Der Schauspielerin Therese Giehse gewidmet
Alle Fehler des Menschen verzeih ich dem Schauspieler, keine Fehler des Schauspielers verzeih ich dem Menschen.
Goethe, „Wilhelm Meister“
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© КАРО, 2007
„In einem der westdeutschen Industriezentren sollen neulich über achthundert Arbeiter verurteilt worden sein, alle zu hohen Zuchthausstrafen, und das im Laufe eines einzigen Prozesses.“
„Nach meinen Informationen sind es nur fünfhundert gewesen; über hundert andere hat man erst gar nicht abgeurteilt, sondern heimlich umbringen lassen, ihrer Gesinnung wegen.“
„Sind die Löhne wirklich so entsetzlich schlecht?“
„Miserabel. Dabei fallen sie noch – und die Preise steigen.“
„Die Dekorierung des Opernhauses für heute abend soll sechzigtausend Mark gekostet haben. Dazu kommen mindestens noch vierzigtausend Mark andere Spesen – nicht mitgerechnet die Unkosten, die es der öffentlichen Kasse gemacht hat, das Opernhaus, wegen der Vorbereitungen für den Ball, fünf Tage lang geschlossen zu halten.“
„Eine nette kleine Geburtstagsfeier.“
„Ekelhaft, dass man den Rummel mitmachen muss.“
Die beiden jungen ausländischen Diplomaten verneigten sich, auf den Gesichtern das liebenswürdigste Lächeln, vor einem Offizier in großer Uniform, der hinter seinem Monokel einen misstrauischen Blick auf sie geworfen hatte.
„Die ganze hohe Generalität ist da.“ Sie sprachen erst wieder, als sie die große Uniform außer Hörweite wussten.
„Aber sie sind alle für den Frieden begeistert“, fügte der andere boshaft hinzu.
„Wie lange noch?“ fragte fröhlich lächelnd der erste, wobei er eine kleine Dame von der japanischen Botschaft begrüßte, die am Arm eines hünenhaften Marineoffiziers klein und zierlich einherschritt.
„Wir müssen auf alles gefasst sein.“
Ein Herr vom Auswärtigen Amt gesellte sich zu den beiden jungen Botschaftsattaches, die sofort dazu übergingen, Pracht und Schönheit der Saaldekoration zu preisen. „Ja, der Herr Ministerpräsident hat Freude an diesen Dingen“, sagte, etwas verlegen, der Herr vom Auswärtigen Amt. – „Aber es ist alles geschmackvoll“, versicherten die beiden jungen Diplomaten, beinah im gleichen Atem. – „Gewiss“, sprach gequält der Herr aus der Wilhelmstraße[1]. – „Eine so prachtvolle Veranstaltung kann man heute nirgends als in Berlin finden“, sagte einer der beiden Ausländer noch. Der Herr vom Außenministerium zögerte eine Sekunde lang, ehe er sich zu einem, höflichen Lächeln entschloss.
Es entstand eine Gesprächspause. Die drei Herren blickten um sich und lauschten dem festlichen Lärm. „Kolossal“, sagte schließlich einer von den beiden jungen Leuten leise – diesmal ohne jeden Sarkasmus, sondern wirklich beeindruckt, beinah verängstigt von dem riesenhaften Aufwand, der ihn umgab. Das Flimmern der von Lichtern und Wohlgerüchen gesättigten Luft war so stark, dass es ihm die Augen blendete. Ehrfurchtsvoll, aber misstrauisch blinzelte er in den bewegten Glanz. ,Wo bin ich nur?’ dachte der junge Herr – er kam aus einem der skandinavischen Länder —. ,Der Ort, an dem ich mich befinde, ist ohne Frage sehr lieblich und verschwenderisch ausgestattet; dabei aber auch etwas grauenhaft. Diese schön geputzten Menschen sind von einer Munterkeit, die nicht gerade vertrauenerweckend wirkt. Sie bewegen sich wie die Marionetten – sonderbar zuckend und eckig. In ihren Augen lauert etwas, ihre Augen haben keinen guten Blick, es gibt in ihnen soviel Angst und soviel Grausamkeit. Bei mir zu Hause schauen die Leute auf eine andere Art – sie schauen freundlicher und freier bei mir zu Hause. Man lacht auch anders bei uns droben im Norden. Hier haben die Gelächter etwas Höhnisches und etwas Verzweifeltes; etwas Freches, Provokantes, und dabei etwas Hoffnungsloses, schauerlich Trauriges. So lacht doch niemand, der sich wohl fühlt in seiner Haut. So lachen doch Männer und Frauen nicht, die ein anständiges, vernünftiges Leben führen…’
Der große Ball zum dreiundvierzigsten Geburtstag des Ministerpräsidenten fand in allen Räumen des Opernhauses statt. In den ausgedehnten Foyers, in den Couloirs und Vestibülen bewegte sich die geputzte Menge. Sie ließ Sektpfropfen knallen in den Logen, deren Brüstungen mit kostbaren Draperien behängt waren; sie tanzte im Parkett, aus dem man die Stuhlreihen entfernt hatte. Das Orchester, das auf der leergeräumten Bühne seinen Platz hatte, war umfangreich, als sollte es eine Symphonie aufführen, mindestens von Richard Strauss. Es spielte aber nur, in keckem Durcheinander, Militärmärsche und jene Jazzmusik, die zwar wegen niggerhafter Unsittlichkeit verpönt war im Reiche, die aber der hohe Würdenträger auf seinem Jubelfeste nicht entbehren wollte.
Hier hatte alles sich eingefunden, was in diesem Lande etwas gelten wollte, niemand fehlte – außer dem Diktator selbst, der sich wegen Halsschmerzen und angegriffener Nerven hatte entschuldigen lassen, und außer einigen etwas plebejischen Parteiprominenten, die nicht eingeladen worden waren. Hingegen bemerkte man mehrere kaiserliche und königliche Prinzen, viele Fürstlichkeiten und fast den ganzen Hochadel; die gesamte Generalität der Wehrmacht, sehr viel einflussreiche Finanziers und Schwerindustrielle; verschiedene Mitglieder des diplomatischen Korps – meistens von den Vertretungen kleinerer oder weit entfernter Länder —; einige Minister, einige berühmte Schauspieler – die huldvolle Schwäche des Jubilars für das Theater war bekannt – und sogar einen Dichter, der sehr dekorativ aussah und übrigens die persönliche Freundschaft des Diktators genoss. Über zweitausend Einladungen waren verschickt worden; von diesen waren etwa tausend Ehrenkarten, die zum unentgeltlichen Genuss des Festes berechtigten; von den Empfängern der übrigen tausend hatte jeder fünfzig Mark Eintritt zahlen müssen: So kam ein Teil der ungeheuerm Spesen wieder herein – der Rest blieb zu Lasten jener Steuerzahler, die nicht zum nähereil Umgang des Ministerpräsidenten und also keineswegs zur Elite der neuen deutschen Gesellschaft gehörten.
„Ist es nicht ein wunderschönes Fest!“ rief die umfangreiche Gattin eines rheinischen Waffenfabrikanten der Frau eines südamerikanischen Diplomaten zu. „Ach, ich amüsiere mich gar zu gut! Ich bin so glänzender Laune, und ich wünschte mir, dass alle Menschen in Deutschland, und überall, glänzender Laune würden!“
Die südamerikanische Diplomatenfrau, die nicht gut Deutsch verstand und sich langweilte, lächelte säuerlich.
Die muntere Gattin des Fabrikanten war von solchem Mangel an Enthusiasmus enttäuscht und entschloss sich dazu, weiter zu promenieren. „Entschuldigen Sie mich, meine Liebe!“ sagte sie fein und raffte die glitzernde Schleppe. „Ich muss eben mal eine alte Freundin aus Köln begrüßen – die Mutter unseres Staatstheaterintendanten, Sie wissen doch, des großen Hendrik Höfgen.“
Hier tat die Südamerikanerin zum erstenmal den Mund auf, um zu fragen: „Who is Henrik Hopfgen?“ – was die Fabrikantengattin veranlasste, leise aufzuschreien: „Wie?! Sie kennen unseren Höfgen nicht? Höfgen, meine Beste – nicht Hopfgen! Und Hendrik, nicht Henrik – er legt größten Wert auf das kleine ,d’!“ Dabei war sie schon auf die distinguierte Matrone zugeeilt, die am Arme des Dichters und Führerfreundes würdevoll durch die Säle schritt. „Liebste Frau Bella! Es ist eine Ewigkeit her, dass man sich nicht gesehen hat! Wie geht es Ihnen denn, Liebste? Haben Sie manchmal Heimweh nach unserem Köln? Aber Sie befinden sich hier ja in einer so glänzenden Position! Und wie geht es Fräulein Josy, dem lieben Kind? Vor allem: Was macht Hendrik – Ihr großer Sohn! Himmel, was ist aus ihm alles geworden! Er ist ja fast so bedeutend wie ein Minister! Jaja, liebste Frau Bella, wir in Köln haben alle Sehnsucht nach Ihnen und Ihren herrlichen Kindern!“
In Wahrheit hatte sich die Millionärin niemals um Frau Bella Höfgen gekümmert, als diese noch in Köln gelebt und ihr Sohn die große Karriere noch nicht gemacht hatte. Die Bekanntschaft zwischen den beiden Damen war nur eine flüchtige gewesen; niemals war Frau Bella eingeladen worden in die Villa des Fabrikanten. Nun aber wollte die lustige und gemütvolle Reiche die Hand der Frau, deren Sohn man zu den nahen Freunden des Ministerpräsidenten zählte, gar nicht mehr loslassen.
Frau Bella lächelte huldvoll. Sie war sehr einfach, aber nicht ohne eine gewisse ehrbare Koketterie gekleidet; auf ihrer schwarzen, glatt fließenden Seidenrobe leuchtete eine weiße Orchidee. Das graue, schlicht frisierte Haar bildete einen pikanten Kontrast zu ihrem ziemlich jung gebliebenen, mit dezenter Sorgfalt hergerichteten Gesicht. Aus weiten, grünblauen Augen schaute sie mit einer reservierten, nachdenklichen Freundlichkeit auf die geschwätzige Dame, die den lebhaften deutschen Kriegsvorbereitungen ihr wundervolles Kollier, ihre langen Ohrgehänge, die Pariser Toilette und all ihren Glanz verdankte.
„Ich kann nicht klagen, es geht uns allen recht gut“ sprach mit stolzer Bescheidenheit Frau Höfgen. „Josy hat sich mit dem jungen Grafen Donnersberg verlobt. Hendrik ist ein wenig überanstrengt, er hat rasend zu tun.“
„Das kann ich mir denken.“ Die Industrielle schaute respektvoll.
„Darf ich Ihnen unseren Freund Cäsar von Muck vorstellen“, sagte Frau Bella.
Der Dichter neigte sich über die geschmückte Hand der reichen Dame, die sofort wieder zu schwätzen begann. „Ungeheuer interessant, ich freue mich wirklich, habe Sie sofort nach den Fotografien erkannt. Ihr ,Tannenberg’-Drama habe ich in Köln bewundert, eine recht gute Aufführung, natürlich fehlen die überragenden Leistungen, wie man sie in Berlin jetzt gewöhnt ist, aber wirklich recht anständig, ohne Frage sehr achtbar. Und Sie, Herr Staatsrat – Sie haben doch inzwischen eine so großartige Reise gemacht, alle Welt spricht von Ihrem Reisebuch, ich will es mir dieser Tage besorgen.“
„Ich habe viel Schönes und viel Hässliches gesehen in der Fremde“, sagte der Dichter schlicht. „Jedoch reiste ich durch die Lande nicht nur als Schauender, nicht nur als Genießender, sondern mehr noch als Wirkender, Lehrender. Mich deucht, es ist mir gelungen, dort draußen neue Freunde für unser neues Deutschland zu werben.“ Mit seinen stahlblauen Augen, deren durchdringende und feurige Reinheit in vielen Feuilletons gepriesen wurde, taxierte er den kolossalen Schmuck der Rheinländerin. ,Ich könnte in ihrer Villa wohnen, wenn ich das nächste Mal in Köln einen Vortrag oder eine Premiere habe’, dachte er, während er weitersprach: „Es ist für unseren geraden Sinn unfassbar, wieviel Lüge, wieviel boshaftes Missverständnis über unser Reich im Umlauf sind – draußen in der Welt.“
Sein Gesicht war so beschaffen, dass jeder Reporter es „holzgeschnitten“ nennen musste: zerfurchte Stirne, Stahlauge unter blonder Braue und ein verkniffener Mund, der leicht sächsischen Dialekt sprach. Die Waffenfabrikantin war sehr beeindruckt, von seinem Aussehen wie von seiner edlen Rede. „Ach“, schaute sie ihn schwärmerisch an. „Wenn Sie einmal nach Köln kommen, müssen Sie uns unbedingt besuchen!“
Staatsrat Cäsar von Muck, Präsident der Dichterakademie und Verfasser des überall gespielten „Tannenberg“-Dramas, verneigte sich mit ritterlichem Anstand: „Es wird mir eine echte Freude sein, gnädige Frau.“ Dabei legte er sogar die Hand aufs Herz.
Die Industrielle fand ihn wundervoll. „Wie köstlich es sein wird, Ihnen einen ganzen Abend zuzuhören, Exzellenz[2]!“ rief sie aus. „Was Sie alles erlebt haben müssen! Sind Sie nicht auch schon Staatstheaterintendant gewesen?“
Diese Frage wurde als taktlos empfunden, und zwar sowohl von der distinguierten Frau Bella als auch vom Autor der „Tannenberg“-Tragödie. Dieser sagte denn auch nur, mit einer gewissen Schärfe: „Gewiss.“
Die reiche Kölnerin merkte nichts. Vielmehr sprach sie noch, mit durchaus deplacierter Schelmerei: „Sind Sie denn da nicht ein klein bisschen eifersüchtig, Herr Staatsrat, auf unseren Hendrik, Ihren Nachfolger?“ Nun drohte sie auch noch mit dem Finger. Frau Bella wusste nicht, wohin sie blicken sollte.
Cäsar von Muck aber bewies, dass er weltmännisch und überlegen war, und zwar in einem Grade, der an Edelmut grenzt. Über sein Holzschnittgesicht ging ein Lächeln, das nur in seinen ersten Anfängen etwas bitter schien, dann aber milde, gut und sogar weise wurde. „Ich habe diese schwere Last gerne – ja, von Herzen gerne an meinen Freund Höfgen abgegeben, der wie kein anderer berufen ist, sie zu tragen.“ Seine Stimme bebte; er war stark ergriffen von der eigenen Großmut und von der Schönheit seiner Gesinnung.
Frau Bella, die Mutter des Intendanten, zeigte eine beeindruckte Miene; die Lebensgefährtin des Kanonenkönigs aber war derartig gerührt von der edlen und majestätischen Haltung des berühmten Dramatikers, dass sie beinahe weinen musste. Mit tapferer Selbstüberwindung schluckte sie die Tränen hinunter; tupfte sich die Augen flüchtig mit dem Seidentüchlein und schüttelte die weihevolle Stimmung mit einem sichtbaren Ruck von sich ab. In ihr siegte die typisch rheinische Munterkeit; sie schaute wieder strahlend und jubilierte: „Ist es nicht ein ganz herrliches Fest?!“
Es war ein ganz herrliches Fest, darüber konnte gar kein Zweifel bestehen. Wie das glitzerte, duftete, rauschte! Gar nicht festzustellen, was mehr Glanz verbreitete: die Juwelen oder die Ordenssterne. Das verschwenderische Licht der Kronleuchter spielte und tanzte auf den entblößten, weißen Rücken und den schön bemalten Mienen der Damen; auf den Specknacken, gestärkten Hemdbrüsten oder betressten Uniformen feister Herren; auf den schwitzenden Gesichtern der Lakaien, die mit den Erfrischungen umherliefen. Es dufteten die Blumen, die in schönem Arrangement verteilt waren, durch das ganze Lusthaus; es dufteten die Pariser Parfüms all der deutschen Frauen; es dufteten die Zigarren der Industriellen und die Pomaden der schlanken Jünglinge in ihren kleidsam knappen SS[3]-Uniformen; es dufteten die Prinzen und die Prinzessinnen, die Chefs der Geheimen Staatspolizei, die Feuilletonchefs, die Filmdivas, die Universitätsprofessoren, die einen Lehrstuhl für Rassenoder Wehrwissenschaft innehatten, und die wenigen jüdischen Bankiers, deren Reichtum und internationale Beziehungen so gewaltig waren, dass man sie sogar an dieser exklusiven Veranstaltung teilhaben ließ. Man verbreitete Wolken künstlichen Wohlgeruchs, als gälte es, ein anderes Aroma nicht aufkommen zu lassen – den faden, süßlichen Gestank des Blutes, den man zwar liebte und von dem das ganze Land erfüllt war, dessen man sich aber bei so feinem Anlass und in Gegenwart der fremden Diplomaten ein wenig schämte.
„Tolle Sache“, sagte ein hoher Herr von der Reichswehr zum anderen. „Was der Dicke sich alles leistet!“
„Solange wir es uns gefallen lassen“, sagte der zweite. Sie machten gutgelaunte Gesichter; denn sie wurden fotografiert.
„Lotte soll ein Kleid anhaben, das dreitausend Mark kostet“, erzählte eine Filmschauspielerin dem Hohenzollernprinzen[4], mit dem sie tanzte. Lotte war das Eheweib des Gewaltigen mit den vielen Titeln, der sich zu seinem dreiundvierzigsten Geburtstag feiern ließ wie ein Märchenprinz. Lotte war eine Provinzschauspielerin gewesen und galt als herzensgute, schlichte, urdeutsche Frau. An ihrem Hochzeitstage hatte der Märchenprinz zwei Proleten[5] hinrichten lassen.
Der Hohenzollernprinz sagte: „Einen solchen Aufwand hat meine Familie niemals getrieben. – Wann wird das hohe Paar denn übrigens Einzug halten? Unsere Erwartung soll wohl auf das äußerste gesteigert werden!“
„Lottchen versteht’s“, meinte sachlich die ehemalige Kollegin der Landesmutter. – Ein ausgesprochen herrliches Fest: Alle Anwesenden schienen es aufs intensivste zu genießen, sowohl die mit den Ehrenkarten als auch die anderen, die fünfzig Mark hatten zahlen müssen, um dabeisein zu dürfen. Man tanzte, schwatzte, flirtete; man bewunderte sich selber, die anderen und am meisten die Macht, die sich so üppige Veranstaltungen wie diese gönnen durfte. In den Logen und Wandelgängen, an den verführerischen Büfetts waren die Konversationen sehr lebhaft. Man diskutierte über die Toiletten der Damen, über das Vermögen der Herren und über die Preise, welche die Wohltätigkeitstombola bringen würde: Als das wertvollste Stück wurde ein Hakenkreuz aus Brillanten genannt, etwas sehr Niedliches und Teures, als Brosche oder als Anhänger an einem Kollier zu tragen. Eingeweihte wollten wissen, dass es auch höchst amüsante Trostpreise geben würde, zum Beispiel naturgetreu nachgebildete Tanks und Maschinengewehre aus Lübecker Marzipan. Einige Damen behaupteten launig, dass sie noch lieber ein Mordinstrument aus so süßem Stoff haben wollten als das kostbare Hakenkreuz. Es wurde viel und herzlich gelacht. Mit gedämpfteren Stimmen besprach man sich über die politischen Hintergründe der Veranstaltung. Es fiel auf, dass der Diktator abgesagt hatte und mehrere Parteiprominente nicht eingeladen worden waren; dass man aber Mitglieder der fürstlichen Familien in so großer Anzahl anwesend sah. An diesen Umstand knüpften sich mancherlei dunkle und bedeutungsvolle Gerüchte, die man sich im Flüstertöne weitergab. Auch über den Gesundheitszustand des Diktators wollte der oder jener finstere Neuigkeiten wissen; man besprach sie leise und leidenschaftlich, sowohl im Kreise der auswärtigen Pressevertreter und Diplomaten als auch bei den Herren von der Reichswehr und der Schwerindustrie.
„Es scheint also doch Krebs zu sein“, berichtete hinter vorgehaltenem Taschentuch ein Herr von der englischen Presse dem Pariser Kollegen. Bei diesem aber war er an den Falschen geraten. Pierre Larue hatte das Aussehen eines höchst gebrechlichen, dabei recht tückischen Zwerges; schwärmte aber für den Heroismus und für die schönen uniformierten Burschen des neuen Deutschland. Übrigens war er kein Journalist, sondern ein reicher Mann, der verklatschte Bücher über das gesellschaftliche, literarische und politische Leben der europäischen Hauptstädte schrieb und dessen Lebensinhalt es bedeutete, berühmte Bekanntschaften zu sammeln. Dieser ebenso groteske wie anrüchige kleine Kobold, mit dem spitzen Gesichtchen und der lamentierenden Fistelstimme einer kränklichen alten Dame, verachtete die Demokratie seines eigenen Landes und erklärte jedem, der es hören wollte, dass er Clemenceau[6] für einen Schurken und Briand[7] für einen Idioten halte, jeden höheren Gestapobeamten jedoch für einen Halbgott und die Spitzen des neudeutschen Regimes für eine Garnitur von tadellosen Göttern.
„Was verbreiten Sie für infamen Unsinn, mein Herr!“ Das Männchen schaute erschreckend boshaft; seine Stimme raschelte dürr wie gefallenes Laub. „Der Gesundheitszustand des Führers lässt nichts zu wünschen übrig. Er ist nur ein bisschen erkältet.“
Diesem kleinen Scheusal war es zuzutrauen, dass er hinging und denunzierte. Der englische Korrespondent wurde nervös; er versuchte, sich zu rechtfertigen: „Ein italienischer Kollege hat mir im Vertrauen so etwas angedeutet…“ Aber der schmächtige Liebhaber prall gefüllter Uniformen schnitt ihm mit Strenge das Wort ab:
„Genug, mein Herr! Ich will nichts mehr hören! Das ist alles unverantwortliches Geschwätz! – Entschuldigen Sie“, fügte er sanfter hinzu. „Ich muss den Exkönig von Bulgarien begrüßen. Die Prinzessin von Hessen ist bei ihm, ich habe die Bekanntschaft Ihrer Hoheit am Hofe ihres Vaters in Rom gemacht.“ Er rauschte davon, die bleichen und spitzen Händchen auf der Brust gefaltet, in der Haltung und mit dem Gesichtsausdruck eines intriganten Abbés[8]. Der Engländer murmelte hinter ihm her: „Damned snob[9].“
На этой странице вы можете прочитать онлайн книгу «Mephisto / Мефистофель. Книга для чтения на немецком языке», автора Клауса Манна. Данная книга имеет возрастное ограничение 16+, относится к жанру «Литература 20 века». Произведение затрагивает такие темы, как «немецкая литература», «лексический материал». Книга «Mephisto / Мефистофель. Книга для чтения на немецком языке» была написана в 2007 и издана в 2007 году. Приятного чтения!
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