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Den zwoelften Abend (donnerstags, den 7. Mai) ward "Der Spieler", vom Regnard, aufgefuehret.

Dieses Stueck ist ohne Zweifel das beste, was Regnard gemacht hat; aber Riviere du Freny, der bald darauf gleichfalls einen Spieler auf die Buehne brachte, nahm ihn wegen der Erfindung in Anspruch. Er beklagte sich, dass ihm Regnard die Anlage und verschiedene Szenen gestohlen habe; Regnard schob die Beschuldigung zurueck, und itzt wissen wir von diesem Streite nur so viel mit Zuverlaessigkeit, dass einer von beiden der Plagiarius gewesen. Wenn es Regnard war, so muessen wir es ihm wohl noch dazu danken, dass er sich ueberwinden konnte, die Vertraulichkeit seines Freundes zu missbrauchen; er bemaechtigte sich, bloss zu unserm Besten, der Materialien, von denen er voraussahe, dass sie verhunzt werden wuerden. Wir haetten nur einen sehr elenden Spieler, wenn er gewissenhafter gewesen waere. Doch haette er die Tat eingestehen und dem armen Du Freny einen Teil der damit erworbnen Ehre lassen muessen.

Den dreizehnten Abend (freitags, den 8. Mai) ward "Der verheiratete Philosoph" wiederholst; und den Beschluss machte "Der Liebhaber als Schriftsteller und Bedienter".

Der Verfasser dieses kleinen artigen Stueckes heisst Cerou; er studierte die Rechte, als er es im Jahre 1740 den Italienern in Paris zu spielen gab. Es faellt ungemein wohl aus.

Den vierzehnten Abend (montags, den 11. Mai) wurden "Die kokette Mutter", vom Quinault, und "Der Advokat Patelin" aufgefuehrt.

Jene wird von den Kennern unter die besten Stuecke gerechnet, die sich auf dem franzoesischen Theater aus dem vorigen Jahrhunderte erhalten haben. Es ist wirklich viel gutes Komisches darin, dessen sich Moliere nicht haette schaemen duerfen. Aber der fuenfte Akt und die ganze Aufloesung haette weit besser sein koennen; der alte Sklave, dessen in den vorhergehenden Akten gedacht wird, koemmt nicht zum Vorscheine; das Stueck schliesst mit einer kalten Erzaehlung, nachdem wir auf eine theatralische Handlung vorbereitet worden. Sonst ist es in der Geschichte des franzoesischen Theaters deswegen mit merkwuerdig, weil der laecherliche Marquis darin der erste von seiner Art ist. "Die kokette Mutter" ist auch sein eigentlichster Titel nicht, und Quinault haette es immer bei dem zweiten "Die veruneinigten Verliebten" koennen bewenden lassen.

"Der Advokat Patelin" ist eigentlich ein altes Possenspiel aus dem funfzehnten Jahrhunderte, das zu seiner Zeit ausserordentlichen Beifall fand. Es verdiente ihn auch, wegen der ungemeinen Lustigkeit und des guten Komischen, das aus der Handlung selbst und aus der Situation der Personen entspringet und nicht auf blossen Einfaellen beruhet. Brueys gab ihm eine neue Sprache und brachte es in die Form, in welcher es gegenwaertig aufgefuehret wird. Hr. Ekhof spielt den Patelin ganz vortrefflich.

Den funfzehnten Abend (dienstags, den 12. Mai) ward Lessings "Freigeist" vorgestellt.

Man kennt ihn hier unter dem Titel des "Beschaemten Freigeistes", weil man ihn von dem Trauerspiele des Hrn. von Brawe, das eben diese Aufschrift fuehret, unterscheiden wollen. Eigentlich kann man wohl nicht sagen, dass derjenige beschaemt wird, welcher sich bessert. Adrast ist auch nicht einzig und allein der Freigeist; sondern es nehmen mehrere Personen an diesem Charakter teil. Die eitle unbesonnene Henriette, der fuer Wahrheit und Irrtum gleichgueltige Lisidor, der spitzbuebische Johann sind alles Arten von Freigeistern, die zusammen den Titel des Stuecks erfuellen muessen. Doch was liegt an dem Titel? Genug, dass die Vorstellung alles Beifalls wuerdig war. Die Rollen sind ohne Ausnahme wohl besetzt; und besonders spielt Herr Boek den Theophan mit alle dem freundlichen Anstande, den dieser Charakter erfordert, um dem endlichen Unwillen ueber die Hartnaeckigkeit, mit der ihn Adrast verkennet, und auf dem die ganze Katastrophe beruhet, dagegen abstechen zu lassen.

Den Beschluss dieses Abends machte das Schaeferspiel des Hrn. Pfeffels:

"Der Schatz".

Dieser Dichter hat sich, ausser diesem kleinen Stuecke, noch durch ein anders, "Der Eremit", nicht unruehmlich bekannt gemacht. In den "Schatz" hat er mehr Interesse zu legen gesucht, als gemeiniglich unsere Schaeferspiele zu haben pflegen, deren ganzer Inhalt taendelnde Liebe ist. Sein Ausdruck ist nur oefters ein wenig zu gesucht und kostbar, wodurch die ohnedem schon allzu verfeinerten Empfindungen ein hoechst studiertes Ansehen bekommen, und zu nichts als frostigen Spielwerken des Witzes werden. Dieses gilt besonders von seinem "Eremiten", welches ein kleines Trauerspiel sein soll, das man, anstatt der allzu lustigen Nachspiele, auf ruehrende Stuecke koennte folgen lassen. Die Absicht ist recht gut; aber wir wollen vom Weinen doch noch lieber zum Lachen, als zum Gaehnen uebergehen.

Funfzehntes Stueck Den 19. Junius 1767

Den sechzehnten Abend (mittewochs, den 13. Mai) ward die "Zaire" des Herrn von Voltaire aufgefuehrt.

"Den Liebhabern der gelehrten Geschichte", sagt der Hr. von Voltaire, "wird es nicht unangenehm sein, zu wissen, wie dieses Stueck entstanden. Verschiedene Damen hatten dem Verfasser vorgeworfen, dass in seinen Tragoedien nicht genug Liebe waere. Er antwortete ihnen, dass seiner Meinung nach die Tragoedie auch eben nicht der schicklichste Ort fuer die Liebe sei; wenn sie aber doch mit aller Gewalt verliebte Helden haben muessten, so wolle er ihnen welche machen, so gut als ein anderer. Das Stueck ward in achtzehn Tagen vollendet und fand grossen Beifall. Man nennt es zu Paris ein christliches Trauerspiel, und es ist oft, anstatt des Polyeukts, vorgestellet worden."

Den Damen haben wir also dieses Stueck zu verdanken, und es wird noch lange das Lieblingsstueck der Damen bleiben. Ein junger feuriger Monarch, nur der Liebe unterwuerfig; ein stolzer Sieger, nur von der Schoenheit besiegt; ein Sultan ohne Polygamie; ein Seraglio, in den freien zugaenglichen Sitz einer unumschraenkten Gebieterin verwandelt; ein verlassenes Maedchen, zur hoechsten Staffel des Gluecks, durch nichts als ihre schoenen Augen, erhoehet; ein Herz, um das Zaertlichkeit und Religion streiten, das sich zwischen seinen Gott und seinen Abgott teilet, das gern fromm sein moechte, wenn es nur nicht aufhoeren sollte zu lieben; ein Eifersuechtiger, der sein Unrecht erkennet und es an sich selbst raechet; wenn diese schmeichelnde Ideen das schoene Geschlecht nicht bestechen, durch was liesse es sich denn bestechen?

Die Liebe selbst hat Voltairen die Zaire diktiert: sagt ein Kunstrichter artig genug. Richtiger haette er gesagt: die Galanterie. Ich kenne nur eine Tragoedie, an der die Liebe selbst arbeiten helfen; und das ist "Romeo und Juliet", vom Shakespeare. Es ist wahr, Voltaire laesst seine verliebte Zaire ihre Empfindungen sehr fein, sehr anstaendig ausdruecken; aber was ist dieser Ausdruck gegen jenes lebendige Gemaelde aller der kleinsten geheimsten Raenke, durch die sich die Liebe in unsere Seele einschleicht, aller der unmerklichen Vorteile, die sie darin gewinnet, aller der Kunstgriffe, mit denen sie jede andere Leidenschaft unter sich bringt, bis sie der einzige Tyrann aller unserer Begierden und Verabscheuungen wird? Voltaire verstehet, wenn ich so sagen darf, den Kanzeleistil der Liebe vortrefflich; das ist, diejenige Sprache, denjenigen Ton der Sprache, den die Liebe braucht, wenn sie sich auf das behutsamste und gemessenste ausdruecken will, wenn sie nichts sagen will, als was sie bei der sproeden Sophistin und bei dem kalten Kunstrichter verantworten kann. Aber der beste Kanzeliste weiss von den Geheimnissen der Regierung nicht immer das meiste; oder hat gleichwohl Voltaire in das Wesen der Liebe eben die tiefe Einsicht, die Shakespeare gehabt, so hat er sie wenigstens hier nicht zeigen wollen, und das Gedicht ist weit unter dem Dichter geblieben.

Von der Eifersucht laesst sich ohngefaehr eben das sagen. Der eifersuechtige Orosman spielt gegen den eifersuechtigen Othello des Shakespeare eine sehr kahle Figur. Und doch ist Othello offenbar das Vorbild des Orosman gewesen. Cibber sagt,5 Voltaire habe sich des Brandes bemaechtiget, der den tragischen Scheiterhaufen des Shakespeare in Glut gesetzt. Ich haette gesagt: eines Brandes aus diesem flammenden Scheiterhaufen; und noch dazu eines, der mehr dampft, als leuchtet und waermet. Wir hoeren in dem Orosman einen Eifersuechtigen reden, wir sehen ihn die rasche Tat eines Eifersuechtigen begehen; aber von der Eifersucht selbst lernen wir nicht mehr und nicht weniger, als wir vorher wussten. Othello hingegen ist das vollstaendigste Lehrbuch ueber diese traurige Raserei; da koennen wir alles lernen, was sie angeht, sie erwecken und sie vermeiden.

Aber ist es denn immer Shakespeare, werden einige meiner Leser fragen, immer Shakespeare, der alles besser verstanden hat als die Franzosen? Das aergert uns; wir koennen ihn ja nicht lesen.—Ich ergreife diese Gelegenheit, das Publikum an etwas zu erinnern, das es vorsaetzlich vergessen zu wollen scheinet. Wir haben eine Uebersetzung von Shakespeare. Sie ist noch kaum fertig geworden, und niemand bekuemmert sich schon mehr darum. Die Kunstrichter haben viel Boeses davon gesagt. Ich haette grosse Lust, sehr viel Gutes davon zu sagen. Nicht, um diesen gelehrten Maennern zu widersprechen; nicht, um die Fehler zu verteidigen, die sie darin bemerkt haben: sondern weil ich glaube, dass man von diesen Fehlern kein solches Aufheben haette machen sollen. Das Unternehmen war schwer; ein jeder anderer, als Herr Wieland, wuerde in der Eil' noch oeftrer verstossen und aus Unwissenheit oder Bequemlichkeit noch mehr ueberhuepft haben; aber was er gut gemacht hat, wird schwerlich jemand besser machen. So wie er uns den Shakespeare geliefert hat, ist es noch immer ein Buch, das man unter uns nicht genug empfehlen kann. Wir haben an den Schoenheiten, die es uns liefert, noch lange zu lernen, ehe uns die Flecken, mit welchen es sie liefert, so beleidigen, dass wir notwendig eine bessere Uebersetzung haben muessten.

Doch wieder zur "Zaire". Der Verfasser brachte sie im Jahre 1733 auf die Pariser Buehne; und drei Jahr darauf ward sie ins Englische uebersetzt, und auch in London auf dem Theater in Drury-Lane gespielt. Der Uebersetzer war Aaron Hill, selbst ein dramatischer Dichter, nicht von der schlechtesten Gattung. Voltaire fand sich sehr dadurch geschmeichelt, und was er, in dem ihm eigenen Tone der stolzen Bescheidenheit, in der Zuschrift seines Stuecks an den Englaender Falkener, davon sagt, verdient gelesen zu werden. Nur muss man nicht alles fuer vollkommen so wahr annehmen, als er es ausgibt. Wehe dem, der Voltairens Schriften ueberhaupt nicht mit dem skeptischen Geiste lieset, in welchem er einen Teil derselben geschrieben hat!

Er sagt z.E. zu seinem englischen Freunde: "Eure Dichter hatten eine Gewohnheit, der sich selbst Addison6 unterworfen; denn Gewohnheit ist so maechtig als Vernunft und Gesetz. Diese gar nicht vernuenftige Gewohnheit bestand darin, dass jeder Akt mit Versen beschlossen werden musste, die in einem ganz andern Geschmacke waren, als das Uebrige des Stuecks; und notwendig mussten diese Verse eine Vergleichung enthalten. Phaedra, indem sie abgeht, vergleicht sich sehr poetisch mit einem Rehe, Cato mit einem Felsen, und Kleopatra mit Kindern, die so lange weinen, bis sie einschlafen. Der Uebersetzer der "Zaire" ist der erste, der es gewagt hat, die Rechte der Natur gegen einen von ihr so entfernten Geschmack zu behaupten. Er hat diesen Gebrauch abgeschafft; er hat es empfunden, dass die Leidenschaft ihre wahre Sprache fuehren und der Poet sich ueberall verbergen muesse, um uns nur den Helden erkennen zu lassen."

Es sind nicht mehr als nur drei Unwahrheiten in dieser Stelle; und das ist fuer den Hrn. von Voltaire eben nicht viel. Wahr ist es, dass die Englaender, vom Shakespeare an, und vielleicht auch von noch laenger her, die Gewohnheit gehabt, ihre Aufzuege in ungereimten Versen mit ein paar gereimten Zeilen zu enden. Aber dass diese gereimten Zeilen nichts als Vergleichungen enthielten, dass sie notwendig Vergleichungen enthalten muessen, das ist grundfalsch; und ich begreife gar nicht, wie der Herr von Voltaire einem Englaender, von dem er doch glauben konnte, dass er die tragischen Dichter seines Volkes auch gelesen habe, so etwas unter die Nase sagen koennen. Zweitens ist es nicht an dem, dass Hill in seiner Uebersetzung der "Zaire" von dieser Gewohnheit abgegangen. Es ist zwar beinahe nicht glaublich, dass der Hr. von Voltaire die Uebersetzung seines Stuecks nicht genauer sollte angesehen haben, als ich oder ein anderer. Gleichwohl muss es so sein. Denn so gewiss sie in reimfreien Versen ist, so gewiss schliesst sich auch jeder Akt mit zwei oder vier gereimten Zellen. Vergleichungen enthalten sie freilich nicht; aber, wie gesagt, unter allen dergleichen gereimten Zeilen, mit welchen Shakespeare und Jonson und Dryden und Lee und Otway und Rowe, und wie sie alle heissen, ihre Aufzuege schliessen, sind sicherlich hundert gegen fuenfe, die gleichfalls keine enthalten. Was hatte denn Hill also Besonders? Haette er aber auch wirklich das Besondere gehabt, das ihm Voltaire leihet: so waere doch drittens das nicht wahr, dass sein Beispiel von dem Einflusse gewesen, von dem es Voltaire sein laesst. Noch bis diese Stunde erscheinen in England ebensoviel, wo nicht noch mehr Trauerspiele, deren Akte sich mit gereimten Zellen enden, als die es nicht tun. Hill selbst hat in keinem einzigen Stuecke, deren er doch verschiedene, noch nach der Uebersetzung der "Zaire", gemacht, sich der alten Mode gaenzlich entaeussert. Und was ist es denn nun, ob wir zuletzt Reime hoeren oder keine? Wenn sie da sind, koennen sie vielleicht dem Orchester noch nutzen; als Zeichen naemlich, nach den Instrumenten zu greifen, welches Zeichen auf diese Art weit schicklicher aus dem Stuecke selbst abgenommen wuerde, als dass es die Pfeife oder der Schluessel gibt.

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