; das heißt: sie musste ihre Tanzkünste in immer kleineren, immer übler beleumundeten Lokalen zeigen. Ihre Einnahmen aus solcher Tätigkeit wurden nach und nach so gering, dass sie sich bald gezwungen sah, ihnen durch Nebenverdienste aufzuhelfen. Welche Beschäftigung kam in Frage, wenn nicht die des abendlichen Spaziergangs auf der Reeperbahn[30] und in den benachbarten Gassen? Ihr schöner, dunkler Körper, den sie in aufrechtem, stolzem, ja fast hochmütigem Gang über das Trottoir bewegte, war wahrhaftig nicht das schlechteste Stück von diesem ungeheuren Ausverkauf der Leiber, der sich hier allnächtlich den durchreisenden Matrosen und den armen wie den ehrenwerten Männern der Stadt Hamburg bot.

Der Schauspieler Höfgen übrigens hatte die Bekanntschaft seiner Schwarzen Venus keineswegs auf dem Strich gemacht; vielmehr in der engen, vom Tabaksqualm und vom Lärm besoffener Schiffer erfüllten Kneipe, wo sie, für eine Abendgage von drei Mark, ihre dunklen, glatten Glieder und ihre kunstvoll klappernden Steps zur Schau stellte. Auf dem Programm des finsteren Kabaretts war die schwarze Tänzerin Juliette Martens als „Prinzessin Tebab“ angezeigt – ein Name, den sie nur als Künstlerin führen durfte, auf den sie aber auch im zivilen Leben Anspruch zu haben behauptete. Durfte man ihren Angaben Glauben schenken, so war ihre verstorbene Mutter, die verlassene Geliebte des Hamburger Ingenieurs, von rein fürstlichem Blute gewesen: Tochter eines veritablen, unermesslich reichen, großmütigen und leider in relativ zartem Alter von seinen Feinden verspeisten Negerkönigs. Was Hendrik Höfgen betrifft, so war er weniger von ihrem Titel beeindruckt gewesen – obwohl auch dieser ihm ganz außerordentlich gefallen hatte – als vielmehr von ihren beweglichen grausamen Augen und von den Muskeln ihrer schokoladenfarbenen Beine. Nachdem die Nummer der Prinzessin Tebab beendet gewesen war, hatte er sich in der Garderobe der Künstlerin melden lassen, um ihr seinen – zunächst vielleicht etwas überraschend klingenden – Wunsch vorzutragen: nämlich den, Tanzstunden bei ihr zu nehmen. „Heute muss ein Schauspieler trainiert sein wie ein Akrobat“, hatte Höfgen erklärend hinzugefügt; aber die Prinzessin schien nicht sehr begierig auf seine Erläuterungen. Ohne sich lang zu verwundern, hatte sie den Preis pro Stunde und das erste Rendezvous verabredet.

So war die Beziehung zwischen Hendrik Höfgen und Juliette Martens entstanden. Das dunkle Mädchen war die „Lehrerin“ – also die Herrin; vor ihr stand der bleiche Mann als der „Schüler“ – als der Gehorchende, Sich-Erniedrigende, der die häufige Strafe mit der gleichen Demut empfängt wie das seltene, karge Lob.

„Blicke mich an!“ verlangte Prinzessin Tebab und rollte schrecklich die Augen, während die seinen, zugleich begehrend und furchtsam, an ihrer gebieterischen Miene hingen.

„Wie schön du heute bist!“ brachte er schließlich hervor, wobei ihm die Lippen nur mühsam zu gehorchen schienen.

Sie fuhr ihn an: „Lass den Unsinn! Ich bin nicht schöner als sonst.“ Dabei strich sie sich aber doch eitel über den Busen und zupfte ihr enges, plissiertes Röckchen zurecht, das kurz oberhalb der Knie endete. Vom schwarzen Seidenstrumpf war nur ein knappes Stück sichtbar; denn die grünen Schaftstiefel aus geschmeidigem Lackleder reichten bis über die Waden. Zu den prächtigen Stiefeln und dem kurzen Rock trug die Prinzessin ein graues Pelzjäckchen, dessen Kragen im Nacken hochgeschlagen war. An den dunklen, sehnigen Handgelenken klirrten breite Armbänder aus gemeinem Goldblech. Das eleganteste Stück ihrer Ausstattung war die Reitpeitsche – ein Geschenk Hendriks. Sie war leuchtend rot, aus geflochtenem Leder. Juliette klopfte mit ihr, in einem kurzen, harten und drohenden Rhythmus, gegen die grünen Schaftstiefel.

„Du bist wieder eine Viertelstunde zu spät“, sagte sie, nach einer langen Pause, die niedrige und zu zwei kleinen Buckeln gewölbte Stirne in böse Falten gelegt. „Wie oft soll ich dich noch warnen, mein Süßer?“ fragte sie tückisch leise, um dann in unvermitteltem Zorne loszubrechen: „Es ist genug!! Ich habe es satt!! Gib mir deine Pfoten!“

Hendrik hob langsam die beiden Hände, deren Innenflächen er nach oben wandte. Dabei ließ er seine hypnotisierten, aufgerissenen Augen nicht von der ergrimmten, schauerlichen Fratze der Geliebten.

Sie zählte mit einer grellen, plärrenden Stimme: „Eins, zwei, drei!“, während sie zuhieb. Das Geflecht der eleganten Peitsche pfiff grausam quer über seine Handllächen, auf denen sofort dicke rote Striemen entstanden. Der Schmerz, den er empfand, war so heftig, dass er ihm das Wasser in die Augen trieb. Er verzog den Mund; beim ersten Schlag schrie er leise; dann beherrschte er sich und stand mit einem starren, weißen Gesicht.

„Für den Anfang hast du genug“, sagte sie und zeigte plötzlich ein müdes Lächeln, welches durchaus gegen die Spielregeln ging: es hatte nichts fratzenhaft Grausames, sondern enthielt gutmütigen Spott und ein wenig Mitleid. Sie ließ die Peitsche sinken, wandte den Kopf und stand – das Gesicht im Profil – in einer schönen, traurigen Haltung. „Zieh dich um!“ sagte sie leise. „Wir wollen arbeiten.“

Es gab keinen Paravent, hinter dem er hätte verschwinden können, als er die Kleidung wechselte. Unter halbgesenkten Lidern, mit einem übrigens völlig uninteressierten Blick, beobachtete Juliette jede seiner Bewegungen. Er musste alles ablegen und ihr seinen hellen, schon etwas zu fetten, rötlich behaarten Körper zeigen, ehe er in den ärmellosen, blau und weiß gestreiften Sweater und in das schwarze Turnhöschen schlüpfte. Schließlich stand er vor ihr in der unwürdigen Tracht, die er seinen „Trainingsanzug“ nannte – in der kindischen und ridikülen Aufmachung, bestehend aus schwarzen, ausgeschnittenen Halbschuhen mit weißen Söckchen, die oberhalb der Knöchel kokett umgerollt waren; aus dem kurzen Höschen von glänzend schwarzem Satin – wie die kleinen Buben es in der Turnstunde tragen – und dem gestreiften Hemd, das Hals und Arme entblößt ließ.

Sie musterte ihn, kritisch und kalt. „Du bist seit voriger Woche noch etwas dicker geworden, mein Süßer“, konstatierte sie, wobei sie mit der Peitsche höhnisch gegen ihre grünen Stiefel klopfte. „Entschuldige“, bat er leise.

Die Schwarze machte sich am Grammophon zu schaffen. In die Jazzmusik hinein, deren rhythmischer Lärm plötzlich einsetzte, sagte sie rauh: „Fang schon an!“ Dabei fletschte sie die beiden Reihen ihrer gar zu weißen Zähne und bewegte grimmig die Augen: Dies genau war das Mienenspiel, das er jetzt von ihr erwartete und verlangte.

Ihr Gesicht stand vor ihm wie die schreckliche Maske eines fremden Gottes: Dieser thront mitten im Urwald, an verborgener Stelle, und was er fordert mit seinem Zähneblecken und Augenrollen, das sind Menschenopfer. Man bringt sie ihm, zu seinen Füßen spritzt Blut, er schnuppert mit der eingedrückten Nase den süß vertrauten Geruch, und er wiegt ein wenig den majestätischen Oberkörper nach dem Rhythmus des wild bewegten Tamtams; Um ihn vollführen seine Untertanen den verzückten Freudentanz. Sie schleudern die Arme und Beine, sie hüpfen, schaukeln sich, taumeln; aus ihrem Gebrüll wird Wonnegestöhn, aus dem Gestöhn wird ein Keuchen, und schon sinken sie hin, lassen sich lallen vor die Füße des schwarzen Gottes, den sie lieben, den sie ganz bewundern – wie Menschen nur den lieben und ganz bewundern können, dem sie das Kostbarste geopfert haben: Blut.

Hendrik hatte langsam zu tanzen begonnen. Aber wohin war die triumphale Leichtigkeit, die von Publikum und Kollegen an ihm bewundert wurde? Sie war verschwunden; nur unter Qualen schien er jetzt die Füße zu setzen – freilich unter Qualen, die auch Wonnen waren: dies verrieten das selbstvergessene Lächeln der fahlen, aufeinandergepressten Lippen und der benommene Blick.

Juliette ihrerseits dachte nicht daran, zu tanzen; sie ließ den Schüler sich alleine plagen. Nur durch Händeklatschen, rauhe Schreie und rhythmisches Schaukeln des Leibes feuerte sie ihn an. „Schneller, schneller!“ forderte sie wütend. „Was hast du denn in den Knochen? Und du willst ein Mann sein?! Du willst ein Schauspieler sein und dich auch noch für Geld sehen lassen? – Da, du komisches Stückchen Elend…“

Die Peitsche fuhr ihm über die Waden und über die Arme. Diesmal traten ihm keine Tränen in die Augen, welche trocken und glühend blieben. Nur seine zusammengepressten Lippen zitterten. Prinzessin Tebab schlug noch einmal zu.

Er arbeitete, ohne jede Unterbrechung, eine halbe Stunde lang, als handelte es sich um ein ernsthaftes Training anstatt um eine etwas schauerliche Lustbarkeit. Schließlich keuchte er heftig. Er taumelte. Sein Gesicht war schweißbedeckt. Mühsam brachte er hervor: „Mir ist schwindlig. Darf ich aufhören…?“

Sie erwiderte, mit einem Blick auf die Uhr, kurz und sachlich: „Mindestens noch eine Viertelstunde musst du springen.“

Da die Musik wieder plärrte und Juliette wieder frenetisch in die Hände klatschte, versuchte er noch einmal den komplizierten Step. Aber die gequälten Füße, in ihren koketten Halbschuhen und Söckchen, verweigerten ihm den Dienst. Hendrik schwankte eine Sekunde lang; stand darin still; wischte sich mit der zitternden Hand den Schweiß von der Stirne.

„Was machst du für Scherze?“ grollte sie. „Du hörst auf, ohne meine Erlaubnis?! Das wäre ja das Allerneueste und noch das Schönere!“

Sie zielte mit der roten Peitsche nach seinem Gesicht; er duckte sich noch rechtzeitig, um diesem fürchterlichen Schlage zu entgehen. Abends ins Theater kommen mit einer blutigen Strieme von der Stirn bis zum Kinn: das wäre denn doch etwas zuviel gewesen. Trotz der benommenen Stimmung, in der er sich befand, blieb ihm klar, dass er sich dergleichen keinesfalls leisten durfte. „Lass das!“ sagte er kurz. Während er sich schon von ihr abwendete, fügte er noch hinzu: „Genug für heute.“

Sie verstand, dass dies kein Spaß mehr war. Ohne etwas zu antworten, mit einem erleichterten kleinen Seufzer, schaute sie ihm zu, wie er in seinen üppig gefütterten, rotseidenen, übrigens an mehreren Stellen zerrissenen Schlafrock schlüpfte und sich auf dem Ruhebett niederließ.

Das Sofa, welches man für die Nacht als Bett herrichten konnte, war tagsüber bedeckt mit Tüchern und bunten Kissen. Neben dem Kanapee[31] stand die Lampe auf dem runden, niedrigen Rauchtisch.

„Mach das grelle Licht aus!“ bat Hendrik mit der singenden, wehleidigmelodischen Stimme. „Und komme zu mir, Juliette!“

Durch das rosige Halbdunkel schritt sie auf ihn zu. Als sie neben ihm stehenblieb, seufzte er leise: „Wie gut!“

„Hat es dir Spaß gemacht?“ fragte sie ziemlich trocken. Sie hatte sich eine Zigarette angezündet und reichte auch ihm Feuer; er benutzte zum Rauchen die lange, ordinäre Zigarettenspitze, das Geschenk der Rahel Mohrenwitz. „Ich bin völlig erledigt“, sagte er. Daraufhin verzog sie ihren gewaltigen Mund zu einem gutmütigen und verständnisvollen Lächeln. „Das ist recht“, sagte sie, wobei sie sich über ihn beugte.

Er hatte seine breiten, bleichen, rötlich behaarten Hände auf ihre edlen, von schwarzer Seide überglänzten Knie gelegt. Träumerisch sprach er: „Wie hässlich meine gemeinen Hände auf deinen herrlichen Beinen aussehen, Geliebte!“

„An dir ist alles hässlich, mein Schweinchen – Kopf, Füße, Hände, und alles!“ versicherte sie ihm mit einer knurrenden Zärtlichkeit.

Sie ließ sich neben ihn hingleiten. Das graue Pelzjäckchen hatte sie abgelegt; darunter trug sie eine knappe, hemdartige Bluse aus einem stark glänzenden, rot und schwarz karierten Seidenstoff.

„Ich werde dich immer lieben“, sagte er erschöpft. „Du bist stark. Du bist rein.“

Dabei schaute er, unter gesenkten Lidern, auf ihre harten und spitzen Brüste, die sich unter dem eng anliegenden, dünnen Gewebe deutlich abhoben.

„Ach, das sagst du nur so“, meinte sie ernst und ein wenig verächtlich. „Das bildest du dir nur ein. Manche Leute haben das – dass sie sich immer so was einbilden müssen. Sonst fühlen sie sich nicht wohl.“

Er tastete mit seinen Fingern nach ihren hohen und geschmeidigen Stiefeln. „Aber ich weiß doch, dass ich dich immer lieben werde“, flüsterte er, nun mit geschlossenen Augen. „Nie wieder finde ich eine Frau wie dich. Du bist die Frau meines Lebens, Prinzessin Tebab.“ Sie wiegte misstrauisch ihr dunkles, ernstes Gesicht über seinem weißen, ermüdeten. „Und dabei darf ich nicht einmal ins Theater gehen, wenn du spielst“, sagte sie unzufrieden.

Er hauchte: „Trotzdem spiele ich nur für dich – nur für dich, meine Juliette. Ich hole bei dir meine Kraft.“

„Aber ich lasse mir’s nicht verbieten“, sagte sie trotzig. „Ich gehe ins Theater, ob du es mir erlaubst oder nicht. Nächstens einmal sitze ich im Parkett, und dann lache ich laut, wenn du auf die Bühne kommst, mein Affe.“

Er sagte hastig: „Mach keine Witze!“ Dabei hatte er erschreckt die Augen geöffnet und sich halb aufgerichtet. Der Anblick seiner Schwarzen Venus schien ihn wieder zu beruhigen. Er lächelte, und nun begann er sogar zu rezitieren.

„Vienstu du ciel profond ou sorstu de l’abîme – o Beauté?“[32]

„Was ist denn das für ein Quatsch?“ fragte sie ungeduldig.

„Das ist aus diesem herrlichen Buch da“, erklärte er ihr, und deutete auf eine gelb broschierte französische Edition, die neben der Lampe auf dem Rauchtisch lag – es waren „Les Fleurs du Mal“ von Baudelaire.

„Das verstehe ich nicht“, sagte Juliette verdrossen. Er aber ließ sich nicht stören in seiner Ekstase, sondern fuhr fort:

 
„Tu marches sur des morts, Beauté, dont tu temoques;
De tes bijoux l’Horreur n’est pas le moins charmant,
El le Meurtre, parmi l es plus chères breloques,
Sur ton ventre orgueilleux danse amoureusement.“[33]
 

„Wie magst du nur so blöd lügen“, sagte sie und berührte mit ihrem dunklen und schlanken Finger seinen redenden Mund.

Er aber sprach weiter, immer mit demselben, melancholisch singenden Ton: „Du erzählst mir nie davon, wie du früher gelebt hast, Prinzessin Tebab. Ich meine: in deinem Erdteil…“

„Ich kann mich an nichts mehr erinnern“, sagte sie kurz. Dann küsste sie ihn – vielleicht nur, um ihn daran zu hindern, noch länger indiskrete und poetische Fragen zu stellen: ihr weit geöffneter, tierischer Mund mit den dunklen, rissigen Lippen und der blutroten Zunge näherte sich langsam seinem gierigen, fahlen Mund.

Sowie sie ihr Gesicht wieder von dem seinen erhoben hatte, redete er weiter. „Ich weiß nicht, ob du mich vorhin verstanden hast, als ich sagte, dass ich nur für dich und nur durch dich spiele.“ Während er so weich und träumerisch sprach, führte sie ihre geübten Finger durch sein schütteres Seidenhaar, auf dessen Fahlheit die Lampe ein wenig Goldglanz zauberte. Sie behandelte sein feines Haar auf eine nicht eigentlich zärtliche, sondern auf eine ernste und sachliche Art, als wollte sie es frisieren. „Ich habe es ganz wörtlich gemeint“, fuhr er fort. „Wenn ich den Leuten ein bisschen gefalle, wenn ich Erfolg habe – dir verdanke ich ihn. Dich zu sehen, dich zu berühren, Prinzessin Tebab: das ist wie eine Wunderkur für mich… etwas Herrliches, eine Erfrischung ganz ohnegleichen…“

„Ach, wenn du nur immer schwatzen und lügen kannst“, sagte sie mütterlich. „Du bist doch der drolligste kleine Dreckhaufen, dem ich jemals begegnet bin.“ Sie hatte, um ihn nur zum Schweigen zu bringen, ihre beiden Hände auf sein Gesicht gelegt; die breiten Armbänder klirrten an seinem Kinn; auf seinen Wangen ruhten die hellen Innenflächen ihrer Hände. Da endlich verstummte er. Er rückte seinen Kopf auf dem Kissen zurecht, als wollte er einschlafen. Gleichzeitig schlang er mit einer hilfesuchenden Gebärde seine beiden Arme um das schwarze Mädchen. Während sie ganz still in seiner Umarmung hielt, ließ sie die Hände auf seinem Gesicht liegen, als müsste sie ihn davor bewahren, das zärtlichhöhnische Lächeln zu sehen, mit dem sie jetzt auf ihn niederblickte.