Köster war in seinem ältesten Anzug zum Finanzamt gefahren. Er wollte versuchen, unsere Steuern herunterzukriegen. Lenz und ich waren allein in der Werkstatt.
»Los, Gottfried«, sagte ich, »‘ran an den dicken Cadillac.«
Am Abend vorher war unser Inserat erschienen. Wir konnten also heute mit Kunden rechnen – wenn überhaupt jemand kam. Es galt, den Wagen vorzubereiten. Gottfried hob Lenz die Hände zum Himmel. »Nun komm, gesegneter Kunde! Komm, lieblicher Brieftaschenbesitzer!
Ein paar Stunden arbeiteten wir ruhig, ohne viel zu reden. Dann hörte ich Jupp von der Benzinpumpe her das Lied: »Horch, was kommt von draußen‚ rein…« pfeifen. Ich kletterte aus der Grube und schaute durchs Fenster. Ein kleiner, untersetzter Mann strich um den Cadillac herum. Er sah bürgerlich und solide aus.
»Schau mal, Gottfried«, flüsterte ich.
»Sieh dir das Gesicht an. Der ist schon mißtrauisch, bevor jemand da ist. Los, ran! Ich bleibe hier als Reserve. Komme nach, wenn du es nicht schaffst. Denk an meine Tricks!«
»Gut.«
Ich ging‚ raus. Der Mann sah mir aus klugen schwarzen Augen entgegen. Ich stellte mich vor.
»Lohkamp.«
»Blumenthal.«
Das war Gottfrieds erster Trick: sich vorzustellen. Er behauptete, es gäbe gleich eine intimere Atmosphäre. Sein zweiter Trick war, sehr reserviert zu beginnen und den Kunden auszuhorchen, um dann da einzuhaken, wo es richtig war.
»Sie kommen wegen des Cadillacs, Herr Blumenthal?« fragte ich. Blumenthal nickte. »Da drüben ist er«, sagte ich und zeigte hinüber.
»Das sehe ich«, erwiderte Blumenthal. Ich warf ihm einen kurzen Blick zu.
Wir gingen über den Hof. Ich öffnete eine Tür des Wagens und ließ den Motor an. Dann schwieg ich, um Blumenthal Zeit zur Besichtigung zu lassen. Aber Blumenthal besichtigte nicht. Er kritisierte auch nicht. Er schwieg. Ich begann langsam und systematisch, den Cadillac zu beschreiben, wie eine Mutter ihr Kind, und versuchte dabei herauszukriegen, ob der Mann irgend etwas verstand. War er Fachmann, dann mußte ich mehr auf Motor und Chassis gehen – verstand er nichts, auf Komfort. Doch er verriet auch jetzt nichts. Er ließ mich reden, bis ich mir vorkam wie ein Luftballon.
»Wozu wollen Sie den Wagen haben? Für die Stadt oder für die Reise?« fragte ich schließlich, um vielleicht da einen Punkt zu finden.
»Für alles mögliche«, erklärte Blumenthal.
»Aha! Und wollen Sie ihn selbst fahren oder mit Chauffeur?«
»Je nachdem.«
Antworten gab der Mann wie ein Papagei. Um ihn aufzumuntern, versuchte ich, ihn irgend etwas probieren zu lassen. Gewöhnlich wurden Kunden zugänglicher dadurch. Ich fürchtete, daß er mir sonst einschlief.
»Das Verdeck geht für ein so großes Kabriolett besonders leicht«, sagte ich. Blumenthal probierte nicht.
Vielleicht wollte er gar nicht zu uns, vielleicht hatte er sich nur geirrt und wollte etwas ganz anderes kaufen, eine Maschine oder einen Radioapparat.
»Machen wir eine Probefahrt, Herr Blumenthal«, schlug ich schließlich vor.
»Probefahrten zeigen nichts. Was am Wagen fehlt, merkt man immer erst hinterher.«
Der Mann wollte nicht, das war klar. Aber da sah er mir voll in die Augen und sagte leise und scharf und sehr rasch:
»Was kostet der Wagen?«
»Siebentausend Mark«, sagte ich, wie aus der Pistole geschossen.
»Viel zu teuer!«
In diesem Augenblick kam ein eleganter Stutzer durch das Hoftor. Er zog eine Zeitung aus der Tasche, verglich die Hausnummer noch einmal und schritt auf mich zu.
»Ist hier der Cadillac zu verkaufen?« Ich nickte. »Könnte ich ihn mal sehen?«
»Das ist er hier«, sagte ich, »aber vielleicht warten Sie einen Moment, ich habe noch zu tun.«
Ich ging dann rasch zu Blumenthal zurück.
»Wenn Sie den Wagen einmal gefahren haben, werden Sie anders über den Preis denken«, sagte ich. »Sie können ihn gern so lange probieren, wie Sie wollen. Vielleicht kann ich Sie auch abends zu einer Probefahrt abholen, wenn Ihnen das besser paßt.«
Ich sah, daß vorläufig nichts weiter zu machen war. Dieser Mann war nicht zu bereden. Auf einmal rauchte er. Sogar Corona-Coronas – er mußte Geld wie Heu haben.
Aber es war mir schon egal. Ich nahm die Zigarre. Er gab mir freundlich die Hand und ging. Dann ging ich zurück in die Werkstatt.
»Na«, begrüßte mich der Stutzer Gottfried Lenz, »wie hab‘ ich das gemacht? Sah, wie du da herumwürgtest, und wollte mal etwas nachhelfen. Ein Glück, daß Otto sich hier fürs Finanzamt umgezogen hat! Sah seinen guten Anzug da hängen – sauste im Galopp‚ rein, durchs Fenster‚ raus und wieder hierher als seriöser Käufer! Gut gemacht, was?«
»Idiotisch gemacht«, erwiderte ich, »der Mann ist schlauer als wir beide zusammen! Sieh dir die Zigarre an! Eine Mark fünfzig das Stück. Du hast mir einen Milliardär verjagt.«
Gottfried nahm mir die Zigarre aus der Hand, beroch sie und zündete sie sich an.
»Ich habe dir einen Schwindler verjagt. Milliardäre rauchen nicht solche Zigarren. Die rauchen welche zu einem Groschen das Stück.«
»Unsinn«, antwortete ich, »Schwindler nennen sich nicht Blumenthal. Die nennen sich Graf Blumenau oder so.«
»Der Mann kommt wieder«, meinte Lenz, hoffnungsvoll wie immer, und blies mir den Rauch meiner Zigarre ins Gesicht.
»Der nicht«, sagte ich überzeugt.
»Sie sind angerufen worden«, sagte Frida, das Dienstmädchen Frau Zalewskis, als ich mittags auf einen Sprung nach Hause kam. Ich drehte mich um.
»Wann?«
»Vor‚ ner halben Stunde. War‚ ne Dame.«
»Was hat sie denn gesagt?«
»Sie will abends noch mal anrufen.«
»Hat die Dame nicht ihren Namen genannt?«
»Nee«, sagte Frida.
»Was hatte sie denn für eine Stimme? Ein bißchen dunkel und tief und so, als wäre sie etwas heiser?«
»Weiß ich nicht«, erklärte Frida phlegmatisch, als hätte ich ihr nie eine Mark in die Hand gedrückt.
Abends um sechs Uhr war ich pünktlich zu Hause. Als ich die Tür aufmachte,sah ich ein ungewohntes Bild. Auf dem Korridor stand Frau Bender, die Säuglingsschwester, umgeben von sämtlichen Damen der Pension.
»Kommen Sie mal her«, sagte Frau Zalewski.
Die Ursache der Versammlung war ein Baby, das vielleicht ein halbes Jahr alt war. Frau Bender hatte ihn aus ihrem Heim in einem Kinderwagen mitgebracht.
»Ist es nicht ein reizendes Wesen?« fragte Frau Zalewski mit schwimmenden Blick.
»Das kann man erst so in zwanzig, dreißig Jahren richtig beurteilen«, erwiderte ich.
Ich sah hin. Es war ein Baby wie alle. Ich konnte nichts Besonderes daran entdecken.
»Der arme Wurm«, sagte ich, »der hat noch keine Ahnung, was ihm bevorsteht. Möchte wissen, für was für einen Krieg der gerade zurechtkommt.«
»Rohling«, erwiderte Frau Zalewski. »Haben Sie denn kein Gefühl?«
»Viel zuviel«, erklärte ich, »sonst käme ich ja nicht auf solche Gedanken.«
Damit zog ich ab in mein Zimmer.
Zehn Minuten später klingelte das Telefon. Ich hörte meinen Namen und ging hinaus. Die ganze Gesellschaft war noch da! Es war Patrice Hollmann, die sich für die Blumen bedankte. Das Baby fing plötzlich an zu weinen.
»Entschuldigen Sie«, sagte ich in das Telefon, »ich kann Sie nicht verstehen, hier ist ein Säugling; aber es ist nicht meiner.«
Es war mir ein Rätsel, daß ich es fertigbrachte, mich trotzdem zum nächsten Abend zu verabreden.
Abends waren wir bei Gottfried verabredet. Ich aß in einer kleinen Kneipe und ging dann hin. Unterwegs kaufte ich mir im elegantesten Herrenmodengeschäft zur Feier des Tages eine prachtvolle neue Krawatte. Ich war immer noch überrascht, wie glatt alles gegangen war, und ich gelobte mir, morgen seriös zu sein wie der Generaldirektor eines Beerdigungsinstitutes. Gottfrieds Bude war eine Sehenswürdigkeit. Sie hing voll von Reiseandenken, die er aus Südamerika mitgebracht hatte. Außer Lenz und Köster waren Braumüller und Grau noch da. Theo Braumüller hockte mit sonnenverbranntem, kupfernem Schädel auf der Sofalehne und musterte begeistert Gottfrieds fotografische Sammlung. Er war Rennfahrer für eine Autofabrik und seit langem mit Köster befreundet. Am Sechsten fuhr er das Rennen mit, zu dem Otto Karl gemeldet hatte. Ferdinand Grau saß massig, ziemlich betrunken am Tisch. Als er mich sah, zog er mich mit seiner breiten Pratze zu sich heran.
»Robby«, sagte er mit schwerer Stimme, »was willst du hier unter den Verlorenen? Du hast hier nichts zu suchen. Geh wieder weg. Rette dich. Du kannst es noch!«
Ich blickte zu Lenz hinüber. Er zwinkerte mir zu.
»Ferdinand ist hoch in Form. Er versäuft seit zwei Tagen eine liebe Tote. Hat ein Porträt verkauft und gleich Geld bekommen.«
Ferdinand Grau war Maler. Dabei wäre er aber längst verhungert, wenn er nicht eine Spezialität gehabt hätte. Er malte nach Fotografien fabelhaft Porträts von Verstorbenen für Angehörige. Davon lebte er – sogar ganz gut. Seine Landschaften, die ausgezeichnet waren, kaufte kein Mensch.
Ich kletterte über das Sofa zu Köster hinüber. Mir war plötzlich etwas eingefallen.
»Otto, du mußt mir mal einen Gefallen tun. Ich brauche morgen abend den Cadillac.«
Braumüller unterbrach das intensive Studium einer wenig bekleideten kreolischen Tänzerin.
»Kannst du denn schon Kurven fahren?« erkundigte er sich. »Ich dachte bis jetzt, du könntest nur geradeaus fahren, wenn ein anderer für dich steuert.«
»Sei du ruhig, Theo«, erwiderte ich, »aus dir werden wir beim Rennen am Sechsten schon Hackfleisch machen.«
Braumüller gluckste vor Lachen.
»Also wie ist das, Otto?« fragte ich gespannt.
»Der Wagen ist nicht versichert, Robby«, sagte Köster.
»Ich werde wie eine Schnecke schleichen und wie ein Omnibus hupen. Nur ein paar Kilometer in der Stadt.«
Otto schloß die Augen bis auf einen kleinen Spalt und lächelte.
»Gut, Robby; meinetwegen.«
»Brauchst du den Wagen vielleicht zu deiner neuen Krawatte?« fragte Lenz, der herangekommen war.
»Halt den Schnabel«, sagte ich und schob ihn beiseite. Aber er ließ nicht locker. »Zeig mal her, Baby!«
Er befühlte die Seide. »Herrlich. Unser Kind als Gigolo. Mir scheint, du willst auf Brautschau!«
»Du kannst mich heute nicht beleidigen, du Verwandlungskünstler«, erwiderte ich.
Grau saß schwer und massig da, plötzlich in sich selbst und seine Trunkenheit versunken. Sein Leben war kaputt, und er wußte, daß er es nicht mehr zusammenbringen konnte. Er hauste in seinem großen Atelier und hatte ein Verhältnis mit seiner Haushälterin. Die Frau war fest und derb. Grau dagegen, trotz seines mächtigen Körpers, empfindsam und haltlos. Er kam nicht los von ihr, und es war ihm wohl auch schon egal. Er war zweiundvierzig Jahre alt. Obschon ich wußte, daß es die Betrunkenheit war, fühlte ich doch einen leisen, merkwürdigen Schauer, als ich ihn so sah. Er kam nicht oft und trank fast immer allein in seinem Atelier. Das bringt einen rasch‚ runter. Lenz zog das Grammophon auf. Er hatte einen Haufen Negerplatten und spielte ein paar – vom Mississippi, von Baumwollpflückern und von den schwülen Nächten an den blauen tropischen Flüssen.
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