Ohne mich zu besinnen, blindlings das nachsprechend, was mir eine fremde Stimme im Innern zuzuflüstern schien, sagte ich: „Auf der Reise machte ich die Bekanntschaft des Beichtvaters der Baronesse, und dieser empfahl mich, den Auftrag hier im Hause zu vollbringen.“[91]
„Es ist wahr,“ fiel Reinhold ein, „so schrieb es ja die Frau Baronesse. Nun, dem Himmel sei es gedankt, der Sie zum Heil des Hauses diesen Weg führte, und dass Sie als ein frommer, wackrer Mann es sich gefallen lassen, mit Ihrer Reise zu zögern, um hier Gutes zu stiften[92]. Ich war zufällig vor einigen Jahren in…r… und hörte Ihre salbungsvollen Reden, die Sie in wahrhaft himmlischer Begeisterung von der Kanzel herab hielten. Ihrer Frömmigkeit, Ihrem wahren Beruf, das Heil verlorner Seelen zu erkämpfen mit glühendem Eifer, Ihrer herrlichen, aus innerer Begeisterung hervorströmenden Rednergabe traue ich zu, dass Sie das vollbringen werden, was wir alle nicht vermochten. Es ist mir lieb, dass ich Sie traf, ehe Sie den Baron gesprochen, ich will dies dazu benutzen, Sie mit den Verhältnissen der Familie bekannt zu machen und so aufrichtig zu sein, als es Ihnen, ehrwürdiger Herr, als einem heiligen Manne, den uns der Himmel selbst zum Trost zu schicken scheint, wohl schuldig bin. Sie müssen auch ohnedem, um Ihren Bemühungen die richtige Tendenz und gehörige Wirkung zu geben, über manches wenigstens Andeutungen erhalten, worüber ich gern schweigen möchte.
Alles ist übrigens mit nicht gar zu viel Worten abgetan.
Mit dem Baron bin ich aufgewachsen, die gleiche Stimmung unsrer Seelen machte uns zu Brüdern und vernichtete die Scheidewand, die sonst unsere Geburt zwischen uns gezogen hätte. Ich trennte mich nie von ihm und wurde in demselben Augenblick, als wir unsere akademischen Studien vollendet und er die Güter seines verstorbenen Vaters hier im Gebirge in Besitz nahm, Intendant dieser Güter.
Ich blieb sein innigster Freund und Bruder und als solcher eingeweiht in die geheimsten Angelegenheiten seines Hauses. Sein Vater hatte seine Verbindung mit einer ihm befreundeten Familie durch eine Heirat gewünscht, und um so freudiger erfüllte er diesen Willen, als er in der ihm bestimmten Braut ein herrliches, von der Natur reich ausgestattetes Wesen fand, zu dem er sich unwiderstehlich hingezogen fühlte. Selten kam wohl der Wille der Väter so vollkommen mit dem Geschick überein, das die Kinder in allen nur möglichen Beziehungen füreinander bestimmt zu haben schien. Hermogen und Aurelie waren die Frucht der glücklichen Ehe. Mehrenteils brachten wir den Winter in der benachbarten Hauptstadt zu, als aber bald nach Aureliens Geburt die Baronesse zu kränkeln anfing, blieben wir auch den Sommer über in der Stadt, da sie unausgesetzt des Beistandes geschickter Ärzte bedurfte. Sie starb, als eben im herannahenden Frühling ihre scheinbare Besserung den Baron mit den frohsten Hoffnungen erfüllte. Wir flohen auf das Land, und nur die Zeit vermochte den tiefen zerstörenden Gram zu mildern, der den Baron ergriffen hatte. Hermogen wuchs zum herrlichen Jüngling heran, Aurelie wurde immer mehr das Ebenbild ihrer Mutter, die sorgfältige Erziehung der Kinder war unser Tagewerk und unsere Freude. Hermogen zeigte entschiedenen Hang zum Militär, und dies zwang den Baron, ihn nach der Hauptstadt zu schicken, um dort unter den Augen seines alten Freundes, des Gouverneurs, die Laufbahn zu beginnen[93].
Erst vor drei Jahren brachte der Baron mit Aurelien und mit mir wieder, wie vor alter Zeit, zum erstenmal den ganzen Winter in der Residenz zu, teils seinen Sohn wenigstens einige Zeit hindurch in der Nähe zu haben, teils seine Freunde, die ihn unaufhörlich dazu aufgefordert, wiederzusehen. Allgemeines Aufsehen in der Hauptstadt erregte damals die Erscheinung der Nichte des Gouverneurs, welche aus der Residenz dahin gekommen. Sie war elternlos und hatte sich unter den Schutz des Oheims[94] begeben, wiewohl sie, einen besonderen Flügel des Palastes bewohnend, ein eignes Haus machte und die schöne Welt um sich zu versammeln pflegte. Ohne Euphemien näher zu beschreiben, welches um so unnötiger, da Sie, ehrwürdiger Herr, sie bald selbst sehen werden, begnüge ich mich zu sagen, dass alles, was sie tat, was sie sprach, von einer unbeschreiblichen Anmut belebt und so der Reiz ihrer ausgezeichneten körperlichen Schönheit bis zum Unwiderstehlichen erhöht wurde.
Überall, wo sie erschien, ging ein neues, herrliches Leben auf, und man huldigte ihr mit dem glühendsten Enthusiasmus; den Unbedeutendsten, Leblosesten wußte sie selbst in sein eignes Inneres hinein zu entzünden, dass er wie inspiriert sich über die eigne Dürftigkeit erhob und entzückt in den Genüssen eines höheren Lebens schwelgte, die ihm unbekannt gewesen. Es fehlte natürlicherweise nicht an Anbetern, die täglich zu der Gottheit mit Inbrunst flehten; man konnte indessen nie mit Bestimmtheit sagen, dass sie diesen oder jenen besonders auszeichne, vielmehr wußte sie mit schalkhafter Ironie, die, ohne zu beleidigen, nur wie starkes brennendes Gewürz anregte und reizte, alle mit einem unauflöslichen Bande zu umschlingen, dass sie sich, festgezaubert in dem magischen Kreise, froh und lustig bewegten. Auf den Baron hatte diese Circe[95] einen wunderbaren Eindruck gemacht. Sie bewies ihm gleich bei seinem Erscheinen eine Aufmerksamkeit, die von kindlicher Ehrfurcht erzeugt zu sein schien; in jedem Gespräch mit ihm zeigte sie den gebildetsten Verstand und tiefes Gefühl, wie er es kaum noch bei Weibern gefunden. Mit unbeschreiblicher Zartheit suchte und fand sie Aureliens Freundschaft und nahm sich ihrer mit so vieler Wärme an, dass sie sogar es nicht verschmähte, für die kleinsten Bedürfnisse ihres Anzuges und sonst wie eine Mutter zu sorgen. Sie wußte dem blöden unerfahrnen Mädchen in glänzender Gesellschaft auf eine so feine Art beizustehen, dass dieser Beistand, statt bemerkt zu werden, nur dazu diente, Aureliens natürlichen Verstand und tiefes richtiges Gefühl so herauszuheben, dass man sie bald mit der höchsten Achtung auszeichnete. Der Baron ergoß sich bei jeder Gelegenheit in Euphemiens Lob, und hier traf es sich vielleicht zum erstenmal in unserm Leben, dass wir so ganz verschiedener Meinung waren. Gewöhnlich machte ich in jeder Gesellschaft mehr den stillen aufmerksamen Beobachter, als dass ich hätte unmittelbar eingehen sollen in lebendige Mitteilung und Unterhaltung. So hatte ich auch Euphemien, die nur dann und wann nach ihrer Gewohnheit, niemanden zu übersehen, ein paar freundliche Worte mit mir gewechselt, als eine höchst interessante Erscheinung recht genau beobachtet. Ich mußte eingestehen, dass sie das schönste, herrlichste Weib von allen war, dass aus allem, was sie sprach, Verstand und Gefühl hervorleuchtete; und doch wurde ich auf ganz unerklärliche Weise von ihr zurückgestoßen, ja ich konnte ein gewisses unheimliches Gefühl nicht unterdrücken, das sich augenblicklich meiner bemächtigte[96], sobald ihr Blick mich traf oder sie mit mir zu sprechen anfing. In ihren Augen brannte oft eine ganz eigne Glut, aus der, wenn sie sich unbemerkt glaubte, funkelnde Blitze schossen, und es schien ein inneres verderbliches Feuer, das nur mühsam überbaut, gewaltsam hervorzustrahlen. Nächstdem schwebte oft um ihren sonst weich geformten Mund eine gehässige Ironie, die mich, da es oft der grellste Ausdruck des hämischen Hohns war, im Innersten erbeben machte. Dass sie oft den Hermogen, der sich wenig oder gar nicht um sie bemühte, in dieser Art anblickte, machte es mir gewiß, dass manches hinter der schönen Maske verborgen, was wohl niemand ahne. Ich konnte dem ungemessenen Lob des Barons freilich nichts entgegensetzen als meine physiognomischen Bemerkungen, die er nicht im mindesten gelten ließ, vielmehr in meinem innerlichen Abscheu gegen Euphemien nur eine höchst merkwürdige Idiosynkrasie fand. Er vertraute mir, dass Euphemie wahrscheinlich in die Familie treten werde, da er alles anwenden wolle[97], sie künftig mit Hermogen zu verbinden. Dieser trat, als wir soeben recht ernstlich über die Angelegenheit sprachen und ich alle nur mögliche Gründe hervorsuchte, meine Meinung über Euphemien zu rechtfertigen, ins Zimmer, und der Baron, gewohnt in allem schnell[98] und offen zu handeln, machte ihn augenblicklich mit seinen Plänen und Wünschen rücksichts Euphemiens bekannt. Hermogen hörte alles ruhig an, was der Baron darüber und zum Lobe Euphemiens mit dem größten Enthusiasmus sprach. Als die Lobrede geendet, antwortete er, wie er sich auch nicht im mindesten von Euphemien angezogen fühle, sie niemals lieben könne und daher recht herzlich bitte, den Plan jeder näheren Verbindung mit ihr aufzugeben. Der Baron war nicht wenig bestürzt, seinen Lieblingsplan so beim ersten Schritt zertrümmert zu sehen, indessen war er um so weniger bemüht, noch mehr in Hermogen zu dringen, als er nicht einmal Euphemiens Gesinnungen hierüber wußte. Mit der ihm eignen Heiterkeit und Gemütlichkeit scherzte er bald über sein unglückliches Bemühen und meinte, dass Hermogen mit mir vielleicht die Idiosynkrasie teile, obgleich er nicht begreife, wie in einem schönen interessanten Weibe solch ein zurückschreckendes Prinzip wohnen könne. Sein Verhältnis mit Euphemien blieb natürlicherweise dasselbe; er hatte sich so an sie gewöhnt, dass er keinen Tag zubringen konnte, ohne sie zu sehen. So kam es denn, dass er einmal in ganz heitrer, gemütlicher Laune ihr scherzend sagte, wie es nur einen einzigen Menschen in ihrem Zirkel gebe, der nicht in sie verliebt sei, nämlich Hermogen.
Er habe die Verbindung mit ihr, die er, der Baron, doch so herzlich gewünscht, hartnäckig ausgeschlagen.
Euphemie meinte, dass es auch wohl noch darauf angekommen sein würde, was sie zu der Verbindung gesagt, und dass ihr zwar jedes nähere Verhältnis mit dem Baron wünschenswert sei, aber nicht durch Hermogen, der ihr viel zu ernst und launisch wäre. Von der Zeit, als dieses Gespräch, das mir der Baron gleich wieder erzählte, stattgefunden, verdoppelte Euphemie ihre Aufmerksamkeit für den Baron und Aurelien: ja in manchen leisen Andeutungen führte sie den Baron darauf, dass eine Verbindung mit ihm selbst dem Ideal, das sie sich nun einmal von einer glücklichen Ehe mache, ganz entspreche. Alles, was man rücksichts des Unterschieds der Jahre oder sonst entgegensetzen konnte, wußte sie auf die eindringendste Weise zu widerlegen, und mit dem allen ging sie so leise, so fein, so geschickt Schritt vor Schritt vorwärts, dass der Baron glauben mußte, alle die Ideen, alle die Wünsche, die Euphemie gleichsam nur in sein Inneres hauchte, wären eben in seinem Innern emporgekeimt. Kräftiger, lebensvoller Natur, wie er war, fühlte er sich bald von der glühenden Leidenschaft des Jünglings ergriffen. Ich konnte den wilden Flug nicht mehr aufhalten, es war zu spät. Nicht lange dauerte es, so war Euphemie zum Erstaunen der Hauptstadt des Barons Gattin. Es war mir, als sei nun das bedrohliche grauenhafte Wesen, das mich in der Ferne geängstigt, recht in mein Leben getreten und als müsse ich wachen und auf sorglicher Hut sein für meinen Freund und für mich selbst.
Hermogen nahm die Verheiratung seines Vaters mit kalter Gleichgültigkeit auf. Aurelie, das liebe, ahnungsvolle Kind zerfloß in Tränen.
Bald nach der Verbindung sehnte sich Euphemie ins Gebirge; sie kam her, und ich muß gestehen, dass ihr Betragen in hoher Liebenswürdigkeit sich so ganz gleich blieb, dass sie mir unwillkürliche Bewunderung abnötigte. So verflossen zwei Jahre in ruhigem, ungestörten Lebensgenuß. Die beiden Winter brachten wir in der Hauptstadt zu, aber auch hier bewies die Baronesse dem Gemahl so viel unbegrenzte Ehrfurcht, so viel Aufmerksamkeit für seine leisesten Wünsche, dass der giftige Neid verstummen mußte und keiner der jungen Herren, die sich schon freien Spielraum für ihre Galanterie bei der Baronesse geträumt hatten, sich auch die kleinste Glosse erlaubte.[99]Im letzten Winter mochte ich auch wieder der einzige sein, der, ergriffen von der alten, kaum verwundenen Idiosynkrasie, wieder arges Mißtrauen zu hegen anfing.
Vor der Verbindung mit dem Baron war der Graf Viktorin, ein junger, schöner Mann, Major bei der Ehrengarde und nur abwechselnd in der Hauptstadt, einer der eifrigsten Verehrer Euphemiens und der einzige, den sie oft wie unwillkürlich, hingerissen von dem Eindruck des Moments, vor den andern auszeichnete. Man sprach einmal sogar davon, dass wohl ein näheres Verhältnis zwischen ihm und Euphemien stattfinden möge, als man es nach dem äußern Anschein vermuten solle, aber das Gerücht verscholl ebenso dumpf, als es entstanden[100].Graf Viktorin war eben den Winter wieder in der Hauptstadt und natürlicherweise in Euphemiens Zirkeln, er schien sich aber nicht im mindesten um sie zu bemühen, sondern vielmehr sie absichtlich zu vermeiden. Demunerachtet war es mir oft, als begegneten sich, wenn sie nicht bemerkt zu werden glaubten, ihre Blicke, in denen inbrünstige Sehnsucht, lüsternes, glühendes Verlangen wie verzehrendes Feuer brannte. Bei dem Gouverneur war eines Abends eine glänzende Gesellschaft versammelt, ich stand in ein Fenster gedrückt, so dass mich die herabwallende Draperie des reichen Vorhangs halb versteckte, nur zwei bis drei Schritte vor mir stand Graf Viktorin. Da streifte Euphemie, reizender gekleidet als je und in voller Schönheit strahlend, an ihm vorüber; er faßte, so dass es niemand als gerade ich bemerken konnte, mit leidenschaftlicher Heftigkeit ihren Arm,… sie erbebte sichtlich; ihr ganz unbeschreiblicher Blick… es war die glutvollste Liebe, die nach Genuß dürstende Wollust selbst… fiel auf ihn. Sie lispelten einige Worte, die ich nicht verstand. Euphemie mochte mich erblicken; sie wandte sich schnell um, aber ich vernahm deutlich die Worte: „Wir werden bemerkt!“
Ich erstarrte vor Erstaunen, Schrecken und Schmerz! Ach, wie soll ich Ihnen, ehrwürdiger Herr, denn mein Gefühl beschreiben!
Denken Sie an meine Liebe, an meine treue Anhänglichkeit, mit der ich dem Baron ergeben war… an meine böse Ahnungen, die nun erfüllt wurden; denn die wenigen Worte hatten es mir ja ganz erschlossen, dass ein geheimes Verhältnis zwischen der Baronesse und dem Grafen stattfand. Ich mußte wohl vorderhand schweigen, aber die Baronesse wollte ich bewachen mit Argusaugen und dann bei erlangter Gewißheit ihres Verbrechens die schändlichen Bande lösen, mit denen sie meinen unglücklichen Freund umstrickt hatte. Doch wer vermag teuflischer Arglist zu begegnen; umsonst, ganz umsonst waren meine Bemühungen, und es wäre lächerlich gewesen, dem Baron das mitzuteilen, was ich gesehen und gehört, da die Schlaue Auswege genug gefunden haben würde, mich als einen abgeschmackten, törichten Geisterseher darzustellen.
Der Schnee lag noch auf den Bergen, als wir im vergangenen Frühling hier einzogen, demunerachtet machte ich manchen Spaziergang in die Berge hinein; im nächsten Dorfe begegne ich einem Bauer, der in Gang und Stellung etwas Fremdartiges hat, als er den Kopf umwendet, erkenne ich den Grafen Viktorin, aber in demselben Augenblick verschwindet er hinter den Häusern und ist nicht mehr zu finden.
Was konnte ihn anders zu der Verkleidung vermocht haben, als das Verständnis mit der Baronesse!
Eben jetzt weiß ich gewiß, dass er sich wieder hier befindet, ich habe seinen Jäger vorüberreiten gesehn, unerachtet es mir unbegreiflich ist, dass er die Baronesse nicht in der Stadt aufgesucht haben sollte!
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