Читать книгу «Ersehnt» онлайн полностью📖 — Блейка Пирс — MyBook.
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Kapitel Sechs

Riley rutschte auf ihrem Stuhl hin und her, während sie darüber nachdachte, was sie Mike Nevins erzählen sollte. Sie war unruhig und nervös.

“Lass dir Zeit”, sagte der forensische Psychiater, der sich in seinem Stuhl nach vorne lehnte und sie besorgt betrachtete.

Riley lachte kläglich. “Das ist das Problem”, sagte sie. “Ich habe keine Zeit. Ich trödele schon länger. Ich muss eine Entscheidung treffen. Ich habe es zu lange hinausgezögert. Hast du mich jemals so unentschlossen gesehen?”

Mike antwortete nicht. Er lächelte einfach und legte die Finger gegeneinander.

Riley war an diese Art von Schweigen gewöhnt. Der adrette, recht penible Mann war über die Jahre viel für sie geworden – ein Freund, ein Therapeut, manchmal sogar eine Art Mentor. Normalerweise rief sie ihn an, wenn sie Einsichten in einen besonders dunklen Verstand brauchte. Aber dieser Besuch war anders. Sie hatte ihn am letzten Abend angerufen und war am Morgen zu seinem Büro in DC gefahren.

“Also, was hast du für Auswahlmöglichkeiten?” fragte er schließlich.

“Nun, ich nehme an, ich muss mich entscheiden, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen will – unterrichten oder ein aktiver Agent sein. Oder etwas vollkommen anderes finden.”

Mike lachte leicht. “Ganz langsam. Lass uns nicht versuchen deine ganze Zukunft an einem Tag zu planen. Schauen wir uns doch lieber das Jetzt an. Meredith und Jeffreys wollen, dass du den Fall annimmst. Nur einen Fall. Das ist weder noch. Niemand sagt, dass du das Unterrichten aufgeben musst. Und alles was du tun musst, ist für diesen einen Fall ja oder nein zu sagen. Also, was ist das Problem?”

Jetzt war es an Riley schweigend nachzudenken. Sie wusste nicht, was ihr Problem war. Deshalb war sie hier.

“Ich nehme an, du hast vor etwas Angst”, sagte Mike.

Riley schluckte hart. Das war es. Sie hatte Angst. Sie hatte sich geweigert es zuzugeben, auch sich selbst gegenüber. Aber jetzt brachte Mike sie dazu, darüber zu reden.

“Wovor hast du Angst?” fragte Mike. “Du hast gesagt, du hättest Albträume.”

Riley schwieg noch immer.

“Das wird Teil deines PTBS Problems sein”, sagte Mike. “Hast du immer noch Flashbacks?”

Riley hatte die Frage erwartet. Schließlich hatte Mike mehr als jeder andere für sie getan, um ihr durch das Trauma der besonders schrecklichen Erfahrung zu helfen.

Sie lehnte ihren Kopf gegen die Stuhllehne und schloss die Augen. Für einen Moment war sie wieder in Petersons dunklem Käfig und er bedrohte sie mit einer Propanfackel. Monatelang nach ihrer Gefangenschaft, hatte sich diese Erinnerung ihr immer wieder aufgedrängt.

Aber dann hatte sie Peterson gefunden und ihn selbst getötet. Tatsächlich hatte sie ihn erschlagen.

Wenn das kein Abschluss ist, was dann, dachte sie.

Jetzt schienen ihr die Erinnerungen unpersönlich, als gehörten sie jemand anderem.

“Es geht mir besser”, sagte Riley. “Sie sind kürzer und weniger häufig.”

“Wie geht es deiner Tochter?”

Die Frage traf Riley wie ein Schlag in die Magengrube. Sie fühlte ein Echo von der Panik, die sie erlebt hatte, nachdem Peterson April entführt hatte. Sie konnte immer noch Aprils Hilfeschreie hören.

“Ich nehme an, das habe ich noch nicht hinter mir lassen können”, sagte sie. “Ich wache auf und habe Angst, dass sie entführt wurde. Ich muss in ihr Zimmer gehen, um sicherzustellen, dass sie da ist und es ihr gut geht.”

“Willst du deshalb keinen neuen Fall annehmen?”

Riley erschauderte. “Ich will nicht, dass sie jemals wieder so etwas durchmachen muss.”

“Das ist keine Antwort.”

“Nein, da hast du wohl Recht”, sagte Riley.

Wieder herrschte Stille.

“Ich habe das Gefühl, dass da noch mehr ist”, sagte Mike schließlich. “Was bereitet dir noch Albträume? Was hält dich nachts wach?”

Mit einem Schlag, war der Schrecken, der sich in einer Ecke ihres Gehirns versteckte, wieder da.

Ja, da war etwas anderes.

Selbst mit offenen Augen konnte sie sein Gesicht sehen – Eugene Fisks jungenhaftes, auf groteske Weise unschuldig aussehendes Gesicht mit den kleinen Knopfaugen. Riley hatte ihm bei ihrer letzten Konfrontation tief in diese Augen gesehen.

Der Mörder hatte Lucy Vargas ein Rasiermesser an den Hals gehalten. In diesem Moment erforschte Riley ihre tiefsten Ängste. Sie hatte über die Ketten geredet – diese Ketten, von denen er glaubte, dass sie mit ihm sprachen, ihn dazu zwangen einen Mord nach dem anderen zu verüben, Frauen anzuketten und ihre Kehlen durchzuschneiden.

“Die Ketten wollen nicht, dass du diese Frau nimmst”, hatte Riley ihm gesagt. “Sie ist nicht, was sie brauchen. Du weißt, was die Ketten wirklich brauchen.”

In seinen Augen hatten Tränen geglitzert, als er zustimmend nickte. Dann hatte er sich auf gleiche Weise getötet, wie seine Opfer.

Er hatte sich vor Rileys Augen die Kehle durchgeschnitten.

Und jetzt, hier in Mike Nevins Büro, erstickte Riley fast an ihrem eigenen Entsetzen.

“Ich habe Eugene getötet”, keuchte sie.

“Den Ketten-Mörder meinst du. Nun, er war nicht der erste Mann, den du getötet hast.”

Das stimmte – sie hatte schon davor einige Male tödliche Gewalt anwenden müssen. Aber bei Eugene war es anders gewesen. Sie dachte oft an seinen Tod, aber hatte bisher noch mit niemandem darüber geredet.

“Ich habe keine Waffe, keinen Stein, nicht meine Fäuste genutzt”, sagte sie. “Ich habe ihn mit Verständnis getötet, mit Mitgefühl. Mein eigener Verstand ist eine tödliche Waffe. Das habe ich nie gewusst. Es macht mir Angst, Mike.”

Mike nickte mitfühlend. “Du weißt, was Nietzsche sagt, über das Blicken in den Abgrund”, sagte er.

“Dass der Abgrund auch in einen selbst hineinblickt”, bestätigte Riley. “Aber ich habe mehr getan, als nur in den Abgrund zu gucken. Ich habe förmlich dort gelebt. Ich habe es mir dort gemütlich gemacht. Es ist mein zweites Zuhause. Das ängstigt mich zu Tode, Mike. Eines Tages gehe ich vielleicht in den Abgrund und komme nicht mehr zurück. Und wer weiß, wen ich dabei verletzte – oder töte.”

“Aha”, sagte Mike und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. “Vielleicht machen wir jetzt Fortschritte.”

Riley war sich nicht so sicher. Und sie hatte nicht das Gefühl einer Entscheidung näher gekommen zu sein.

*

Als Riley kurze Zeit später durch ihre Haustür ging, kam April die Treppe heruntergelaufen, um sie zu begrüßen.

“Mom, du musst mir helfen! Komm schon!”

Riley folgte April die Stufen nach oben. In Aprils Zimmer lag ein Koffer offen auf ihrem Bett und Kleidungsstücke waren überall verstreut.

“Ich weiß nicht, was ich einpacken soll.” sagte April. “Das musste ich bisher noch nie machen!”

Riley lächelte beim Anblick ihrer gleichzeitig panischen und aufgeregten Tochter und fing sofort an ihr zu helfen. April würde am nächsten Morgen einen Schulausflug beginnen – eine Woche in der Nähe von Washington DC. Sie würde mit der Gruppe ihres Geschichtsunterrichts und einigen Lehrern fahren.

Als Riley die Erlaubnis unterschrieben und die Gebühren für den Ausflug bezahlt hatte, war sie unsicher gewesen. Peterson hatte April in der Nähe von Washington gefangen gehalten und auch wenn sie am entgegengesetzten Ende der Stadt sein würde, hatte Riley Angst, dass die Reise das Trauma an die Oberfläche bringen könnte. Aber April schien es erstaunlich gut zu gehen, sowohl in akademischer Hinsicht, als auch emotionaler. Und die Reise war eine wundervolle Gelegenheit.

Inmitten von scherzhaftem Necken über die Kleiderauswahl, bemerkte Riley, dass sie Spaß hatte. Der Abgrund, über den sie und Mike erst kurz vorher gesprochen hatten, schien weit entfernt zu sein. Sie hatte auch außerhalb des Abgrundes noch ein Leben. Es war ein gutes Leben und wie auch immer ihre Entscheidung ausfallen würde, sie war entschlossen es auch zu behalten.

Während sich der Koffer langsam füllte, kam Gabriela in den Raum.

“Señora Riley, mein Taxi kommt pronto, jede Minute”, sagte sie lächelnd. “Ich habe gepackt und bin fertig. Meine Koffer stehen neben der Tür.”

Riley hatte fast vergessen, dass auch Gabriela los wollte. Da April unterwegs sein würde, hatte Gabriela um ein paar Urlaubstage gebeten, um ihre Verwandten in Tennessee zu besuchen. Riley hatte fröhlich zugestimmt.

Riley umarmte Gabriela und sagte, “Buen viaje.”

Gabrielas Lächeln wurde schwächer und sie erwiderte, “Me preocupo.”

“Du machst dir Sorgen?” fragte Riley überrascht. “Worüber machst du dir Sorgen, Gabriela?”

“Sie”, sagte Gabriela. “Sie werden ganz alleine in dem neuen Haus sein.”

Riley lachte leicht. “Mach dir keine Sorgen, ich kann auf mich selber aufpassen.”

“Aber Sie waren nicht sola seit so viele schreckliche Dinge passiert sind”, sagte Gabriela. “Ich mache mir Sorgen.”

Gabrielas Worte brachten Riley zum Nachdenken. Sie hatte nicht Unrecht. Seit der Sache mit Peterson war zumindest April immer bei ihr gewesen. Könnte sich ein dunkles und beängstigendes Loch in ihrem neuen Zuhause auftun? Drohte der Abgrund selbst jetzt?

“Es geht mir gut”, sagte Riley. “Geh und habe eine schöne Zeit mit deiner Familie.”

Gabriela grinste und reichte Riley einen Umschlag. “Das war im Briefkasten”, sagte sie.

Gabriela umarmte April, dann noch einmal Riley, und ging nach unten, um auf ihr Taxi zu warten.

“Was ist das, Mom?” fragte April.

“Ich weiß es nicht!” sagte Riley. “Es wurde nicht mit der Post geschickt.”

Sie riss den Umschlag auf und fand eine Plastikkarte darin. Dekorative Buchstaben auf der Karte lasen “Blaine's Grill.” Darunter stand, “Abendessen für Zwei.”

“Ich nehme an, es ist eine Geschenkkarte von unserem Nachbarn”, sagte Riley. “Das ist nett von ihm. Wir können zusammen zum Abendessen hingehen, wenn du wieder da bist.”

“Mom!” schnaufte April. “Er meint nicht dich und mich.”

“Warum nicht?”

“Er lädt dich zum Essen ein.”

“Oh! Glaubst du wirklich? Das steht hier nicht.”

April schüttelte den Kopf. “Sei nicht doof. Der Mann will mit dir ausgehen. Crystal hat mir gesagt, dass ihr Dad dich mag. Und er ist wirklich süß.”

Riley konnte spüren, wie sie rot wurde. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal jemand zu einer Verabredung eingeladen hatte. Sie war so lange mit Ryan verheiratet gewesen. Seit ihrer Scheidung war sie gezwungen, sich in ihrem neuen Zuhause einzuleben und Entscheidungen über ihre Arbeit zu treffen.

“Du wirst ja ganz rot, Mom”, lachte April.

“Lass uns lieber deine Sachen zusammenpacken”, grummelte Riley. “Ich denke später darüber nach.”

Sie sahen weiter durch Aprils Schrank. Nach ein paar Minuten des Schweigens sagte April, “Ich mache mir auch irgendwie Sorgen um dich, Mom. Wie Gabriela gesagt hat, …”

“Mir geht es gut und das bleibt auch so”, unterbrach Riley.

“Wirklich?”

Riley faltete eine Bluse zusammen und dachte darüber nach, was sie antworten sollte. Sicherlich hatte sie in letzter Zeit schlimmeres erlebt, als ein leeres Haus – darunter mörderische Psychopathen, besessen von Ketten, Puppen und Fackeln. Aber würden sich alte Dämonen melden, wenn sie alleine war? Plötzlich kam ihr die eine Woche wie eine sehr lange Zeit vor. Und die Aussicht entscheiden zu müssen, ob sie mit ihrem Nachbarn ausgehen wollte oder nicht, war auf ihre eigene Weise beängstigend.

Das schaffe ich schon, dachte Riley.

Außerdem hatte sie auch noch eine andere Möglichkeit. Und es war Zeit eine Entscheidung zu treffen.

“Ich wurde gebeten an einem Fall zu arbeiten”, erzählte Riley April. “Dafür müsste ich sofort nach Arizona fliegen.”

April hörte auf ihre Kleidung zusammenzufalten und sah Riley an.

“Also wirst du gehen?” fragte sie.

“Ich weiß es nicht, April”, sagte Riley.

“Was gibt es da zu wissen? Das ist dein Job, oder nicht?”

Riley sah in die Augen ihrer Tochter. Die harten Zeiten zwischen ihnen schienen tatsächlich vorbei zu sein. Seit sie beide die Folter von Peterson überstanden hatten, gab es zwischen ihnen eine ganz neue Verbindung.

“Ich habe darüber nachgedacht, mich aus dem Außendienst zurückzuziehen”, sagte Riley.

Aprils Augen weiteten sich vor Überraschung.

“Was? Mom, böse Menschen schnappen ist das, was du am besten kannst.”

“Ich bin auch gut im Unterrichten”, sagte Riley. “Ich bin sehr gut darin. Und ich liebe es. Das tue ich wirklich.”

April sah sie verständnislos an. “Okay, dann geh und unterrichte. Niemand hält dich auf. Aber hör nicht auf den Bösen in den Hintern zu treten. Das ist genauso wichtig.”

Riley schüttelte den Kopf. “Ich weiß nicht, April. Nach allem, was ich dir zugemutet habe…”

April sah aus, als könnte sie nicht glauben, was sie da hörte. “Nach allem, was du mir zugemutet hast? Wovon redest du? Du hast mir gar nichts zugemutet. Ich wurde von einem Psychopathen namens Peterson entführt. Wenn er mich nicht geschnappt hätte, dann jemand anderen. Hör auf, dir dafür die Schuld zu geben.”

Nach einer kurzen Pause, sagte April, “Setz' dich, Mom. Wir müssen reden.”

Riley lächelte und setzte sich auf das Bett. April klang jetzt selber wie eine Mutter.

Vielleicht ist eine kleine elterliche Moralpredigt jetzt genau das, was ich brauche, dachte Riley.

April setzte sich neben Riley.

“Habe ich dir je von meiner Freundin Angie Fletcher erzählt?” fragte April.

“Ich glaube nicht.”

“Wir haben uns eine Weile sehr gut verstanden, aber dann hat sie die Schule gewechselt. Sie war wirklich klug und nur ein Jahr älter als ich, fünfzehn. Ich habe gehört, dass sie angefangen hat Drogen von einem Typen zu kaufen, den alle Trip nennen. Sie ist schwer heroinabhängig geworden. Und als sie kein Geld mehr hatte, hat Trip sie auf die Straße geschickt. Er hat sie persönlich trainiert, sie dazu gebracht bei ihm einzuziehen. Ihre Mutter ist so durch den Wind, dass sie kaum gemerkt hat, dass Angie weg war. Trip hat sie sogar auf seiner Webseite angeboten, hat sie gezwungen sich eine Tätowierung machen zu lassen, dass sie für immer ihm gehört.”

Riley war entsetzt. “Was ist mit ihr passiert?”

“Na ja, Trip wurde schließlich verhaftet und Angie ist in einer Entzugsklinik gelandet. Das war diesen Sommer, während wir in New York waren. Ich weiß nicht, was danach mit ihr passiert ist. Alles was ich weiß ist, dass sie jetzt sechzehn ist und ihr Leben ruiniert.”

“Es tut mir so leid das zu hören”, sagte Riley.

April stöhnte ungeduldig auf.

“Du verstehst es wirklich nicht, oder Mom? Dir muss gar nichts leidtun. Du hast dein ganzes Leben damit verbracht diese Art von Dingen zu verhindern. Und du hast alle möglichen Leute wie Trip ausgeschaltet – manche für immer. Aber wenn du aufhörst das zu tun, was du am besten kannst, wer soll dann für dich weitermachen? Jemand, der so gut ist, wie du? Das bezweifle ich, Mom. Das bezweifle ich wirklich.”

Riley schwieg für einen Moment. Dann drückte sie April mit einem Lächeln die Hand.

“Ich denke, ich muss einen Anruf tätigen”, sagte sie.

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