Читать книгу «Drei Kameraden / Три товарища. Книга для чтения на немецком языке» онлайн полностью📖 — Эрих Марии Ремарк — MyBook.

IV

Das Wetter wurde warm und feucht, und es regnete einige Tage lang. Dann klärte es sich auf, die Sonne fing an zu brüten, und als ich am Freitagmorgen in die Werkstatt kam, sah ich Mathilde Stoß auf dem Hof stehen, den Besen unter den Arm geklemmt, mit einem Gesicht wie ein gerührtes Nilpferd.

»Nu sehen Sie doch mal, Herr Lohkamp, die Pracht! Is doch immer wieder’n Wunder.«

Ich blieb überrascht stehen. Der alte Pflaumenbaum neben der Benzinpumpe war über Nacht aufgeblüht.

Er hatte den ganzen Winter krumm und kahl dagestanden, wir hatten alte Reifen darangehängt und Ölkanister zum Trocknen über die Äste gestülpt, er war nichts anderes gewesen als ein bequemer Ständer für alles, vom Putzlappen bis zur Motorhaube – noch vor ein paar Tagen hatten unsere gewaschenen blauen Leinenhosen daran herumgeflattert, noch gestern hatte man ihm kaum etwas angemerkt —, und nun auf einmal, über Nacht, war er verwandelt und verzaubert in eine schimmernde Wolke von Rosa und Weiß, eine Wolke von hellen Blüten, als hätte sich ein Schmetterlingsschwarm auf unsern dreckigen Hof verflogen…

»Und der Geruch«, sagte Mathilde schwärmerisch und verdrehte die Augen, »wunderbar – genauso wie Ihr Rum…«

Ich roch nichts. Aber ich verstand sofort. »Es riecht mehr nach dem Kundenkognak«, behauptete ich.

Sie wehrte energisch ab. »Herr Lohkamp, Sie müssen erkältet sein. Vielleicht ha’m Sie auch Polypen in der Nase. Polypen hat heute fast jeder Mensch. Nee, die alte Stoß hat ‘ne Nase wie’n Windhund, verlassen Sie sich drauf, es ist Rum – alter Rum…«

»Na schön, Mathilde…«

Ich schenkte ihr ein Glas Rum ein und ging dann zur Benzinpumpe, Jupp saß schon da. Er hatte in einer verrosteten Konservenbüchse vor sich eine Anzahl abgeschnittener Blütenzweige stehen. »Was soll denn das heißen?« fragte ich erstaunt.

»Für die Damen«, erklärte Jupp. »Wenn sie tanken, gibt’s so einen Zweig gratis. Habe daraufhin schon neunzig Liter mehr verkauft. Der Baum ist Gold wert, Herr Lohkamp. Wenn wir den nicht hätten, müßten wir ihn künstlich nachmachen.«

»Du bist ein geschäftstüchtiger Knabe.«

Er grinste. Die Sonne durchleuchtete seine Ohren, daß sie aussahen wie rubinfarbene Kirchenfenster. »Zweimal bin ich auch schon fotografiert worden«, berichtete er. »Mit dem Baum dahinter.«

»Paß auf, du wirst noch ein Filmstar«, sagte ich und ging zur Grube hinüber, wo Lenz gerade unter dem Ford hervorkroch.

»Robby«, sagte er, »mir ist da was eingefallen. Wir müssen uns mal um das Mädchen von dem Binding kümmern.«

Ich starrte ihn an. »Wie meinst du das?«

»Genau, wie ich es sage. Aber was starrst du denn so?«

»Ich starre nicht…«

»Du stierst sogar. Wie hieß das Mädchen eigentlich noch? Pat, aber wie weiter?«

»Weiß ich nicht«, erwiderte ich.

Er richtete sich auf. »Das weißt du nicht? Du hast doch ihre Adresse aufgeschrieben! Ich habe es selbst gesehen.«

»Habe den Zettel verloren.«

»Verloren!« Er griff sich mit beiden Händen in seinen gelben Haarwald. »Und dazu habe ich damals den Binding eine Stunde draußen beschäftigt! Verloren! Na, vielleicht weiß Otto sie noch.«

»Otto weiß sie auch nicht.«

Er sah mich an. »Jammervoller Dilettant! Um so schlimmer! Weißt du denn nicht, daß das ein fabelhaftes Mädchen war? Herrgott!« Er starrte zum Himmel. »Läuft uns endlich schon mal was Richtiges über den Weg, dann verliert so ein Trauerbolzen die Adresse!«

»So großartig fand ich sie gar nicht.«

»Weil du ein Esel bist«, erwiderte Lenz, »ein Trottel, der nichts kennt, was über das Niveau der Huren aus dem Café International hinausgeht! Du Klavierspieler, du! Ich sage dir nochmals: Es war ein Glücksfall, ein besonderer Glücksfall, dieses Mädchen! Du hast natürlich keine Ahnung von so was! Hast du dir die Augen angesehen? Natürlich nicht – du hast dein Schnapsglas angesehen…«

»Halt den Schnabel!« unterbrach ich ihn, denn mit dem Schnapsglas traf er in eine offene Wunde.

»Und die Hände«, fuhr er fort, ohne mich zu beachten, »schmale, lange Hände wie eine Mulattin, davon versteht Gottfried etwas, das kannst du glauben! Heiliger Moses! Endlich einmal ein Mädchen, wie es sein muß, schön, natürlich und, was das wichtigste ist, mit Atmosphäre« – er unterbrach sich —, »weißt du überhaupt, was das ist, Atmosphäre?«

»Luft, die man in einen Reifen pumpt«, erklärte ich mürrisch.

»Natürlich«, sagte er mitleidig und verachtungsvoll, »Luft, natürlich! Atmosphäre, Aura, Strahlung, Wärme, Geheimnis – das, was die Schönheit erst beseelt und lebendig macht —, aber was rede ich – deine Atmosphäre ist der Rumdunst…«

»Hör jetzt auf oder ich lasse was auf deinen Schädel fallen«, knurrte ich.

Aber Gottfried redete weiter, und ich tat ihm nichts. Er hatte ja keine Ahnung davon, was passiert war und daß jedes Wort von ihm mich mächtig traf. Besonders jedes über das Trinken. Ich war schon drüber weg gewesen und hatte mich ganz gut getröstet; jetzt aber wühlte er alles wieder auf. Er lobte und lobte das Mädchen, und mir wurde bald zumute, als hätte ich wirklich etwas Besonderes unwiederbringlich verloren.

Ärgerlich ging ich um sechs Uhr zum Café International. Das war meine Zuflucht; Lenz hatte es mir ja auch bestätigt. Zu meinem Erstaunen herrschte ein Riesenbetrieb, als ich eintrat. Auf der Theke standen Torten und Napfkuchen, und der plattfüßige Alois rannte mit einem Tablett voll Kaffeegeschirr klappernd ins Hinterzimmer. Ich blieb stehen. Kaffee, kannenweise? Da mußte ja ein ganzer Verein schwer betrunken unter den Tischen liegen.

Aber der Wirt klärte mich auf. Heute war im Hinterzimmer die Abschiedsfeier für Rosas Freundin Lilly. Ich schlug mich vor den Kopf. Natürlich, dazu war ich ja eingeladen! Als einziger Mann sogar, wie Rosa bedeutungsvoll gesagt hatte – denn der schwule Kiki, der auch da war, zählte nicht. Ich ging rasch noch einmal los und besorgte einen Strauß Blumen, eine Ananas, eine Kinderklapper und eine Tafel Schokolade.

Rosa empfing mich mit dem Lächeln einer großen Dame. Sie trug ein schwarzes, ausgeschnittenes Kleid und thronte oben am Tisch. Ihre Goldzähne leuchteten. Ich erkundigte mich, wie es ihrer Kleinen ginge, und überreichte für sie die Zelluloidklapper und die Schokolade. Rosa strahlte.

Ich wandte mich mit der Ananas und den Blumen an Lilly. »Meine herzlichsten Glückwünsche!«

»Er ist und bleibt ein Kavalier!« sagte Rosa. »Und nun komm, Robby, setz dich zwischen uns beide.«

Lilly war die beste Freundin Rosas. Sie hatte eine glänzende Karriere hinter sich. Sie war das gewesen, was die unerreichbare Sehnsucht jeder kleinen Hure ist: eine Hotelfrau. Eine Hotelfrau geht nicht auf den Straßenstrich – sie wohnt im Hotel und macht da ihre Bekanntschaften. Fast alle Huren kommen nicht dazu – sie haben nicht genug Garderobe und auch nie genug Geld, um einmal eine Zeitlang auf Freier warten zu können. Lilly hatte zwar nur in Provinzhotels gelebt; aber sie hatte doch im Laufe der Jahre fast viertausend Mark gespart. Jetzt wollte sie heiraten. Ihr künftiger Mann betrieb ein kleines Installationsgeschäft. Er wußte alles von ihr, und es war ihm gleichgültig. Für die Zukunft konnte er unbesorgt sein; wenn eines dieser Mädchen heiratete, war es zuverlässig. Sie kannten den Rummel und hatten genug davon. Sie waren treu.

Lilly sollte Montag heiraten. Heute gab Rosa ihr einen Abschiedskaffee. Alle waren dazu erschienen, um noch einmal mit Lilly zusammen zu sein. Nach ihrer Hochzeit konnte sie nicht mehr hierher kommen.

Rosa schenkte mir eine Tasse Kaffee ein. Alois trabte mit einem riesigen Napfkuchen herbei, der gespickt war mit Rosinen, Mandeln und grüner Sukkade. Sie legte mir ein mächtiges Stück davon auf. Ich wußte, was ich zu tun hatte. Kennerisch probierte ich einen Bissen und markierte gewaltiges Erstaunen. »Donnerwetter, der ist aber bestimmt nicht im Laden gekauft…«

»Selbstgebacken«, sagte Rosa glücklich. Sie war eine fabelhafte Köchin und hatte gern, wenn man es anerkannte. Besonders in Gulasch und Napfkuchen war sie unerreicht. Sie war nicht umsonst eine Böhmin.

Ich blickte mich um. Da saßen sie rings um den Tisch, die Arbeiterinnen im Weinberge Gottes, die untrüglichen Menschenkennerinnen, die Soldaten der Liebe – Wally, die Schöne, der man neulich bei einer nächtlichen Autofahrt den Weißfuchs gestohlen hatte; – Lina mit dem Holzbein, die immer noch Liebhaber fand; – Fritzi, das Luder, die den plattfüßigen Alois liebte, obschon sie längst eine eigene Wohnung hätte haben können und einen Freund, der sie aushielt; – Margot mit den roten Backen, die immer in Dienstmädchentracht ging und damit elegante Freier fing; – Marion, die jüngste, strahlend und unbedenklich; – Kiki, der als Mann nicht mitzählte, weil er Frauenkleider trug und geschminkt war; – Mimi, das arme Biest, dem das Laufen mit seinen fünfundvierzig Jahren und den Krampfadern immer schwerer fiel; – ein paar Barfrauen und Tischdamen, die ich nicht kannte; – und endlich, als zweiter Ehrengast, klein, grau und verschrumpelt wie ein Winterapfel, Muttchen, die Vertraute aller, Trost und Stütze nächtlicher Wanderer, Muttchen mit dem Wurstkessel von der Ecke Nikolaistraße, fliegendes Büfett und Wechselbüro nachts, die neben ihren Frankfurter Würstchen auch noch heimlich Zigaretten und Gummiartikel verkaufte und angepumpt werden konnte.

Ich wußte, was sich schickte. Kein Wort von Geschäft, keine unzarte Andeutung heute – vergessen die wunderbare Leistung Rosas, die ihr den Beinamen das »Eiserne Pferd« eingetragen hatte; – vergessen Fritzis Unterhaltungen mit dem Viehhändler Stefan Grigoleit über die Liebe; – vergessen Kikis Tänze um den Salzbrezelkorb im Morgengrauen. Die Unterhaltung hier konnte jedem Damenkränzchen Ehre machen.

»Alles schon vorbereitet, Lilly?« fragte ich.

Sie nickte. »Die Aussteuer hatte ich ja schon lange.«

»Wunderbare Aussteuer«, sagte Rosa. »Fehlt aber auch nicht ein Spitzendeckchen.«

»Wozu braucht man denn Spitzendeckchen?« fragte ich.

»Na hör mal, Robby!« Rosa sah mich so vorwurfsvoll an, daß ich rasch erklärte, ich wüßte es schon. Spitzendecken – gehäkelte Möbelschoner, natürlich, sie waren das Symbol kleinbürgerlicher Behaglichkeit, das geheiligte Symbol der Ehe, des verlorenen Paradies. Sie waren ja alle keine Huren aus Temperament; sie waren Gescheiterte der bürgerlichen Existenz. Ihre geheime Sehnsucht war das Ehebett; nicht das Laster. Aber das hätten sie nie eingestanden.

Ich setzte mich ans Klavier. Rosa hatte schon darauf gewartet. Sie liebte Musik wie alle diese Mädchen. Ich spielte zum Abschied noch einmal alle ihre und Lillys Lieblingsschlager. Zu Anfang das »Gebet einer Jungfrau«. Der Titel war zwar nicht ganz angebracht für das Lokal, aber es war auch nur ein Bravourstück mit viel Geklimper. Dann folgte »Der Vöglein Abendlied«, das »Alpenglühen«, »Wenn die Liebe stirbt«, »Die Millionen des Harlekin« und zum Schluß »Nach der Heimat möcht’ ich wieder«. Das liebte Rosa besonders. Huren sind ja das Härteste und Sentimentalste zugleich. Alle sangen es mit. Der schwule Kiki die zweite Stimme.

Lilly brach auf. Sie mußte ihren Bräutigam abholen. Rosa küßte sie herzhaft ab. »Mach’s gut, Lilly. Laß dich nicht unterkriegen!«

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