Читать книгу «Mephisto / Мефистофель. Книга для чтения на немецком языке» онлайн полностью📖 — Клауса Манна — MyBook.
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Eine Bewegung ging durch den Saal, es gab ein hörbares Rauschen: Der Propagandaminister war eingetreten. Man hatte ihn heute abend nicht hier erwartet, alle wussten um seine gespannte Beziehung zu dem fetten Geburtstagskind – das sich übrigens seinerseits noch immer verborgen hielt, um aus seinem Entree dann den ganz großen Clou zu machen.

Der Propagandaminister – Herr über das geistige Leben eines Millionenvolkes – humpelte behende durch die glänzende Menge, die sich vor ihm verneigte. Eine eisige Luft schien zu wehen, wo er vorbeiging. Es war, als sei eine böse, gefährliche, einsame und grausame Gottheit herniedergestiegen in den ordinären Trubel genusssüchtiger, feiger und erbärmlicher Sterblicher. Einige Sekunden lang war die ganze Gesellschaft wie gelähmt von Entsetzen. Die Tanzenden erstarrten mitten in ihrer anmutigen Pose, und ihr scheuer Blick hing, zugleich demütig und hassvoll, an dem gefürchteten Zwerg. Der versuchte durch ein charmantes Lächeln, welches seinen mageren, scharfen Mund bis zu den Ohren hinaufzerrte, die schauerliche Wirkung, die von ihm ausging, ein wenig zu mildern; er gab sich Mühe, zu bezaubern, zu versöhnen und seine tiefliegenden, schlauen Augen freundlich blicken zu lassen. Seinen Klumpfuß graziös hinter sich her ziehend, eilte er gewandt durch den Festsaal und zeigte dieser Gesellschaft von zweitausend Sklaven, Mitläufern, Betrügern, Betrogenen und Narren sein falschbedeutendes Raubvogelprofil. An den Gruppen von Millionären, Botschaftern, Divisionskommandanten und Filmstars huschte er, tückisch lächelnd, vorüber. Es war der Intendant Hendrik Höfgen, Staatsrat und Senator, bei welchem er stehenblieb.

Noch eine Sensation! Intendant Höfgen gehörte zu den deklarierten Favoriten des Minis-terpräsidenten und Fliegergenerals, der seine Berufung an die Spitze der Staatstheater durchgesetzt hatte gegen den Willen des Propaganda-ministers. Dieser war, nach einem langen und heftigen Kampf, dazu gezwungen worden, seinen eigenen Protegé, den Dichter Cäsar von Muck, zu opfern und auf Reisen zu schicken. Nun aber ehrte er demonstrativ das Geschöpf seines Feindes durch seine Begrüßung und durch sein Gespräch. Wollte der schlaue Meister der Propaganda auf solche Weise vor der internationalen Elitegesellschaft bekunden, dass es Unstimmigkeiten und Ränke zwischen den Spitzen des deutschen Regimes gar nicht gebe und dass die Eifersucht zwischen ihm, dem Reklamechef, und dem Fliegergeneral ins hässliche Gebiet der Greuelmärchen gehöre? Oder war Hendrik Höfgen – eine der meistbesprochenen Figuren der Hauptstadt – seinerseits so unermesslich schlau, dass er es fertigbrachte, zum Propagandaminister ebenso intime Beziehungen zu unterhalten wie zum Fliegergeneral – Ministerpräsidenten? Spielte er den einen Machthaber gegen den anderen aus, ließ sich von den beiden großen Konkurrenten protegieren? Seiner legendären Geschicklichkeit wäre es zuzutrauen…

Das war ja alles ungeheuer interessant! Pierre Larue ließ den Exkönig von Bulgarien einfach stehen und trippelte durch den Saal – von seiner Neugierde dahingeweht wie eine Feder vom Winde —, um dieses sensationelle Renkontre[10] aus der nächsten Nähe mit anzuschauen, Cäsar von Mucks stählerne Augen kniffen sich misstrauisch zusammen, die Millionärin aus Köln stöhnte wollüstig vor lauter Angeregtheit und Freude an der erhabenen Situation; während Frau Bella Höfgen, die Mutter des großen Mannes, allen, die in ihrer Nähe standen, gnädig und gleichsam ermunternd zulächelte, als wollte sie ihnen bedeuten: Mein Hendrik ist groß, und ich bin seine distinguierte Mutter. Trotzdem braucht ihr nun nicht gleich in die Knie zu sinken. Er und ich, wir sind auch nur von Fleisch und Blut, wenngleich sonst ausgezeichnet vor den übrigen Menschen.

„Wie geht es Ihnen, mein lieber Höfgen?“ fragte der Propagandaminister anmutig lächelnd den Intendanten. Auch der Intendant lächelte, aber nicht gleich bis zu den Ohren hinauf, sondern mit einer Vornehmheit, die fast schmerzlich wirkte. „Ich danke Ihnen, Herr Minister!“ Er sprach leise, etwas singenden Tones, dabei äußerst akzentuiert. Der Minister hatte seine Hand noch immer nicht losgelassen. „Darf ich mich nach dem Befinden Ihrer Frau Gemahlin erkundigen“, sagte der Intendant, und nun musste sein hoher Gesprächspartner endlich ein ernstes Gesicht machen. „Sie ist heute abend ein wenig unpässlich.“ Dabei ließ er die Hand des Senators und Staatsrats los. Dieser sagte wehmütig: „Wie leid mir das tut.“

Natürlich wusste er – was allen hier im Saale bekannt war —, dass die Frau des Propagandaministers völlig verzehrt und innerlich verwüstet war von Eifersucht auf die Gattin des Ministerpräsidenten. Da der Diktator selber unverehelicht blieb, war das angetraute Weib des Reklamechefs die Erste Dame im Reiche gewesen, und sie hatte diese ihre gottgewollte Funktion mit Anstand und Würde erfüllt, ihr Todfeind konnte es nicht bestreiten.

Dann aber kam diese Lotte Lindenthal daher, eine mittlere Schauspielerin – jung war sie auch nicht mehr —, und ließ sich heiraten von dem prachtliebenden Dicken. Die Frau des Propagandaministers litt unbeschreiblich. Man machte ihr den Rang der Ersten Dame streitig! Eine andere drängte sich vor! Mit einer Komödiantin ward ein Kult getrieben, als ob die Königin Luise[11] auferstanden wäre! Immer wenn es eine Veranstaltung zu Lottes Ehren gab, ärgerte sich Frau Reklamechef so ungeheuer, dass sie Migräne bekam. Auch heute abend war sie im Bett geblieben.

„Gewiss hätte sich Ihre Frau Gemahlin hier sehr gut unterhalten.“ Höfgen machte immer noch die feierliche Miene. In seinen Worten war von Ironie keine Spur zu finden. „Zu schade, dass der Führer absagen musste. Auch der englische und der französische Botschafter sind verhindert.“

Mit diesen Feststellungen, die er in sanftestem Tone vorbrachte, verriet Höfgen seinen eigentlichen Freund und Gönner – den Ministerpräsidenten, dem er all seinen Glanz zu danken hatte – an den eifersüchtigen Propagandaminister. Diesen aber hielt er sich für alle Fälle in der Reserve.

Der gewandte Klumpfuß fragte vertraulich, nicht ohne Hohn: „Und wie ist hier die Stimmung?“

Der Intendant der Staatstheater sagte zurückhaltend: „Man scheint sich zu amüsieren.“

Die beiden Würdenträger führten ihre Unterhaltung leise; denn um sie drängten sich Neugierige, auch mehrere Fotografen waren herbeigekommen. Die Kanonenfabrikantin flüsterte eben Pierre Larue zu, der in Verzückung die bleichen Knochenhändchen über der Brust gegeneinander rieb: „Unser Intendant und der Minister – sind sie nicht ein herrliches Paar? Beide so bedeutend! Beide so schön!“ Sie drängte ihren üppigen, geschmückten Leib nahe an das gebrechliche Körperchen des Kleinen. Der zarte gallische Liebhaber des germanischen Heroismus, der strammen Jünglinge, des Führergedankens und der hohen Adelsnamen fürchtete sich vor der atmenden Nähe soviel weiblichen Fleisches. Er versuchte, sich ein wenig zurückzuziehen, während er zirpte: „Exquisit! Ganz charmant! Unvergleichlich!“ Die Rheinländerin beteuerte: „Unser Höfgen – das ist ein ganzer Mann, sage ich Ihnen! Ein Genie, so etwas gibt es weder in Paris noch in Hollywood! Und so urdeutsch, so gerade, einfach und ehrlich! Ich habe ihn ja schon gekannt, als er noch so klein gewesen ist.“ Mit der vorgestreckten Hand deutete sie an, wie klein Hendrik gewesen war, als sie, die Millionärin, seine Mutter auf den Kölner Wohltätigkeitsveranstaltungen konsequent geschnitten hatte. „Ein herrlicher Junge!“ sagte sie noch und bekam so sinnliche Augen, dass Larue panisch die Flucht ergriff.

Man hätte Hendrik Höfgen für einen Mann von etwa fünfzig Jahren gehalten; er war aber erst neununddreißig – ungeheuer jung für seinen hohen Posten. Seine fahle Miene mit der Hornbrille zeigte jene steinerne Ruhe, zu der sich sehr nervöse und sehr eitle Menschen zwingen können, wenn sie sich von vielen Leuten beobachtet wissen. Sein kahler Schädel hatte edle Form. Im aufgeschwemmten, grauweißen Gesicht fiel der überanstrengte, empfindliche und leidende Zug auf, der von den hochgezogenen blonden Brauen zu den vertieften Schläfen lief; außerdem die markante Bildung des starken Kinns, das er auf stolze Art hochgereckt trug, so dass die vornehm schöne Linie zwischen Ohr und Kinn kühn und herrisch betont ward. Auf seinen breiten und blassen Lippen lag ein erfrorenes, vieldeutiges, zugleich höhnisches und um Mitleid werbendes Lächeln. Hinter den großen, spiegelnden Brillengläsern wurden seine Augen nur zuweilen sichtbar und wirksam: Dann erkannte man, nicht ohne Schrecken, dass sie, bei aller Weichheit, eiskalt, bei aller Melancholie sehr grausam waren. Diese grüngrau schillernden Augen ließen an Edelsteine denken, die kostbar sind, aber Unglück bringen; gleichzeitig an die gierigen Augen eines bösen und gefährlichen Fisches. – Alle Damen und die meisten Herren fanden, dass Hendrik Höfgen nicht nur ein bedeutender und höchst geschickter, sondern auch ein bemerkenswert schöner Mann sei. Seine zusammengenommene, vor lauter bewusster und berechneter Anmut fast steife Haltung und sein kostbarer Frack ließen es übersehen, dass er entschieden zu fett war, vor allem in der Hüftengegend und am Hinterteil.

„Ich muss Ihnen übrigens zu Ihrem Hamlet gratulieren, mein Lieber“, sprach der Propagandaminister. „Eine famose Leistung. Die deutsche Bühne kann stolz auf sie sein.“

Höfgen neigte ein wenig das Haupt, indem er das schöne Kinn etwas nach unten drückte: Oberhalb des hohen, blendenden Kragens entstanden zahlreiche Falten am Hals. „Wer vor dem Hamlet versagt, verdient den Namen eines Schauspielers nicht.“ Seine Stimme klagte vor Bescheidenheit. Der Minister konnte eben noch konstatieren: „Sie haben die Tragödie ganz gefühlt“ – da ging ein ungeheurer Aufruhr durch den Saal.

Der Fliegergeneral und seine Gattin, die gewesene Aktrice Lotte Lindenthal, waren durch die große Mitteltüre eingetreten: Brausendes Beifallsklatschen und dröhnender Zuruf begrüßten sie. Durch ein Spalier von Menschen, aus dem Jubel stieg, schritt das erlauchte Paar. Kein Kaiser hatte jemals schöneren Einzug gehalten. Der Enthusiasmus schien ungeheuer: Jeder von den zweitausend auserlesen feinen Menschen wollte sich, den anderen und dem Ministerpräsidenten durch möglichst lautes Geschrei und Händeklatschen beweisen, einen wie glühenden Anteil er am dreiundvierzigsten Geburtstag des Hohen Herrn im besonderen und am Nationalen Staate im allgemeinen nahm. Man brüllte: „Hoch!“, „Heil!“ und: „Wir gratulieren!“ Man warf Blumen, die von Frau Lotte mit würdevoller Grazie empfangen wurden. Die Kapelle spielte großen Tusch. Der Propagandaminister bekam ein hassverzerrtes Gesicht; aber darauf achtete niemand, außer vielleicht Hendrik Höfgen. Dieser stand unbeweglich: Er erwartete seinen Gönner in zusammengenommener, anmutig steifer Haltung.

Man hatte Wetten darüber abgeschlossen, in welcher Phantasieuniform der Dicke heute abend erscheinen würde. Es war eine asketische Koketterie von ihm, nun die Gesellschaft durch den allerschlichtesten Aufzug zu verblüffen. Die flaschengrüne Litewka, die er trug, wirkte fast wie eine streng geschnittene Hausjacke. Auf der Brust blitzte ihm nur ein ganz kleiner silberner Ordensstern. In den grauen Hosen wirkten seine Beine – die er sonst gerne unter langen Mänteln verbarg – besonders umfangreich: es waren Säulen, auf denen er sich langsam dahinbewegte. Die kolossalische Größe und Breite seiner monströsen Figur waren geeignet, Schrecken und Ehrfurcht um sich zu verbreiten – zumal kein Anlass bestand, irgend etwas an ihm komisch zu finden: Dem Kühnsten verging das Lachen, wenn er erwog, wieviel Blut schon auf den Wink des Speck-und-Fleisch-Riesen geflossen war und wie unermesslich viel Blut vielleicht noch strömen würde zu seinen Ehren. Auf dem kurzen, wulstigen Hals erschien sein massives Haupt wie übergossen von dem roten Safte: das Haupt eines Cäsars[12], von dem man die Haut abgezogen hat. An diesem Gesicht war nichts Menschliches mehr: Es war aus rohem, umgeformtem Fleische ein Klotz.

Der Ministerpräsident schob seinen Bauch, dessen enorme Wölbung in die der Brust überging, majestätisch durch die strahlende Versammlung. Der Ministerpräsident grinste.

Sein Weib Lotte grinste nicht, sondern verschenkte Lächeln, eine Königin Luise in jedem Zoll. Auch ihre Robe, deren Kostbarkeit den Gesprächsstoff der Damen gebildet hatte, war einfach bei allem Pomp: glatt fließend, aus einem schimmernden Silbergewebe, endend in einer königlich langen Schleppe. Das Brillantendiadem aber in der ährenblonden Frisur, die Perlen und Smaragde auf dem Busen übertrafen an Gewicht und Strahlenglanz alles, was es sonst noch zu bewundern gab in dieser üppigen Runde. Das riesenhafte Geschmeide der Provinzschauspielerin repräsentierte Millionenwerte: Sie verdankte es der Galanterie eines Gatten, der gerne die Prunksucht und Korrumpiertheit republikanischer Minister und Bürgermeister in öffentlicher Rede geißelte, und der Treue einiger wohlsituierter und bevorzugter Untertanen. Sie galt als uneigennützig, unantastbar rein. Sie war zur Idealgestalt geworden unter den deutschen Frauen. Sie hatte große, runde, etwas hervortretende Kuhaugen von einem feuchtstrahlenden Blau; schönes blondes Haar und einen schneeweißen Busen. Übrigens war auch sie schon ein wenig zu dick – man speiste gut und reichlich im Präsidentenpalais. Man erzählte sich bewundernd von ihr, dass sie sich gelegentlich bei ihrem Gatten für Juden aus der guten Gesellschaft einsetze – die Juden kamen trotzdem ins Konzentrationslager. Man nannte sie den guten Engel des Ministerpräsidenten; indessen war der Fürchterliche nicht milder geworden, seitdem sie ihn beriet. Eine ihrer berühmtesten Rollen war die Lady Milford in Schillers „Kabale und Liebe“ gewesen: jene Matresse eines Gewaltigen, die den Glanz ihres Geschmeides und die Nähe ihres Fürsten nicht mehr erträgt, da sie erfahren hat, womit man Edelsteine bezahlt. Als sie zum letztenmal im Staatstheater auftrat, spielte sie die Minna von Barnhelm[13]: So deklamierte sie, ehe sie in den Palast des Fliegergenerals übersiedelte, noch einmal die Sätze eines Dichters, den ihr Gemahl und seine Spießgesellen hetzen und verfolgen lassen würden, lebte er heute und hier. In ihrer Gegenwart wurden die schauerlichen Geheimnisse des totalen Staates besprochen: Sie lächelte mütterlich. Morgens, wenn sie ihrem Gatten neckisch über die Schulter lugte, sah sie Todesurteile vor ihm auf dem Renaissance-schreibtisch – und er unterzeichnete sie; abends zeigte Sie den weißen Busen und die ährenblonde Kunstfrisur in Opernpremieren oder an den geschmückten Tafeln der Bevorzugten, die ihres Umgangs gewürdigt wurden. Sie war unberührbar, unangreifbar; denn sie war ahnungslos und sentimental. Sie glaubte sich umgeben von der „Liebe ihres Volkes“, weil zweitausend Ehrgeizige, Käufliche und Snobs Lärm machten zu ihren Ehren. Wie sie dahinschritt, erhobenen Hauptes, übergossen vom Licht und von der allgemeinen Bewunderung, gab es keinen Zweifel in ihrem Herzen an der Haltbarkeit solchen Zaubers. Niemals – so meinte sie zuversichtlich —, niemals würde abfallen von ihr dieser Glanz; niemals würden die Gemarterten sich rächen, niemals würde die Finsternis nach ihr greifen.

Immer noch wurde Tusch gespielt, ebenso laut wie ausführlich; immer noch dauerte das huldigende Geschrei. Inzwischen waren Lotte und ihr Dicker beim Propagandaminister und bei Höfgen angekommen. Die drei Herren hoben flüchtig die Arme, die Grußzeremonie lässig andeutend. Dann neigte Hendrik sich mit einem ernsten und innigen Lächeln über die Hand der großen Dame, die er so oft auf der Bühne hatte umarmen dürfen. – Hier standen sie, dargeboten der brennenden Neugier einer gewählten Öffentlichkeit: vier Mächtige in diesem Lande, vier Gewalthaber, vier Komödianten – der Reklamechef, der Spezialist für Todesurteile und Bombenflugzeuge, die geheiratete Sentimentale und der fahle Intrigant. Die gewählte Öffentlichkeit beobachtete, wie der Dicke dem Herrn Intendanten auf die Schulter schlug, dass es krachte, und sich mit einem grunzenden Lachen erkundigte: „Na, wie geht’s, Mephisto?“

Die Sentimentale sagte mit seelenvollem Blick zum Intendanten, für den sie eine geheime – jedoch nicht gar zu geheime – Zuneigung im Busen trug: „Ich habe Ihnen noch gar nicht gesagt, Hendrik, wie wunderschön ich Ihren Hamlet finde.“ Er drückte ihr schweigend die Hand, wobei er einen Schritt näher an sie herantrat und ebenso innig zu blicken versuchte, wie es ihr von der Natur gegeben war. Der Versuch musste missglücken: Seine fischigen Juwelenaugen gaben soviel sanfte Wärme nicht her. Deshalb machte er ein ernstes, beinah etwas ärgerliches, offizielles Gesicht und murmelte: „Ich muss ein paar Worte sprechen.“ Dann erhob er die Stimme. Sie hatte einen leuchtenden, raffiniert geschulten Metallton und war bis in die entferntesten Winkel des großen Saales hörbar und wirksam, als sie ausrief: „Herr Ministerpräsident! Hoheiten, Exzellenzen, meine Damen und Herren! Wir sind stolz – ja, wir sind stolz und froh, dass wir dieses Fest heute in diesem Hause mit Ihnen, Herr Ministerpräsident, und mit Ihrer wundervollen Gattin begehen dürfen…“

Mit dem ersten seiner Worte war das bewegte Gespräch der Zweitausend-Personen-Gesellschaft verstummt. In vollkommener Stille, in devoter Regungslosigkeit lauschte man der langen, pathetischen und platten Glückwunschrede, die der Intendant, Senator und Staatsrat für seinen Ministerpräsidenten hielt. Alle Augen waren auf Hendrik Höfgen gerichtet. Alle bewunderten ihn. Er gehörte zur Macht. Seine Stimme brachte, anlässlich des dreiundvierzigsten Geburtstages seines Herrn, die überraschendsten Jubeltöne hervor. Er hielt das Kinn hochgereckt, die Augen schimmerten, seine sparsamen und kühnen Gesten hatten den schönsten Schwung. Er vermied es aufs sorgsamste, ein wahres Wort zu sagen. Der skalpierte Cäsar, der Reklamechef und die Kuhäugige schienen darüber zu wachen, dass nur Lügen, nichts als Lügen von seinen Lippen kämen: Eine geheime Verabredung verlangte es so, in diesem Saale wie im ganzen Land.

Während er sich dem Ende seiner Ansprache mit bravourös gesteigertem Tempo näherte, flüsterte eine hübsche, kindlich aussehende kleine Dame – die Gattin eines bekannten Filmregisseurs —, die im Hintergrund des Raumes ein bescheidenes Plätzchen hatte, tonlos ihrer Nachbarin zu: „Wenn er fertig ist, muss ich hingehen und ihm die Hand schütteln. Ist es nicht fantastisch? Ich kenne ihn doch noch von früher – ja, wir sind in Hamburg zusammen engagiert gewesen. Das waren ulkige Zeiten! Und was hat der Mensch seitdem für eine Karriere gemacht!!“

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