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Der Hund

Wir zwei sind im Zimmer beisammen: mein Hund und ich … Draußen heult wütender Sturm. Mein Hund sitzt dicht vor mir – und schaut mir unverwandt ins Auge. Und auch ich blicke in seine Augen. Es scheint, als müßte er mir etwas sagen wollen. Er ist stumm, er besitzt keine Sprache, er versteht sich selbst nicht – aber ich verstehe ihn wohl.

Ich verstehe, daß in diesem Augenblick in ihm wie in mir ein und dasselbe Gefühl lebt, daß zwischen uns kein Unterschied besteht. Wir sind vollkommen gleich; in jedem von uns beiden glüht und leuchtet das gleiche zitternde Flämmchen.

Der Tod fliegt heran, schwingt seine eisigen, gewaltigen Fittiche … Es ist zu Ende!

Wer vermöchte dann wohl zu entscheiden, welches Flämmchen in ihm und welches in mir geglüht hat? Nein! nicht Tier und Mensch tauschen diese Blicke … Es sind zwei gleiche Augenpaare, die aufeinander gerichtet sind. Und in jedem dieser Augenpaare, in dem des Tieres und dem des Menschen – schmiegt sich ein und derselbe Lebenstrieb bebend an den des anderen.

Der Widersacher

Ich hatte einen Kameraden, der beständig mein Widersacher war; zwar nicht im Studium, auch nicht im Amt oder in der Liebe; nur unsere Ansichten waren stets unvereinbar, und jedesmal, wenn wir uns trafen – entspann sich zwischen uns ein endloser Wortstreit. Wir stritten über alles: über Kunst, über Religion, über die Wissenschaft, über das Leben auf Erden und im Jenseits – namentlich über das im Jenseits. Er war ein gläubiger, schwärmerischer Mensch. Einst sagte er zu mir: »Du bespöttelst doch auch alles; sollte ich jedoch vor dir sterben, dann werde ich dir vom Jenseits her erscheinen … Wir wollen doch sehen, ob du auch dann noch wirst lachen können!« Und wirklich, er starb vor mir, ein Werdender in der Blüte der Jugend; doch Jahre vergingen, und ich vergaß seines Gelübdes – seiner Drohung.

Einst lag ich des Nachts im Bett – und konnte nicht, mochte nicht einmal einschlafen.

Im Zimmer wars nicht finster, aber auch nicht hell; ich begann in das graue Halbdunkel hineinzustarren. Plötzlich erschien es mir, als ob zwischen den beiden Fenstern mein Widersacher stünde – und stumm und traurig mit dem Kopfe nicke, auf und ab.

Ich erschrak nicht – wunderte mich nicht einmal … vielmehr richtete ich mich ein wenig auf und blickte, auf den Ellenbogen gestützt, nur noch schärfer auf die unerwartete Erscheinung.

Der drüben fuhr fort, mit dem Kopfe zu nicken.

»Was gibts?« begann ich schließlich. »Triumphierst du? oder trauerst du? – Bedeutet dies eine Warnung oder einen Vorwurf?.. Oder willst du mir zu verstehen geben, daß du unrecht hattest? oder daß wir beide unrecht hatten? Welches Los ist dir denn geworden? Höllenpein oder Paradieseswonne? So sprich doch wenigstens ein einziges Wort!«

Aber mein Widersacher gab nicht den geringsten Laut von sich – nur wie vorher nickte er bloß immer traurig und still ergeben mit dem Kopfe – auf und ab. Da lachte ich laut auf … und er verschwand.

Der Bettler

Ich ging die Straße hinunter … Ein dürftiger, gebrechlicher Greis hielt mich an.

Entzündete, tränende Augen, fahlblaue Lippen, zerfetzte Lumpen, unsaubere Schwären … O, wie schrecklich hatte die Not dieses unglückliche Geschöpf verunstaltet! Er streckte mir seine gerötete, verschwollene, schmutzige Hand hin … Er stöhnte, er ächzte um Hilfe.

Ich begann alle meine Taschen zu durchsuchen … Aber weder Geldbeutel noch Uhr, nicht einmal das Taschentuch war da … Ich hatte nichts mitgenommen. Der Bettler aber wartete noch immer … und seine vorgestreckte Hand bebte und zitterte vor Schwäche. Verwirrt und verlegen ergriff ich mit kräftigem Drucke diese schmutzige, zitternde Hand … »Zürne mir nicht, Bruder; ich habe gar nichts bei mir, mein Bruder.« Der Bettler richtete seine entzündeten Augen auf mich; ein Lächeln kam auf seine fahlen Lippen – und dann drückte auch er meine erkalteten Finger.

»Laß es gut sein, Bruder,« sagte er leise; »auch dafür bin ich dir dankbar. – Auch das ist eine Gabe, mein Bruder.«

Da fühlte ich, daß auch ich von meinem Bruder eine Gabe empfangen hatte.

Erfahren wirst du noch, wie Toren richten …

Puschkin

»Erfahren wirst du noch, wie Toren richten …« Immer sprachst du die Wahrheit, großer, vaterländischer Dichter du, auch diesmal hast du wahr gesprochen. »Wie Toren richten und die Menge spottet …« Wer hätte es nicht an sich selbst erfahren, so dies wie jenes? All dies kann – und muß ertragen werden; wer die Kraft dazu hat – der mag es auch verachten!

Doch es gibt Schläge, die härter und mitten ins Herz treffen … Ein Mann tat alles, was er vermochte; wirkte in unablässiger, hingebender, ehrlicher Arbeit … Da wenden sich ehrliche Herzen verächtlich von ihm ab; ehrliche Gesichter flammen auf in Unwillen bei Nennung seines Namens. »Hinweg! Fort mit dir!« schallen ihm ehrliche junge Stimmen entgegen. – »Dich und deine Mühe brauchen wir nicht; du schändest unser Heim – du kennst und du verstehst uns nicht … Du bist unser Feind!«

Was soll dieser Mann nun tun? Fortfahren soll er im Bemühen, soll nicht versuchen, sich zu rechtfertigen – soll nicht einmal die Hoffnung auf künftige gerechtere Beurteilung nähren.

Einst haben Landleute einen Reisenden verflucht, der ihnen die Kartoffel brachte, den Ersatz des Brotes, die tägliche Nahrung des Armen … Aus seinen Händen, die er ihnen entgegenstreckte, schlugen sie die kostbare Gabe, warfen sie in den Kot, traten sie mit Füßen.

Jetzt nähren sie sich davon – und kennen nicht einmal den Namen ihres Wohltäters.

Nun, wenn auch! Was soll ihnen sein Name? Auch als Namenloser bewahrt er sie vor dem Hunger.

Wir aber wollen emsig darauf bedacht sein, daß die Frucht unseres Fleißes wahrhaft nützliche Speise sei. Bitter freilich ist ungerechter Tadel aus dem Munde derer, die man liebt … Doch auch dies kann man verwinden …

»Schlage mich! aber höre mich an!« sprach der athenische Feldherr zum spartanischen.

»Schlage mich – aber sei gesund und satt!« so sollen wir denken.

Ein Zufriedener

Durch eine Straße der Hauptstadt eilt mit munteren Schritten ein noch junger Mann. – Seine Bewegungen sind freudig und lebhaft; seine Augen leuchten, Lächeln spielt um seine Lippen, in frischer Röte strahlt sein freundliches Antlitz … Er ist ganz Zufriedenheit und Freude.

Was ist mit ihm vorgegangen? Hat er eine Erbschaft gemacht? Wurde er im Amte befördert? Eilt er zu einem zärtlichen Schäferstündchen? Vielleicht hat er auch bloß – gut gefrühstückt, – und das Gefühl der Gesundheit, der vollen Kraft schwellt alle seine Glieder! Man wird doch nicht gar seinen Hals mit deinem schönen achteckigen Kreuz geschmückt haben, o polnischer König Stanislaus!

Nein! Er hat eine Verleumdung gegen einen Bekannten ersonnen, hat sie eifrig in Umlauf gesetzt, sie, ebendieselbe Verleumdung, aus dem Munde eines anderen Bekannten vernommen – und ihr selber Glauben geschenkt.

O, wie zufrieden, ja wie brav ist in diesem Augenblick dieser liebenswürdige, vielversprechende junge Mann!

Eine Lebensregel

»Wenn Sie mal den Wunsch haben, Ihrem Gegner gehörig mitzuspielen und ihn womöglich zu kränken,« sagte mir einst ein alter Schlaukopf, »dann werfen Sie ihm nur denselben Fehler oder dasselbe Laster vor, dessen Sie sich selber bewußt sind. – Spielen Sie den Entrüsteten … und tadeln Sie ihn!

»Denn erstens – bringt dies dem anderen die Meinung bei, daß Sie von diesem Laster frei wären.

»Zweitens – darf Ihre Entrüstung sogar eine aufrichtige sein … Sie können aus den Vorwürfen Ihres eigenen Gewissens Nutzen ziehen.

»Sind Sie beispielsweise ein Renegat – dann werfen Sie Ihrem Gegner vor, er sei ohne jede Überzeugung! Sind Sie selber eine Lakaienseele – dann sagen Sie ihm in vorwurfsvollem Tone, er sei ein Lakai … ein Lakai der Zivilisation, der Aufklärung, des Sozialismus!«

»Man könnte vielleicht sogar sagen: ein Lakai des Lakaienhasses!« bemerkte ich.

»Selbst dies!« erwiderte prompt der Schlaukopf.

Das Ende der Welt

Ein Traum

Mir träumte, ich befände mich in irgendeinem Winkel Rußlands, in der Einsamkeit, in einer einfachen Dorfhütte.

Eine geräumige, niedrige, dreifenstrige Stube; die Wände weiß getüncht; aller Hausrat fehlt. Vor der Hütte eine kahle Ebene; in sanfter Neigung breitet sie sich in die Ferne aus; ein grauer, einförmiger Himmel hängt darüber wie ein härenes Tuch.

Ich bin nicht allein; etwa zehn Menschen sind mit mir in der Stube. Alles einfache Leute, einfach gekleidet; sie gehen in der Stube auf und ab, schweigend, gleichsam schleichend. Jeder weicht dem anderen aus – aber unaufhörlich begegnen sich ihre besorgten Blicke.

Keiner weiß, warum er in dies Haus geraten ist und was die anderen bedeuten. Auf jedem Angesicht lagert Unruhe und Bangigkeit … alle treten abwechselnd an die Fenster und blicken forschend hinaus, als warteten sie auf etwas von dorther.

Dann wieder gehen sie unausgesetzt auf und ab.

Zwischen ihnen bewegt sich ein kleiner Knabe; von Zeit zu Zeit wimmert er mit dünner eintöniger Stimme: »Väterchen, ich fürchte mich!« – Bei diesem Wimmern wird mir kalt ums Herz – und auch mich beschleicht Furcht … Wovor? Ich weiß es selbst nicht. Nur dies eine fühle ich: heran kommt und nähert sich ein großes, großes Unheil.

Der Knabe aber wimmert in einem fort. Ach, könnte man doch nur hinaus! Wie dumpf ists hier! Wie beklommen! Wie bedrückend!.. Doch nirgends ein Ausweg.

Dieser Himmel da – gerade wie ein Leichentuch. Und kein Windhauch … Ist denn die Lust erstorben? Plötzlich springt der Knabe ans Fenster und schreit mit derselben kläglichen Stimme: »Seht! seht! die Erde ist versunken!«

– »Wie? Versunken!« – Wahrhaftig: vorhin war vor dem Hause eine Ebene – jetzt steht es auf dem Gipfel eines ungeheuren Berges! Der Horizont ist herabgefallen, in die Tiefe gesunken – und dicht vor dem Hause starrt ein fast senkrechter, gähnender, schwarzer Abgrund.

Wir haben uns alle an die Fenster gedrängt … Der Schrecken erstarrt unsere Herzen zu Eis. – »Dort kommt es … dort kommt es!« flüstert mein Nachbar.

Richtig: rings um den fernen Erdrand begann es sich zu bewegen, hoben und senkten sich kleine wellige Hügel.

»Das Meer!« durchfuhr es uns alle im selben Augenblick. »Gleich wird es uns alle verschlingen … Wie kann es bloß so wachsen und in die Höhe steigen? Bis zu diesem Felsgrat?«

Allein es wächst, wächst mit rasender Eile … Schon sinds nicht mehr einzelne, in der Ferne schwankende Hügel … Eine einzige geschlossene, ungeheure Woge überflutet den ganzen Horizont.

Sie rast, rast auf uns zu! In eisigem Sturme braust sie heran, ballt sich wie Höllennacht. Alles erbebt ringsum – dort aber, in jener hereinbrechenden Masse – Dröhnen, Donnern, tausendstimmiger, eherner Schrei …

Ha! Welch ein Brüllen und Heulen! Das ist der Schreckensschrei der Erde …

Vernichtung ihr! Vernichtung allem!

Noch einmal wimmert der Kleine … Ich will mich an meine Gefährten klammern – doch schon sind wir alle zerschmettert, begraben, verschlungen, fortgerissen von dieser pechschwarzen, eisigen, donnernden Woge!

Finsternis … ewige Finsternis!

Nach Atem ringend erwachte ich.

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