Читать книгу «Тотеnтаnz / Пляска смерти. Книга для чтения на немецком языке» онлайн полностью📖 — Бернгарда Келлермана — MyBook.

Wolfgang erblickte ihn zuerst, sprang auf und eilte ihm entgegen. «Der Frank». rief er erfreut aus. «Seht an, der Frank».

Auch Lehrer Gleichen erhob sich, um ihn zu begrüßen, und augenblicklich fiel Fabian wieder der Zauber seiner weichen schönen Stimme auf. «Welch eine angenehme Überraschung». fuhr der Bildhauer fort. «Du kommst gerade recht zu unserer kleinen Beratung, und wir wollen dich mit einem Gläschen begrüßen». Dabei öffnete er einen großen, mit roten Rosen bemalten Bauernschrank, der Reihen von Flaschen und Gläser aller Größen enthielt. Einige Gläser und eine Flasche stellte er auf die Tonkiste neben der noch feuchten Figur. «Ein Portwein, sage ich dir, Frank, der einen Toten aufwecken kann». rief er frohgelaunt aus und goß die Gläser voll, während er den Bruder mit zärtlichen Blicken betrachtete. «Ich habe mich nämlich heute entschlossen, den Akt endlich fertigzumachen und ihn im Oktober zur großen Ausstellung nach München zu schicken. Das also ist es, worüber wir uns beide besprachen. Dass du nun noch dazugekommen bist, Frank, betrachte ich als ein günstiges Zeichen des Himmels».

Fabian wandte den Blick zu der noch feuchten Tonfigur hin. «Der Kettensprenger». rief er aus. «Endlich also bist du soweit».

Wolfgang nickte. «Ja, das ist e», sagte er. «Er soll nun endlich fertig werden. Natürlich wird es noch einige heiße Wochen kosten». «Sie kennen ja Wolfgan», mischte sich Gleichen ein. «Er ist nie zufrieden. Ich behaupte aber, auch nur die kleinste Veränderung wäre ein Verbrechen».

Der Bildhauer lachte. «Am Rücken ist noch manches zu verbesser», widersprach er. «Nun, noch vier Wochen und dann mache ich Schluss. Ich verspreche es Ihnen, Gleichen». Er gab viel auf Gleichens Urteil.

Gleichen war nichts als ein kleiner Schullehrer, aber als Schriftsteller äußerst geachtet. Er schrieb besonders für Kunstzeitschriften.

Fabian kannte den «Kettensprenge». seit langer Zeit. Wolfgang arbeitete seit einem Jahr daran. Monatelang stand er zuweilen, in feuchte Lappen eingehüllt, unbeachtet in einer Ecke des Ateliers. Nun freute es ihn, dass Wolfgang die Arbeit endlich zu Ende gebracht hatte und sie ihm ganz außerordentlich gelungen zu sein schien.

Es war die Gestalt eines zarten Jünglings, der mit verhaltener Kraft und einem unmerklichen Lächeln der trotzigen Lippen die Glieder einer Kette über dem Knie sprengte. Nichts sonst. Die leicht vorgeneigte Haltung des Jünglings, das Aufatmen und Dehnen seiner Brust, die gebundene und unwiderstehliche Ballung seiner Kräfte schienen Fabian vollendet. Wolfgang verabscheute alles Übertriebene, Gewaltmäßige, Brutale, «mit Muskeln macht man keine Plasti», sagte er. Fabian gab seiner Bewunderung Ausdruck. «Herrlich». sagte er.

Erst jetzt aber sah Fabian, dass die Figur einen Sockel bekommen hatte, auf dem die Worte «Lieber tot als Skla». eingegraben waren. «Der Kettensprenger hat ja neuerdings einen Wahlspruch bekommen». sagte er. «Oder habe ich es früher übersehen».

Wolfgang schwieg eine Weile, dann lachte er auf. «Das ist ja die Sache». rief er aus. «Dieser Wahlspruch ist in erster Linie die Ursache, dass ich die Figur ausstellen will, und zwar gerade jetzt. Nicht wahr, Gleichen? Wir sprachen lange darüber».

Lehrer Gleichen nickte. «Es ist ein Protest». erklärte er, und flüchtige rote Flecke erschienen auf seinen fahlen Wangen. «Es ist ein Protest gegen würdelose Unterwürfigkeit». «Wird man den Protest nicht als Provokation empfinden». fragte Fabian.

Wolfgang zuckte die Achseln. «Es fragt sich sehr, ob man den Protest überhaupt als Protest erkennen wird. Wenn man ihn als Provokation empfinden sollte, um so besser. Mir ist alles einerlei. Jedenfalls werden Tausende den Protest sofort verstehen, und damit habe ich meine Absicht erreicht! Und nun wollen wir den Akt vorläufig wieder einhüllen».

Er legte feuchte Tücher um die Figur, dann verhüllte er den Sockel mit dem Spruch.

«Und nun wirst du uns erzählen, Frank, wie es in der Welt aussieh», wandte er sich an den Bruder. «Natürlich wirst du bei mir zum Mittagessen bleiben, das versteht sich von selbst. Gleichen hat schon zugesagt. Es gibt Pfannkuchen, die meine Retta herrlich zuzubereiten versteht. Setzen wir uns an den Tisch am Fenster».

Wolfgang war von einer fast immer gleichmäßigen Heiterkeit erfüllt, der Heiterkeit schöpferischer Menschen. Er war um zwei Jahre älter als sein Bruder, kleiner und stämmiger und hatte kräftigere und derbere Gesichtszüge. Sein Haar machte einen wirren und unordentlichen Eindruck und war schon stark von weißen Fäden durchzogen. Seine hellbraunen Augen waren ebenfalls von Heiterkeit erfüllt, aber sie hatten einen merkwürdigen, geheimnisvollen Ausdruck, den man nicht so rasch ergründen konnte. Im Gegensatz zu seinem Bruder schien er auf sein Äußeres geringen Wert zu legen. Sein heller Arbeitskittel war verknittert, voller Asche und Flecke trockenen Tons. Man sah deutlich, dass er mitten in der Arbeit steckte und Tätigkeit und Gedanken ihn erregt hatten. Er lachte häufig und sprach keineswegs die fließende, korrekte Sprache Fabians.

Lehrer Gleichen war etwas größer als beide, ein Mann mit krausen, fast schon völlig ergrauten Haaren, einem kantigen, zergrübelten Gesicht und düster glimmenden großen Augen. Er war sehr schweigsam, aber sobald er den Mund öffnete, war man aufs neue erstaunt über die Weichheit und Schönheit seiner Sprache.

Wolfgang zündete sich eine neue Virginia an und machte den Bruder auf die Glasur einer Schale aufmerksam, die auf dem Tische stand. «Es ist eine echte Sungschale[28], sieh sie dir aufmerksam an, Frank, ich will das Geheimnis ihrer Glasur ergründen». Sie sprachen über Glasuren und Wolfgangs Brennofen, auf den er besonders stolz war.

Während sie plauderten, trat Wolfgangs Wirtschafterin ein, die Margarete hieß und Retta genannt wurde. Wolfgang war nicht verheiratet. Er war der Ansicht, dass Frauen und Kinder zuviel Unruhe ins Haus brächten und ein Künstler nur seiner Kunst leben sollte. Offenbar schien er sich ziemlich wenig aus Frauen zu machen, und Fabian hatte ihn nur einmal über eine Frau mit uneingeschränktem Lob sprechen hören, es war Frau Beate Lerche-Schellhammer, die sie schon seit ihrer Jugend kannten.

Diese Retta, eine ältliche, Bäuerin von der seltenen Häßlichkeit einer Hexe, trat ins Atelier und ging ohne alle Umstände auf Wolfgang zu. Dabei wurde sie immer kleiner, und ihre hageren Züge sahen unruhig und verstört aus. Es stände ein Auto vor dem Haus von Tierarzt Schubring, sagte sie aufgeregt, das käme ihr nicht geheuer vor. Die Leute deuteten hierher. «Nicht geheuer sieht das Auto aus». fragte Wolfgang und lachte.

Nein, nicht geheuer. Zwei Leute in Uniformen säßen darin, und den Chauffeur, den kenne sie. Es sei der gleiche Chauffeur wie damals, als sie den Pfarrer Rechtling mitnahmen nach seiner Pfingstpredigt. «Die Herren können Sie ja sehe», schloss Retta und schlich an eines der kleinen Bauernfenster, die auf die Straße hinausgingen.

Vor dem Haus des Tierarztes Schubring, der eine der geschmacklosen Villen bewohnte, die Wolfgang auf den Tod hasste, stand ein ganz gewöhnliches, ziemlich großes Auto. Der Chauffeur ging um das Auto herum und schlug das Verdeck hoch. Zwei Herren in brauner Univorm standen bei einem kleinen dicken Herrn in Zivil, dem Tierarzt Schubring. Der kleine Herr schien ihnen etwas zu erklären, wobei er auf das Haus des Bildhauers deutete.

«Sie deuten fortwährend hierher». wiederholte die alte Retta erregt, wobei sie vom Fenster zurücktrat. «Sie wollen gewiss zu Ihnen, Herr Professor».

Der Chauffeur öffnete den Schlag des Autos, und die beiden Herren in braunen Uniformen stiegen ein. «Sie kommen hierher, Herr Professo», wiederholte die Bäuerin in heller Angst. Ihr Gesicht war ganz gelb geworden. «Es war mir gleich nicht geheuer».

«Nun schön, Retta, weshalb die Angst? Sie wollen vielleicht ein Denkmal bei mir bestellen». scherzte Wolfgang.

Da rollte das Auto auch schon vor das Haus und hielt plötzlich an.

Retta zuckte zusammen. «Habe ich es nicht gesagt». flüsterte sie und krümmte sich noch mehr zusammen.

Schon hörte man die Glocke anschlagen. Sie gab nur einen heiseren Laut von sich.

«Gehen Sie hinaus auf die Äcker, Herr Professo», zischelte Retta zitternd. «Ich sage, Sie sind ausgegangen. Sonst haben Sie nichts als Scherereien».

Sie wollte zur Tür, aber Wolfgang hielt sie zurück.

Lehrer Gleichen wandte sich mit besorgter Miene an den Bildhauer: «Sagte ich es Ihnen nicht gleich damals in der „Kugel“? Sie waren zu unvorsichtig. Es sind Leute aus der Heiligengeistgasse, ich kenne sie».

Wieder schlug die Glocke an, der Draht rasselte vernehmlich. Gleich darauf wurde heftig an die Tür geklopft.

Nun wurde auch Fabian von Unruhe ergriffen. «Retta hat recht, gehe hinaus auf die Felder, Wolfgan», sagte er rasch. «Du ersparst dir Unannehmlichkeiten. Ich werde öffnen».

Wolfgang aber ging statt aller Antwort rasch zur Tür. «Lasst euch nicht auslache», entgegnete er und öffnete die Tür. «Ist jemand da». rief er laut und verließ das Atelier.

Alle drei lauschten und regten sich nicht.

Man hörte Stimmen auf dem kleinen Flur, dann wurde eine Tür geschlossen, und man vernahm die Stimmen hinter der Wand, diesmal etwas lauter. Einige Minuten vergingen, die Stimmen drangen noch immer durch die Wand, dann hörte man wieder im Flur sprechen. «Sie werden pünktlich sein». sagte eine unhöfliche Stimme. Die Haustür wurde geschlossen.

Wolfgang kehrte wieder in den Arbeitsraum zurück. Er sah blaß und verstört aus, und seine Hand zitterte, als er nach den Streichhölzern griff, um die erloschene Zigarre wieder anzuzünden. «Das waren wahrhaftig widerliche Burschen». knurrte er wütend vor sich hin.

Retta war die erste, die den Mut fand, ein Wort an ihn zu richten. «Lieber Gott, wie blass Sie aussehen, Herr Professor». rief sie aus.

Endlich hatte Wolfgang die Zigarre wieder in Gang gebracht. Das Blut schoss in sein Gesicht zurück. «Geh in deine Küche, Retta, und sieh zu, dass dein Essen fertig wird». herrschte er Retta an.

Retta verschwand augenblicklich. So außer Rand und Band[29] hatte sie den Professor noch nicht gesehen.

«Gottlob, dass du wieder da bist, Wolfgang». sagte Fabian. «Was wollten die Leute denn».

Wolfgang zuckte wütend die Achseln. «Die Burschen traten in der Tat recht anmaßend au», sagte er, während er an der Virginia zog. «Welch bodenlose Unverschämtheit! Die beiden Kerle überbrachten mir eine Vorladung».

«Eine Vorladung». fragte Gleichen erschrocken. «In die Heiligengeistgasse». Gleichen wusste in diesen Dingen Bescheid.

«Jawohl! Heiligengeistgasse sieben, sagten si», erwiderte Wolfgang, der sich allmählich beruhigte. «Morgen früh um neun Uhr habe ich zu erscheinen».

«Mit diesen Burschen ist nicht zu spaßen, Professo», rief Gleichen aus. «Ich kenne sie ja. Aber es scheint noch einmal gut abgegangen zu sein? Sagten sie etwas von der „Kugel“».

«J», knurrte Wolfgang. «Man wünscht Aufklärung über Bemerkungen, die ich vor wenigen Tagen in der „Kugel“ fallen ließ».

Gleichen stieß einen leisen Pfiff durch die Zähne. «Sehen Sie». rief er. «Ich sagte ja damals schon, Vorsicht, es sind verdächtige Kerle». Der Bildhauer warf die halbgerauchte Virginia auf den Boden und zertrat sie mit dem Fuß. Damit aber schien er seinen Ärger überwunden zu haben. Er nahm eine neue Zigarre aus der Tasche und sagte mit seiner gewohnten Stimme: «Nun aber Schluss mit dem Unfug, bitte ich». Er fand sogar seine frühere gute Laune zurück. «Kommen Sie, meine Herren». bat er. «Lassen wir uns von diesen widerlichen Flegeln nicht den Appetit verderben».

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