Читать бесплатно книгу «Fräulein Julie: Naturalistisches Trauerspiel» August Strindberg полностью онлайн — MyBook
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Aber Fräulein Julie ist auch ein Überbleibsel des alten Kriegeradels, welcher jetzt vor dem neuen Nerven- oder Großgehirn-Adel untergeht; ein Opfer der Disharmonie, welche der Mutter »Schuld« in eine Familie hineinbringt, ein Opfer der Verirrungen der Zeit, der Umstände und ihrer eigenen schwächlichen Konstitution, was alles zusammen soviel bedeutet, als: das Schicksal früherer Zeiten oder die Weltordnung. Die Schuld hat der Naturalist mit Gott zusammen ausgestrichen, aber die Folgen der That, die Strafe, Haftbarkeit oder die Furcht davor, kann nicht gestrichen werden, aus dem einfachen Grunde, weil sie bestehen bleiben, ob er nun freispricht oder nicht, denn die Leute, denen Unrecht geschehen, sind nicht so wohlwollend gestimmt, wie diejenigen, denen keins widerfahren, es billig sein können. Selbst wenn der Vater aus zwingenden Gründen auf die Strafe verzichten sollte, würde die Tochter sie an sich selbst vollziehen müssen, wie sie es hier thut, infolge des angeborenen oder erworbenen Ehrgefühls, welches die höheren Klassen ererben – von wo? Von der Barbarei, von der asiatischen Urheimat, von dem Rittertum des Mittelalters? – und welches sehr schön ist, jetzt aber unvorteilheit für das Bestehen der Art. Es ist des Edelmannes »Harakiri«, des Japanesen Gewissensgesetz, welches ihm gebietet sich den Leib aufzuschlitzen, wenn ein anderer ihn beschimpft, welches in modifizierter Form im Duell, dem Adelsprivilegium, weiterlebt. Darum bleibt der Bediente Jean am Leben, aber Fräulein Julie kann nicht leben ohne Ehre. Das ist der Vorzug des Knechtes vor dem Herrn, daß er frei ist von diesem lebensgefährlichen Vorurteil betreffs der Ehre; und in uns alten Ariern existiert etwas vom Edelmann oder Don Quijote, was bewirkt, daß wir mit dem Selbstmörder sympathisieren, welcher eine ehrlose Handlung begangen und so seine Ehre verloren hat, und wir sind genug Edelleute, um Schmerz zu empfinden, wenn wir eine gefallene Größe daliegen sehen, selbst wenn der Gefallene sich erheben könnte, und suchen es durch ehrenvolle Handlungen wiedergutzumachen. Der Diener Jean ist ein Artbilder, einer, bei welchem sich die Differenzierung bemerkbar macht. Er ist ein Kätners Sohn und hat sich nun zu einem werdenden Herrn ausgebildet. Es ist ihm leicht geworden zu lernen, da er fein entwickelte Sinne hatte (Geruch, Geschmack, Gesicht) und Schönheitssinn. Er hat sich bereits emporgeschwungen und ist stark genug, es sich nicht übel zu nehmen, aus den Diensten anderer Menschen Vorteile zu ziehen. Er ist seiner Umgebung bereits fremd, welche er als zurückgelegtes Stadium verachtet und dennoch fürchtet und flieht, da sie seine Geheimnisse kennen, seine Absichten ausspüren, voll Neid sein Steigen sehen und mit Vergnügen seinen Fall erwarten. Daher sein zweideutiger, unentschiedener Charakter, der zwischen Sympathie für das, was auf der Höhe steht, und Haß gegen diejenigen, die nun oben sind, hin- und herschwankt. Er ist, wie er selbst sagt, Aristokrat, hat die Geheimnisse der guten Gesellschaft gelernt, ist gewandt im Benehmen, aber bisweilen roh, trägt bereits mit Eleganz den Überrock, ohne jedoch eine Garantie zu bieten, daß er rein auf dem Körper ist.

Er hat Respekt vor dem Fräulein, aber Angst vor Christine, da sie seine gefährlichen Geheimnisse kennt; er ist gefühllos genug, nicht die Ereignisse der Nacht störend in seine Zukunftspläne eingreifen zu lassen. Mit der Rohheit des Knechtes und dem Mangel an Weichherzigkeit des Herrschers kann er Blut sehen, ohne zu erblassen, ein Mißgeschick auf den Rücken nehmen und es aus dem Wege schleudern; darum geht er auch unverwundet aus dem Kampfe hervor und endet wahrscheinlich als Hotelwirt, und wenn er nicht rumänischer Graf wird, so wird sein Sohn wahrscheinlich Student und möglicherweise Kronvogt.

Es sind übrigens recht wichtige Aufklärungen, die er über die Lebensauffassung der unteren Klassen giebt, wenn er nämlich die Wahrheit spricht, was nicht oft der Fall ist, denn er spricht mehr, was für ihn vorteilhaft, als was wahr ist. Wenn Fräulein Julie die Vermutung aufwirft, daß alle in den unteren Klassen den Druck von oben so schwer empfinden, so stimmt Jean natürlich bei, da es ja seine Absicht ist, ihre Sympathie zu gewinnen, aber er korrigiert sofort seine Äußerung, wenn er es für vorteilhafter hält, sich von der Masse zu scheiden.

Außerdem daß Jean ein Steigender ist, steht er auch darin über dem Fräulein, daß er ein Mann ist. Geschlechtlich ist er Aristokrat durch seine männliche Stärke, seine feiner entwickelten Sinne und seine Fähigkeit zur Initiative. Seine Unterlegenheit besteht zunächst in dem zufälligen socialen Milieu, in welchem er lebt, und welches er wahrscheinlich mit dem Bedientenrock ablegen kann.

Der Knechtssinn äußert sich in seiner Hochachtung für den Grafen (die Stiefeln) und seinem religiösen Aberglauben; aber er achtet den Grafen vornehmlich als den Inhaber des höheren Platzes, nach welchem er strebt; und diese Achtung bleibt sogar noch zurück, wenn er die Tochter des Hauses erobert hat und gesehen, wie leer die schöne Schale war.

Daß ein Liebesverhältnis in »höherem« Sinne zwischen zwei Seelen von so ungleichem Gehalt entstehen könnte, glaube ich nicht, und darum lasse ich Fräulein Juliens Liebe von ihr selbst als Entschuldigung oder Verteidigung erdichten; und Jean lasse ich vermuten, daß seine Liebe noch unter andern socialen Verhältnissen würde hervorwachsen können. Ich denke, es ist mit der Liebe wohl wie mit der Hyacinthe, welche im Dunkeln Wurzel schlagen soll, bevor sie eine kräftige Blüte treiben kann. Hier schießt sie empor und setzt Blüten an, und darum erstirbt das Gewächs so schnell.

Christine endlich ist ein weiblicher Knecht, voll Unselbständigkeit und Stumpfsinn, den sie am Herdfeuer erworben, vollgepropft mit Moral und Religion als Deckmantel und Sündenbock. Sie geht zur Kirche, um leicht und schnell ihre Hausdiebstähle auf Jesus abzuwälzen und eine neue Ladung Sündenvergebung einzunehmen. Übrigens ist sie eine Nebenperson und darum absichtlich nur skizziert, wie ich es mit dem Pfarrer und Doktor im »Vater« gemacht habe, da ich sie gerade als Alltagsmenschen haben wollte, wie Landpfarrer und Provinzialärzte es meist zu sein pflegen. Und daß diese meine Nebenfiguren etwas abstrakt erscheinen, beruht darauf, daß die Alltagsmenschen in gewissem Sinne in Ausübung ihres Berufes abstrakt, das heißt unselbständig sind; sie zeigen bei der Verrichtung ihres Berufes nur eine Seite, und solange der Zuschauer nicht das Bedürfnis empfindet sie von mehreren Seiten zu sehen, ist meine abstrakte Schilderung ziemlich richtig.

Was schließlich den Dialog anbetrifft, so habe ich mit der Tradition insofern ein wenig gebrochen, als ich meine Personen nicht zu Katecheten gemacht habe, welche sitzen und dumme Fragen stellen, um eine prompte Replik hervorzurufen. Ich habe das Symmetrische, das Mathematische in dem französisch konstruierten Dialog vermieden und die Gehirne ungehindert arbeiten lassen, wie sie es in der Wirklichkeit thun, wo in einem Gespräch das Thema ja nicht völlig erschöpft wird, sondern das eine Gehirn von dem andern gleichsam aufs Geratewohl einen Radzahn empfängt, in welchen es eingreifen kann. Und darum wogt der Dialog auch hin und her, versieht sich in den ersten Scenen mit einem Material, welches später bearbeitet, wiederaufgenommen, repetiert, entwickelt und wiederaufgelegt wird, gleich dem Thema in einer musikalischen Komposition.

Die Handlung ist reich genug, und da sie eigentlich nur zwei Personen angeht, habe ich mich auf sie beschränkt, und nur eine Nebenperson eingeführt, die Köchin, und den unglücklichen Geist des Vaters über und hinter dem Ganzen schweben lassen. Dieses Letztere habe ich gethan, da ich zu bemerken geglaubt habe, daß für Menschen der neueren Zeit die psychologische Entwicklung das ist, was sie am meisten interessiert, und unsere wißbegierigen Seelen sich nicht damit begnügen, etwas vor sich gehen zu sehen, ohne zu erfahren, wie es zugeht! Wir wollen gerade die Fäden, die Maschinerie sehen, die doppelbodige Schachtel untersuchen, den Zauberring in die Hand nehmen, um die Fuge zu finden, in die Karten gucken, um zu entdecken, mit was für Zeichen sie versehen sind.

Was das Technische in der Komposition anbetrifft, so habe ich die Akteinteilung gestrichen, weil ich bemerkt habe, daß unser Mangel an Fähigkeit, uns von einer Illusion beherrschen zu lassen, möglicherweise durch Zwischenakte erzeugt wird, in denen der Zuschauer Zeit bekommt zu reflektieren und sich dabei dem suggestiven Einfluß des Verfasser-Magnetiseurs zu entziehen. Mein Drama währt wahrscheinlich sechs Viertelstunden, und wenn man eine Vorlesung, eine Predigt oder eine Kongreßverhandlung ebenso lange und länger anhören kann, so habe ich mir gedacht, daß ein Theaterstück während anderthalb Stunden nicht ermüden würde.

Der Monolog ist von unsern Realisten als unwahr verbannt, aber wenn ich ihn motiviere, mache ich ihn wahrscheinlich und kann ihn also mit Vorteil verwenden. Es ist ja wahrscheinlich, daß ein Redner allein in seinem Zimmer auf- und abgeht und laut seine Rede durchgeht, wahrscheinlich, daß ein Schauspieler laut seine Rolle memoriert, daß ein Mädchen mit seiner Katze plaudert, eine Mutter mit ihrem Kinde scherzt, ein altes Fräulein mit ihrem Papagei schwatzt, ein Schlafender im Schlafe spricht. Und um einmal dem Schauspieler zu selbständiger Arbeit Gelegenheit zu geben und einen Augenblick dem Zeigefinger des Verfassers zu entschlüpfen, ist es am besten, daß die Monologe nicht ausgeführt, sondern nur angedeutet werden. Denn da es ziemlich gleichgültig ist, was im Schlafe, zum Papagei oder zur Katze gesprochen wird, da es ja keinen Einfluß auf die Handlung ausübt, so kann ein begabter Schauspieler, der mitten in der Stimmung und Situation drinnen ist, dies besser improvisieren, als der Verfasser, der nicht im voraus berechnen kann, wieviel und wie lange geschwatzt werden kann, bis das Publikum aus der Illusion erweckt wird.

Wo der Monolog unwahrscheinlich werden sollte, habe ich zur Pantomime gegriffen und hier lasse ich dem Schauspieler noch mehr Freiheit, zu dichten und selbständig Ehre zu gewinnen. Um gleichwohl das Publikum nicht zu stark auf die Probe zu stellen, habe ich die Musik, die durch den Tanz in der Johannisnacht wohl motiviert ist, ihre verführerische Macht während des stummen Spiels ausüben lassen, und bitte den Musikdirektor wohl zu beherzigen, daß er nicht fremde Stimmungen erwecken darf durch die Erinnerung an das Operetten- oder Tanzrepertoire des Tages oder durch allzu ethnographisch volkstümliche Melodieen.

Das Ballett,2 welches ich eingeführt habe, konnte durch keine Volksscene ersetzt werden, da Volksscenen schlecht gespielt werden, und eine Menge Spaßmacher die Gelegenheit benutzen würden, sich bemerkbar zu machen und dadurch die Illusion stören. Da das Volk seine Böswilligkeiten nicht selbst improvisiert, sondern bereits fertiges Material benutzt, das einen doppelten Sinn geben kann, habe ich das »Schmähgedicht« nicht gedichtet, sondern ein weniger bekanntes Tanzspiel benutzt, welches ich selbst in der Umgebung von Stockholm aufgezeichnet habe. Die Worte treffen ungefähr die Sache, und das genügt völlig, denn die Feigheit der Menge gestattet ihr nicht direkte Angriffe.3 Also keine ausgesprochenen Späße in einer ernsten Handlung, kein rohes Grinsen gegenüber einer Situation, die den Deckel auf den Sarg eines Geschlechtes legt.

Was die Dekorationen anbetrifft, so habe ich von der impressionistischen Malerei das Unsymmetrische und Abgeschnittene entlehnt und glaube dadurch die Illusion zu erhöhen; denn dadurch, daß man nicht die ganze Scene und das ganze Möblement sieht, ist es einem möglich gemacht den Raum zu ahnen: die Phantasie wird erregt und ersetzt das Fehlende. Auch habe ich es dadurch erreicht, daß ich das ermüdende Gehen und Kommen durch die Thüren los wurde, besonders da die Theaterthüren aus Leinwand sind und bei der geringsten Bewegung flattern. Ebenso habe ich mich an eine einzelne Dekoration gehalten, damit die Personen sich mit der Umgebung verschmelzen können, und um mit dem Dekorationsluxus zu brechen.

Ich habe die Hintergrundsdekoration und den Tisch schräg gestellt, um die Schauspieler zu veranlassen en face und in halbem Profil zu spielen, wenn sie am Tisch einander gegenüber sitzen.

Eine andere vielleicht nicht unnötige Verbesserung würde die Entfernung der Rampe sein. Dieses Licht von unten scheint die Aufgabe zu haben die Schauspieler im Gesichte voller erscheinen zu lassen; aber ich muß fragen: Warum sollen alle Schauspieler volle Gesichter haben? Ob das Licht von unten nicht eine Menge feiner Züge in den unteren Partieen des Gesichtes, namentlich der Kiefer, verwischt, ob es nicht die Form der Nase verändert und Schatten über die Augen wirft? Und wenn nicht, so ist doch sicher, daß es den Augen des Schauspielers unangenehm ist, sodaß das wirkungsvolle Spiel des Blicks verloren geht, denn das Licht der Rampe trifft die Netzhaut auf Stellen, die sonst geschützt sind und darum sieht man selten andere Bewegungen der Augen, als ein dummes Starren zur Seite oder hinauf zu den Logenreihen, sodaß das Weiße im Auge zu sehen ist. Möglicherweise kann man derselben Ursache das müde Blinzeln mit dem Augendeckel bei den Schauspielern und namentlich bei den Schauspielerinnen zuschreiben. Und wenn jemand auf der Bühne mit den Augen sprechen will, kann er nur geradeaus ins Publikum sehen, mit dem er (oder sie) außerhalb des Rahmens des Stückes eine direkte Korrespondenz einleitet; eine Unsitte, die mit Recht oder Unrecht »Bekannte begrüßen« genannt wird.

Sollte nicht genügend starkes Seitenlicht (mit Reflektoren oder dergleichen) dem Schauspieler dieses neue Hilfsmittel bieten können: die Mimik durch den ausdrucksvollsten Teil des Gesichtes, die Augen, zu stärken?

Die Illusion, die Schauspieler dahin zu vermögen, für und nicht mit dem Publikum zu spielen, nähre ich nicht, wenn dieses auch in hohem Grade wünschenswert wäre. Ich glaube nicht, daß ich eine ganze Scene hindurch den ganzen Rücken eines Schauspielers werde zu sehen bekommen, aber ich wünsche von ganzem Herzen, daß die Hauptscenen nicht, gleich Duetten, vorn am Souffleurkasten gespielt werden mögen, in der Absicht, Beifall zu ernten, sondern ich will sie auf einen Platz haben, der zu der Situation paßt. Also keine Revolution, sondern nur kleine Modifikationen.

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